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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Hannover

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Hannover (Geschichte: seit 1866) - Hannover (Stadt).

Von diesem Augenblick an suchte H. Preußen auszuweichen und die Verhandlungen über die Neutralität hinzuziehen. So trat es trotz der unzweideutigen Erklärungen des letztern dem Antrag auf Mobilisierung der Bundeskontingente bei. Auch die preußische Sommation vom 15. Juni verfehlte ihre Wirkung, denn der Gedanke einer militärischen Führung Norddeutschlands durch Preußen hatte nun einmal in den höchsten Kreisen Hannovers eine Erbitterung hervorgerufen, welche gegen jede gründliche Erwägung taub machte. Am 16. erfolgte daher die Ablehnung der in der Sommation gestellten Forderungen und infolge davon die preußische Kriegserklärung. H. aber sprach sich an demselben Tag in Frankfurt dahin aus, es werde unter allen Umständen zu Österreich stehen. Die Armee wurde in aller Eile nach Göttingen geworfen, wohin in der Nacht zum 16. Juni auch der König mit dem Kronprinzen gegangen war. Die Okkupation des Landes durch Preußen vollzog sich in wenigen Tagen (s. Preußisch-deutscher Krieg). Am 20. bereits übernahm General Vogel v. Falckenstein, welchem v. Hardenberg als Zivilkommissar an die Seite trat, die oberste Leitung in H.; die ganze Verwaltung blieb unter neuen Chefs in ihrem alten Bestand. Das Schicksal der hannöverschen Armee aber entschied sich sehr rasch. Nachdem König Georg die noch im letzten Augenblick zu friedlicher Vermittelung oder zum Eingehen ehrenvoller Neutralität gebotene Hand des Gegners starr zurückgewiesen, kam es bei Langensalza (27. Juni) zwischen der nach dem Süden aufbrechenden hannöverschen Armee und der numerisch weit geringern Avantgarde Falckensteins unter General Flies zu einem blutigen Zusammenstoß, aus dem zwar die Hannoveraner siegreich hervorgingen, aber die Überzeugung gewannen, daß sie auf die Dauer der preußischen Übermacht nicht widerstehen könnten. So ward denn aufs neue unterhandelt und 29. Juni eine Kapitulation vereinbart, laut welcher die Munition und das Kriegsmaterial den Preußen übergeben, die Mannschaften entwaffnet und nach Hause geschickt wurden, die Offiziere ihre Degen behielten, allein mit der Verpflichtung, dieselben in dem gegenwärtigen Krieg nicht gegen Preußen zu gebrauchen. Der König wie der Kronprinz endlich erhielten unter Zusicherung ihres Privatvermögens die Erlaubnis, ihren Wohnsitz außerhalb Hannovers zu nehmen, wo es ihnen beliebe. Bekanntlich begab sich Georg V. mit einem kleinen Kreis treuer Anhänger nach Hietzing bei Wien.

Am 20. Sept. ergriff der König von Preußen mittels Patents vom Königreich H. Besitz, das dem preußischen Staat mit Beibehaltung seiner Einteilung in Landdrosteien, seines Konsistoriums etc. einverleibt wurde. Die preußische Verfassung ward 1. Okt. eingeführt. Die Bevölkerung konnte sich teilweise (namentlich der Adel, die lutherische Geistlichkeit und die Einwohner der Residenz) nicht mit der neuen Herrschaft befreunden. Die Beziehungen zum Welfenhof in Hietzing waren lebhaft und die Hoffnungen auf seine Wiederkehr keineswegs erloschen. Selbst nach dem Krieg von 1870 regten sich die welfischen Agitationen wieder, zumal der Sohn Georgs V., der Herzog von Cumberland, nach seines Vaters Tod (12. Juni 1878) die Gelegenheit der Versöhnung mit Preußen nicht ergriff, sondern seine Successionsrechte in vollstem Umfang wahrte. Freilich erklärten die Anhänger des Welfentums, daß sie die Wiederherstellung des selbständigen Königreichs H. nur auf gesetzlichem Weg durch eine freie That der deutschen Fürsten und Völker erstrebten. Die preußische Regierung fuhr inzwischen fort, die Provinz mehr und mehr mit dem preußischen Staat zu verschmelzen, und führte 1885 eine neue Provinzial- und Kreisordnung ein, durch welche die Landdrosteien in Regierungsbezirke verwandelt, an die Spitze der Kreise Landräte gesetzt und infolge eines neuen Wahlgesetzes das Übergewicht der Ritterschaft im Provinziallandtag beseitigt wurde.

