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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Heilig; Heiligbutt; Heilige

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Heilig - Heilige.

gebrauchen, hat aber den größten Einfluß auf die Gestalt der Knochen und der Gelenke. Durch fehlerhaften Muskelzug können die Knochen sich ganz allmählich, zumal während der Wachstumsperiode, aber auch noch später bei dem Erwachsenen, verkrümmen, die Gelenkköpfe und Gelenkgruben eine fehlerhafte Gestalt und falsche Stellung zu einander annehmen. So wie nun hier die falsche Thätigkeit der Muskeln gegen den Willen des Kranken zu Verkrümmungen der Glieder etc. führt, so wird eine absichtliche, methodisch fortgesetzte Übung der entsprechenden Muskeln auch das Gegenteil, nämlich Rückbildung der falschen Haltung zur normalen Stellung und Form, zu bewirken vermögen. Dasselbe Ziel verfolgt die schwedische H., deren systematische Anwendung auf den Schweden Pehr Henrik Ling (s. d.) zurückzuführen ist; nur legt sie einen besondern Wert auf die passiven, d. h. durch den Arzt mit den Gliedern des Patienten methodisch ausgeführten, Bewegungen gewisser Muskelgruppen, durch welche sie auf die Blutverteilung und überhaupt auf die Kreislaufsverhältnisse in allen Körperteilen einzuwirken sucht, um auf diese Weise die Ernährungsvorgänge, somit auch krankhafte Prozesse, zu beeinflussen und je nach Lage des Falles im Sinn der Heilanzeige zu regulieren. Dieses Prinzip der schwedischen H. ist ein ganz richtiges, und es kommt nur darauf an, wie man es ausführen, gegen welchen Teil man es richten, mit welchen Bewegungen man auf denselben einwirken will. Man sieht leicht ein, daß nur ein wissenschaftlich durchgebildeter Arzt im stande sein wird, das an sich richtige Prinzip auf jeden Einzelfall richtig anzuwenden. Außerdem benutzt die schwedische H. auch noch andre Methoden; namentlich sucht sie durch methodisches Kneten (Massage, s. Knetkur), Drücken und Klopfen der äußerlich zugänglichen Teile die Bewegungen ganzer Glieder in den Gelenken zu ersetzen. Vgl. Rothstein, Die Gymnastik nach dem System des schwedischen Gymnasiarchen P. H. Ling (Berl. 1848-59, 5 Hefte); Schreber, Kinesiatrik oder die gymnastische Heilmethode (Leipz. 1852); Derselbe, Ärztliche Zimmergymnastik (19. Aufl., das. 1884); Eulenburg, Die schwedische H. (Berl. 1853); Seeger, Diätetische und ärztliche Zimmergymnastik (Wien 1878); Unman, Die schwedische H. (Hamb. 1880); Averbeck, Die medizinische Gymnastik (Stuttg. 1882); Barwinski, Die Gymnastik als Erziehungs- und Heilmittel (Weim. 1886).

Heilig, von Heil, also s. v. w. in seiner Vollkommenheit nicht nur noch unverletzt, sondern auch unverletzlich, unantastbar, dann s. v. w. schlechthin gut, sittlich vollkommen, makellos. Seine Wurzeln hat dieser Begriff teils im römischen Kultus, wo er das dem gemeinen Gebrauch Entzogene, höhern Zwecken Gewidmete (sacer, sanctus), teils im Alttestamentlichen, wo der Ausdruck (kadosch), von Gott ausgesagt, dessen Unterschiedenheit von allem Irdischen, seine Unvergleichlichkeit und Erhabenheit, von Irdischem ausgesagt, dessen Zugehörigkeit zu Gott, Gottgeweihtheit bedeutet. Vgl. Baudissin, Studien zur Religionsgeschichte, Bd. 2 (Leipz. 1878).

Heiligbutt, s. v. w. Heilbutt, s. Schollen.

