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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Hieroglyphen

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Hieroglyphen (Entzifferung).

lungen ausgehen konnte. Man unternahm zuerst die Erklärung der mittlern Abteilung, welche die demotische Schrift enthält. Silvestre de Sacy, welcher in der "Lettre au citoyen Chaptal" (Chaptal war damals Minister des Innern) die Resultate seiner Vergleichung des griechischen und demotischen Textes mitteilte, hielt die hieroglyphische Schrift für durchgängig ideographische oder Wortschrift, die hieratische, die er in Papyrusrollen richtig erkannt hatte, für syllabisch oder alphabetisch, die demotische aber für eine Buchstabenschrift; doch konnte er noch nicht die einzelnen Lautzeichen entziffern und unterschied nur eine Anzahl Gruppen, welche die Namen Ptolemäos, Arsinoe, Alexander enthielten. Der schwedische Diplomat Akerblad ("Lettre au citoyen Silvestre de Sacy sur l'inscription de Rosette", Par. 1802) bestimmte daraus die phonetische Bedeutung der einzelnen Schriftzeichen in den Namen Ptolemäos, Alexander, Arsinoe, Berenike und noch sechs andern.

Einen weitern Schritt zum Verständnis der Hieroglyphenkunde that 1814 der englische Arzt Thom. Young, der 1815 in dem Cambridger "Museum criticum" eine mutmaßliche Übersetzung des ganzen demotischen Teils der Inschrift von Rosette, die Entzifferung sämtlicher darin vorkommender Eigennamen und außerdem die Erklärung von 80 andern Wörtern und ein aus diesen Erklärungen sich ergebendes demotisches Alphabet veröffentlichte. Da aber noch immer der größere Teil der demotischen Schriftzeichen unlesbar blieb, so kam Young zu der Ansicht, daß viele Wörter nicht alphabetisch geschrieben seien, sondern symbolisch, durch Abkürzung oder flüchtige Zeichnung der gleichbedeutenden hieratischen und hieroglyphischen Schriftgruppen. Aber alle diese Versuche zur Entzifferung der geheimnisvollen Schrift waren immer noch sehr unvollkommen und wenig förderlich; die H. waren und blieben ein ungelöstes Rätsel, und kein Mensch hätte auch nur annähernd zu sagen vermocht, was die zahllosen ägyptischen Schriften enthielten. Da bemächtigte sich im Anfang der 20er Jahre dieser Frage J. François Champollion der jüngere (s. d.), der durchdringenden Scharfsinn mit rastlosem Fleiß verband. Er wurde der Entzifferer der Hieroglyphenschrift, indem er erkannte, daß dieselbe aus alphabetischen oder phonetischen und ideographischen Zeichen gemischt ist; er fand das Alphabet und den Schlüssel für die Mehrzahl der Zeichen und erlangte so den Zutritt zum letzten und ältesten Gemach im Tempel der Geschichte. Epochemachend war seine berühmte "Lettre à M. Dacier relative à l'alphabet des hiéroglyphes phonétiques" (Par. 1822), worin er auf Grund der Analyse einer Reihe von Königsnamen ein hieroglyphisches Alphabet aufstellte, welches, wenn es auch noch unvollständig war, sich doch bei der Erklärung von Inschriften, auf denen dieselben Zeichen vorkamen, als richtig bewährte. Sehr förderlich war für Champollions Untersuchungen die von Bankes 1821 nach England gebrachte hieroglyphische und griechische Inschrift des 1815 aufgefundenen Obelisken von Philä. Die hieroglyphische Inschrift enthält hier zwei von Ringen (cartouches) eingeschlossene Schriftgruppen, deren eine schon aus der Rosetteschen Inschrift als der Name Ptolemäos bekannt war; die andre erkannte Champollion, von der griechischen Inschrift am Fußgestell des Obelisken geleitet, für den Namen Kleopatra. Von seiner irrigen, noch in der "Lettre à M. Dacier" festgehaltenen Meinung, daß die phonetische Bedeutung der einzelnen H. sich nur auf die Eigennamen beschränke, der übrige Text aber aus rein ideographischen Zeichen bestehe, kam Champollion erst in seinem "Précis du système hiéroglyphique" (Par. 1824) zurück, indem er darin nachwies, daß das in den Eigennamen aufgefundene Alphabet auch auf andre Hieroglyphengruppen anwendbar sei, in denen dieselben Zeichen wiederkehren. Die vollständigen Resultate seiner Untersuchungen enthält die erst nach seinem Tod erschienene "Grammaire égyptienne" (Par. 1836-41), eine Darlegung des Systems der hieroglyphischen Schrift und der Grundzüge der darin erhaltenen Sprache. In diesem und den gleichfalls posthumen Werken Champollions: "Dictionnaire égyptien en écriture hiéroglyphique" (Par. 1841-44), den "Notices" und den "Monuments", in denen die Resultate einer wissenschaftlichen Reise nach dem Nilthal niedergelegt sind, sehen wir den ganzen Reichtum von Erkenntnis, den dieser erste Hierogrammat der Neuzeit sich zu eigen gemacht hatte. Den zu früh verstorbenen Meister überholten bald, sich ihm anschließend, in Italien I. ^[Ippolito] Rosellini, welcher ein wertvolles Werk: "Monumenti" mit Kommentar herausgab, in den Niederlanden Konr. Leemans, welcher die reiche Leidener Sammlung ägyptischer Altertümer durch Veröffentlichung zugänglich machte, in Deutschland Rich. Lepsius, der Begründer einer kritischen Methode und der Grundleger der ägyptischen Geschichte und Chronologie, in England Sam. Birch, der alsbald längere Texte, hieroglyphische und hieratische, übersetzte und das erste vollständigere Wörterbuch verfaßte, in Frankreich Eman. de Rouge, der zuerst genaue grammatische Analysen lieferte und ein vielfach berichtigtes Verzeichnis der Charaktere mit ihren Lautwerten aufstellte. Die vom König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1842-45 unter Lepsius' Leitung nach Ägypten entsandte wissenschaftliche Expedition ergab als bedeutende Resultate eine wertvolle Sammlung von Altertümern, die dem ägyptischen Museum in Berlin einverleibt wurde, und die Veröffentlichung der Denkmäler Ägyptens und Nubiens in einem Prachtwerk.

Auf die Arbeiten der unmittelbaren Nachfolger Champollions stützten sich die spätern Ägyptologen, welche teils durch Veröffentlichung neuer Texte, teils durch Übersetzungen und grammatische Untersuchungen, teils durch sachliche Kommentare die Wissenschaft erweiterten und bereicherten. Es sind hier besonders die folgenden deutschen, österreichischen, schweizerischen, französischen, italienischen, niederländischen, englischen und russischen Gelehrten zu nennen: Baillet, v. Bergmann, Bouriant, Brugsch, Chabas, Cooke, Devéria, Dümichen, Ebers, Eisenlohr, Erman, Gensler, Golenischew, Goodwin, Grébaut, Green, Guiyesse, v. Gumpach, de Horrack, Krall, