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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Geschichte 1878-1879).

Grenze zusammengezogen; am 21. Nov. begannen, nachdem der Emir ein englisches Ultimatum abgelehnt hatte, die militärischen Operationen, deren erste Erfolge überraschend günstig waren. Die Peschawar-Armee unter Sir Sam. Browne nahm Ali Masdschid, marschierte ohne große Verluste durch den Chaiberpaß auf Dschelalabad, und auch General Roberts, welcher an der Spitze der Khuram-Armee auf den Peiwarpaß zu operierte, hatte ähnliche Siege zu verzeichnen. Am 20. Dez. zog General Browne ohne Widerstand in Dschelalabad ein; am 2. Jan. 1879 begann die Khuram-Armee ihren Vormarsch auf Khost; am 10. Jan. zog eine dritte Kolonne unter den Generalen Stewart und Biddulph in Kandahar ein. Schir Ali war inzwischen, da die erwartete russische Hilfe ausblieb, von Kabul nach der russischen Grenze geflohen. Vor seiner Flucht hatte er seinen seit 1874 gefangen gehaltenen Sohn Jakub Chan der Haft entledigt, und dieser übernahm vorläufig die Zügel der Regierung in Kabul.

Dieser glückliche Fortgang des Kriegs war um so erfreulicher für die Regierung, als schon gegen Ende 1878 neue Verwickelungen in Südafrika entstanden waren. Sir Bartle Frere, den die Regierung nach der Annexion von Transvaal zum Gouverneur aller afrikanischen Besitzungen ernannt hatte, hatte zunächst im Sommer 1878 einige Transvaal benachbarte Kaffernstämme unterworfen. Gegen Ende des Jahrs geriet er aber in einen Konflikt mit Cetewayo, dem König der Zulu, dessen 50-60,000 Mann starkes, militärisch gedrilltes und nicht schlecht bewaffnetes Heer allerdings eine beständige Drohung für die Provinzen Natal und Transvaal war. Frere verlangte im Dezember 1878 eigenmächtigerweise von Cetewayo eine Reduktion seines Heers und die Aufnahme eines ständigen britischen Residenten, und als dieses Verlangen abgelehnt wurde, begannen 12. Jan. 1879 die Feindseligkeiten. Der militärische Verlauf dieses Kriegs kontrastierte gewaltig gegen den mit Afghanistan, woran allerdings die Unfähigkeit des Oberfeldherrn Lord Chelmsford die Hauptschuld trug. Am 21. Jan. erlitt die Kolonne des Obersten Glynn bei Isandula am Tugelafluß eine entsetzliche Niederlage, bei der mehr als 60 Offiziere und 700 europäische Soldaten von den Zulu niedergemacht wurden; eine andre Kolonne, die des Obersten Pearson, sah ihre Rückzugslinie abgeschnitten und wurde in Ekowe von den Zulu eingeschlossen.

Die Nachricht von diesen Unglücksfällen bot in dem am 13. Febr. 1879 wieder eröffneten Parlament der Opposition günstige Gelegenheit zu neuen Angriffen gegen die Regierung. Die Lage derselben war aber auch sonst eine schwierige. Unter den Folgen der allgemeinen Geschäftskrisis begann mehr und mehr auch G. zu leiden; die ländliche Bevölkerung und die der Zentren der Industrie litten in gleicher Weise Not; die Zahl der Almosenempfänger mehrte sich in erschreckender Weise. Durch Arbeitseinstellungen gewaltigsten Umfanges (so z. B. einen Streik von mehr als 10,000 Arbeitern in Liverpool im Februar 1879) suchten die bedrängten Klassen ihre Lage zu verbessern, während sie in Wahrheit nur ihren Notstand mehrten. Die Finanzlage des Staats war keine gute. Mit genauer Not hatte die Regierung im Vorjahr die Kosten der außerordentlichen Rüstungen gegen Rußland durch Aufnahme einer schwebenden Schuld aufgebracht, und jetzt standen durch den Zulukrieg neue Ausgaben in ungeahnter Höhe bevor, die von dem Mutterland getragen werden mußten. Zu dem allen kam weiter eine neue Verwickelung nach außen in Ägypten, dessen Chedive zwei europäische Minister, die er 1878 auf das Drängen der Großmächte angestellt hatte, den Engländer Rivers Wilson und den Franzosen de Blignières, 7. April 1879 in brüsker Weise entließ. Endlich war auch die orientalische Frage in Europa keinesweg völlig gelöst: noch war der Separatfriede zwischen Rußland und der Pforte abzuschließen, waren die Verhältnisse Ostrumeliens zu regeln, Grenzstreitigkeiten zwischen Rußland und Rumänien zu schlichten, mußten endlich die Bestimmungen des Berliner Vertrags über eine Vorschiebung der griechischen Grenze ihrer Ausführung entgegengebracht werden.

