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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Geschichte: Heinrich VIII., Eduard VI., Maria die Blutige).

thur vermählt gewesen, die Ehe also eine von der Schrift verbotene), knüpfte man am päpstlichen Hofe Verhandlungen an, um eine Scheidung zu erwirken. Clemens VII., dessen Vorgänger Leo X. Heinrich wegen seiner gegen die Reformation gerichteten Schrift "Assertio septem sacramentorum" den Titel "Beschützer des Glaubens" gegeben hatte, war anfangs geneigt, die Ehescheidung zu gestatten, lehnte dies aber später aus Rücksichten auf Katharinas Neffen Karl V. ab. Nun ward Wolsey, der die Verhandlungen geführt hatte, gestürzt; als Hochverräter angeklagt, starb er auf dem Weg zum Tower 29. Nov. 1530. Der König entschloß sich darauf, mit dem Papst zu brechen; der entscheidende Schritt dazu war die durch eine Parlamentsakte verfügte völlige Trennung der englischen Kirche von Rom, das Verbot aller Appellationen an den Papst, die Übertragung des päpstlichen Dispensationsrechts auf den Erzbischof Primas von England, die Befreiung der Bischofswahlen von jeder Einwirkung der Kurie. Darauf ließ Heinrich 1533 durch ein von ihm eingesetztes geistliches Gericht seine Ehe mit Katharina vernichten und vermählte sich mit Anna Boleyn. Als der Papst mit Kirchenstrafen einschritt, ging Heinrich weiter, übertrug die bisher nach Rom gezahlten Annaten auf die Krone, hob die Klöster auf, zog deren Güter ein, welche ein Fünftel des gesamten englischen Grundbesitzes ausmachten und nun mit königlicher Freigebigkeit verschenkt wurden, und schaffte den Peterspfennig ab. Endlich vollendete er sein Werk durch die Erklärung der königlichen Suprematie, indem er sich vom Parlament als "oberstes Haupt der Kirche von England auf Erden unmittelbar unter Gott" anerkennen ließ. Die so vollzogene Umwälzung unterscheidet sich von der gleichzeitigen deutschen Reformation hauptsächlich in zweifacher Hinsicht: einmal dadurch, daß sie nicht, wie diese, unmittelbar aus dem Volk und dessen religiösem Bedürfnis entsprang, sondern vielmehr von oben ausging und durch Gesetze und Dekrete dem Volk oktroyiert wurde; sodann dadurch, daß sie sich wenigstens unter Heinrich VIII. ganz äußerlich nur auf die Kirchenverfassung beschränkte. Denn die Glaubenslehren der katholischen Kirche behielt Heinrich zumeist bei: seine vom Bischof Gardiner von Winchester 1539 verfaßten sechs Glaubensartikel hielten an der Lehre von der Transsubstantiation, an Ohrenbeichte und Cölibat, an Seelenmessen und Verbot des Laienkelchs fest, und mit den blutigsten Verfolgungen wurde sowohl gegen die Katholiken, welche die königliche Suprematie nicht anerkannten, als gegen die Protestanten, welche jene sechs Artikel verwarfen, eingeschritten.

Wie der geistlichen, so suchte Heinrich sich auch der weltlichen Schranken seiner Macht zu entledigen, und die Unterwürfigkeit gegen seinen Willen, in der sich Lords und Gemeine überboten, erstere, um von der reichen Beute der Kirchengüter ihren Teil zu empfangen, letztere, weil durch die treffliche Verwaltung Heinrichs Handel und Industrie einen ungemeinen Aufschwung nahmen, leistete diesem Streben Vorschub. So legten die Gemeinen 1539 den vom König in Gemeinschaft mit dem Geheimen Rat erlassenen Proklamationen Gesetzeskraft bei und begaben sich der Macht, welche sie ehedem der Krone gegenüber besessen. Heinrichs Ungebundenheit zeigt sich auch in seinen Privatverhältnissen: auf Katharina und Anna Boleyn sind bald nacheinander noch vier Gemahlinnen gefolgt, von denen mehrere auf dem Schafott endeten. 1542 begann er einen kurzen Krieg mit Schottland, der aber erfolglos verlief. Später verbündete sich Heinrich noch einmal mit Karl V. gegen Franz I. von Frankreich und erschien 1544 mit 30,000 Engländern auf französischem Boden. Während aber Karl erfolgreich gegen Paris vorwärts drang, blieb jener gegen die Verabredung zurück, hielt sich mit Belagerungen auf und eroberte Boulogne. Der Kaiser schloß hierauf den vorteilhaften Separatfrieden von Crépy, und auch Heinrich machte nach einem kurzen Seekrieg mit Frankreich und Schottland Frieden (1546).