Heilige (lat. Sancti), nach der katholischen Kirchenlehre solche Verstorbene, welche sich durch ihr Leben und Sterben qualifiziert haben, als Fürsprecher bei Gott und Christus von den Menschen verehrt und angerufen zu werden. Da nun aber in der alten Kirche schon der Fürbitte der Märtyrer und Bekenner, solange sie noch lebten, eine von Kirchenstrafen befreiende Macht beigelegt wurde, so lag es unter der Voraussetzung, daß die Gemeinschaft der Kirche durch das sinnliche Absterben ihrer Glieder keine Unterbrechung erleide, nahe genug, von der Fürbitte der verklärten Heiligen bei Gott um so Größeres zu erwarten. Hatten ferner schon seit Ende des 2. Jahrh. ganze Gemeinden das Andenken ihrer Blutzeugen (ihre Dies depositionis, s. d.) gefeiert, an ihren Gräbern die Geschichte ihres Bekenntnisses und Leidens vorgetragen, so ging diese Gedächtnisfeier bald in Verehrung über, und zwar waren es gerade die angesehensten Kirchenlehrer und Bischöfe des 4. und 5. Jahrh., welche die Martyrolatrie empfahlen. Als die Gelegenheit, zum Martyrium zu gelangen, verschwand, wurden Eremiten und Mönche seit dem Anfang des 5. Jahrh. schon bei ihren Lebzeiten zu Heiligen gestempelt. Bereits im Anfang des 5. Jahrh. eiferte Vigilantius in Barcelona vergeblich gegen die Heiligenverehrung; Hieronymus, der als ungestümer Verteidiger derselben auftrat, hatte die Sympathien des Volkes auf seiner Seite, welches in den Heiligen eine Entschädigung für seine Untergottheiten, Genien, Heroen etc. gefunden hatte. Man ordnete nicht nur in den einzelnen Kirchen besondere Feste an zum Andenken gewisser Heiligen, sondern es ward auch schon im 4. Jahrh. in der orientalischen Kirche, wo die Zahl der Heiligen überhaupt früher zum Abschluß kam, später auch im Abendland das Fest Allerheiligen (s. d.) gefeiert. Seitdem wurden den Heiligen auch besondere Kirchen erbaut, in welchen man ihre Reliquien aufbewahrte, und wo man, wie früher in den Göttertempeln, Abbildungen der Glieder, deren Heilung man der Fürbitte eines Heiligen zu verdanken glaubte, als Weihgeschenke aufhängte. So entstanden dann die besondern Schutzheiligen oder Patrone für einzelne Kirchen, Städte, Länder und gegen gewisse Übel und Gefahren. England z. B. verehrte den heil. Georg als Schutzpatron, Spanien den heil. Jakob, Ungarn den heil. Stephan. Die Juristen hatten sich den heil. Ivo, Schüler und Studierende den heil. Gregorius, die Maler den heil. Lukas, die Zimmerleute den heil. Joseph, die Schuhmacher den heil. Crispinus, die Musiker die heil. Cäcilia als Schutzpatrone auserkoren. Gegen die Pest rief man die Heiligen Rochus und Sebastian, gegen Augenleiden die Heiligen Ottilia, Clara und Lucia an. Selbst auf die Tiere erstreckte sich der Schutz der Heiligen; die Gänse z. B. schützte der heil. Gallus, die Schafe der heil. Wendelin etc. Der Cyklus der Heiligen erhielt in der Jungfrau Maria erst seinen eigentlichen Mittelpunkt; sie, das vollkommenste Ideal weiblicher Heiligkeit, tritt an die Spitze der heiligen Schar als die Königin aller Heiligen. Alle in der Heiligen Schrift erwähnten Personen, welche für die Wahrheit irgend gelitten oder ihr Leben im Dienst Gottes aufgeopfert hatten, traten gleichfalls in die Zahl der Heiligen ein und erhielten besondere Festtage, so die Apostel, die Evangelisten etc. Endlich meinte man auch Männern, welche für die Rechtgläubigkeit gestritten hatten, z. B. Athanasius von Alexandria, Leo von Rom, Ambrosius von Mailand, Augustinus von Hippo, Martin von Tours u. a., die den Märtyrern und Konfessoren ("Bekennern", s. Confessor) bewilligte Ehre nicht versagen zu dürfen. Gleichzeitig bildete die Wundersucht nicht bloß die Heiligenlegende immer üppiger aus, sondern die fromme Phantasie erfand auch nicht wenige H., von welchen die Geschichte nichts weiß. Nachdem zuerst die morgenländische Kirche im zweiten nicäischen Konzil (787) den Heiligendienst kirchlich fixiert hatte, unternahm es auch die abendländische Scholastik, den