Ein Teil dieser Fragen erledigte sich nun schon während der ersten Woche der Session in günstiger Weise. Hinsichtlich der europäischen Orientangelegenheiten gelang es den Bemühungen des Grafen Schuwalow und des Lords Dufferin, des englischen Botschafters in Petersburg, ein ziemlich befriedigendes Einvernehmen zwischen G. und Rußland herzustellen, so daß der definitive Friede mit der Türkei geschlossen und die rumänische Grenzfrage erledigt werden konnte; auch über die Ernennung Aleko Paschas zum Gouverneur von Ostrumelien und die Wahl des Prinzen von Battenberg zum Fürsten von Bulgarien einigten sich beide Mächte. Aus Afghanistan kam Ende Februar die Kunde von dem Tod Schir Alis; infolgedessen wurde im Mai mit Jakub Chan der Friede geschlossen. Der Emir trat alle Gebirgsdistrikte an der indisch-afghanischen Grenze mit ihren Pässen an G. ab und verstand sich gegen eine jährliche Subsidienzahlung dazu, einen britischen Residenten in seine Hauptstadt aufzunehmen und diesem eine Kontrolle über seine auswärtige Politik einzuräumen. In Ägypten erfolgte, nachdem Deutschland mit Intervention gedroht hatte, im Juli auf Antrag Englands und Frankreichs seitens des Sultans die Absetzung des Chedive, dem sein Sohn Tewfik folgte. In Südafrika endlich brach 28. März Lord Chelmsford zum Entsatz des Obersten Pearson auf, der am 2. April nach einem großen Sieg über die Zulu bewirkt wurde. Dann übernahm im Juli Sir G. Wolseley an Chelmsfords Stelle den Oberbefehl. Der von ihm angeordnete Vormarsch hatte den besten Erfolg; am 3. Juli erfocht die Angriffskolonne, die Chelmsford zu kommandieren fortfuhr, einen vollständigen Sieg über Cetewayo.

Währenddessen hatte die treue Torymajorität auch im Parlament alle Angriffe gegen das Ministerium abgeschlagen. Die Tadelsvoten, welche die Opposition wegen des afrikanischen Kriegs beantragte, wurden im Oberhaus mit 156 gegen 61, im Unterhaus 31. März mit 306 gegen 246 Stimmen abgelehnt, und auch die Finanzmaßregeln der Regierung wurden 28. April gebilligt. Im übrigen beschäftigte sich das Parlament hauptsächlich mit einer von den Katholiken eingebrachten irischen Universitätsbill, welche aus den Mitteln der abgeschafften Staatskirche von Irland eine neue Universität in Dublin errichten wollte, und mit der Revision des Militärstrafgesetzbuchs. Das letztere, die alljährlich zu bewilligende Mutinybill, gab diesmal zu besonders lebhaften Debatten Veranlassung, weil die Regierung darin eine Kodifikation des in etwa 200 zum Teil ganz veralteten Statuten enthaltenen Militärstrafrechts vorzunehmen wünschte. Die liberale Opposition wünschte bei dieser Gelegenheit die in der englischen Armee und Marine noch in Übung stehende Strafe der körperlichen Züchtigung zu beseitigen oder doch wenigstens zu beschränken. Allein die Regierung wollte auf die neunschwänzige Katze nicht verzichten, und in