Heinrich starb 28. Jan. 1547. Als sein neunjähriger Sohn aus der Ehe mit Johanna Seymour, Eduard VI. (1547-53), den Thron bestieg, hörten unter der Verwaltung seines Oheims von mütterlicher Seite, des Protektors Eduard Seymour, Herzogs von Somerset, die religiösen Verfolgungen auf. Thomas Cranmer, Erzbischof von Canterbury, der seine theologische Bildung in Deutschland vollendet hatte, unter Heinrich aber seiner protestantischen Sympathien halber zurückgedrängt war, gewann auf die neue Regierung den größten Einfluß, und unter seiner Leitung nahm nun die Reformation auch in England einen mehr kirchlich-religiösen Charakter an. Die sechs Artikel wurden zurückgenommen, Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt beschlossen, eine neue Liturgie und ein allgemeines Gebetbuch (das Common Prayerbook) eingeführt, die Priesterehe und das Bibellesen gestattet. In 42 von Cranmer ausgearbeiteten Artikeln wurden diese Neuerungen zusammengefaßt (1552): erst jetzt wurde die englische Kirche aus einer bloß schismatischen eine wirklich protestantische. 1547 überzog der Protektor die Schotten mit Krieg, um sie zu zwingen, ihre Königin Maria Stuart dem jungen König Eduard zu vermählen. Er siegte bei Pinkie, allein Maria wurde von ihrer Mutter nach Frankreich gebracht und mit Heinrichs II. Sohn Franz verlobt.

Ungeachtet der milden Regierung des Protektors ward aber das Reich von den bedenklichsten Empörungen heimgesucht. Die durch die Einziehung des Kirchenguts hervorgerufenen Veränderungen in den Verhältnissen des Grundbesitzes und die gewaltsame Durchführung der religiösen Reform hatten doch vielfach Mißvergnügen erweckt: so kam es, daß Tausende von verarmten Pachtern und Bauern aufstanden und plündernd und mordend die Provinzen durchzogen. In diesen Wirren verdrängte der zum Herzog von Northumberland erhobene John Dudley, Graf von Warwick, den Herzog von Somerset und ließ ihn, als er seine Wiederherstellung versuchte, hinrichten. Um aber bei der Kränklichkeit Eduards VI., welche sein frühes Ende voraussehen ließ, die Durchführung der Reformation zu sichern und eine katholische Gegenbewegung unmöglich zu machen, sowie um sich und seinem Haus die leitende Stellung auch für die nächste Regierung zu bewahren, überredete Northumberland den jungen König, seine Schwestern Maria und Elisabeth von der Thronfolge auszuschließen und eine Seitenverwandte, Johanna Gray, Großnichte Heinrichs VIII., die Schwiegertochter Northumberlands und eine eifrige Protestantin, zur Nachfolgerin zu erklären. Als jedoch Eduard VI. schon 6. Juli 1553 starb, wurde zwar die Thronbesteigung Johannas in London verkündet; aber gegen sie machte Maria (1553-58), die Tochter Heinrichs VIII. von Katharina von Aragonien, ihr Thronrecht geltend; der Landadel bewaffnete sich für sie, und Johanna Gray wurde nach neuntägiger Herrschaft entsetzt, Northumberland aber hingerichtet. Auch Johanna und ihr schwacher Gemahl hatten 1554, als