Vgl. Hüne, Geschichte des Königreichs H. und Herzogtums Braunschweig (Hannov. 1824-30, 2 Bde.); Havemann, Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg (2. Aufl., Götting. 1855-57, 3 Bde.); Schaumann, Handbuch der Geschichte der Lande H. und Braunschweig (Hannov. 1864); Heinemann, Geschichte von Braunschweig und H. (Gotha 1883-1886, Bd. 1 u. 2); Köcher, Geschichte von H. und Braunschweig 1648-1714 (Leipz. 1884 ff.); Ebhardt, Die Staatsverfassung des Königreichs H. (Hannov. 1860); Grotefend, Geschichte der landständischen Verfassung des Königreichs H. (das. 1857); Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs H. von 1832 bis 1860 (2. Aufl., Berl. 1868, 2 Bde.); v. Sichart, Geschichte der königlich hannöverschen Armee (das. 1866-71, 4 Bde.); Meding, Memoiren zur Zeitgeschichte (Leipz. 1881-84, 3 Bde.); von der Wengen, Geschichte der Kriegsereignisse zwischen Preußen und H. 1866 (Gotha 1885).

Hannover (hierzu der Stadtplan), Hauptstadt der gleichnamigen preuß. Provinz sowie des gleichnamigen Regierungsbezirks (s. unten), Stadtkreis, liegt unter 52° 20' nördl. Br. und 9° 45' östl. L. v. Gr., in einer sandigen, aber wohl angebauten Ebene, 55 m ü. M., an der Leine, die hier die Ihme aufnimmt. H. besteht aus der Altstadt, der schönen, erst 1746 angelegten Ägidien-Neustadt auf dem rechten Leineufer, der Kalenberger Neustadt zwischen Leine und Ihme (schon im 13. Jahrh. vorhanden, aber erst seit 1714 mit Stadtgerechtigkeit versehen), den frühern Vorstädten Gartengemeinde und Glocksee und der seit 1845 am Bahnhof entstandenen Ernst-August-Stadt. Jenseit der Ihme liegt der Vorort Linden. Die neuen Stadtteile, welche den alten Kern im N., O. und SO. umgeben, sind durchaus regelmäßig gebaut und in ihren meist breiten, geraden Straßen mit prächtigen Gebäuden besetzt, meist Leistungen der hannöverschen Architekturschule, die H. zu einer der schönsten Städte Deutschlands machen. Von Straßen sind namentlich hervorzuheben: die Friedrichs- und Königsstraße, die Karmarsch-, Grupen- und Ständehausstraße (mit elektrischer Beleuchtung), die Straße "Am Schiffgraben", besonders aber die Georgsstraße, die, wie die Friedrichsstraße, nur auf einer Seite Häuser hat und mit lauter palastähnlichen Gebäuden besetzt ist, vor denen angenehme Alleen und Boskette sich hinziehen. Unmittelbar neben modernen Straßen stehen im Innern der Stadt schmale mittelalterliche Häuser mit hohen Giebeln und Ecken, besonders in der Schmiede- und Marktstraße. Von öffentlichen Plätzen sind zu nennen: der Ernst-August-Platz am Bahnhof, mit hübschen Teppichbeetanlagen und dem Reiterstandbild des Königs Ernst August, modelliert von A. Wolff, der Theaterplatz mit dem Bronzestandbild des Komponisten H. Marschner, modelliert von Hartzer, und den Denkmälern des Generalstabsarztes Stromeyer und des Gründers der technischen Hoch-^[folgende Seite]

^[Abb.: Wappen der Stadt Hannover.]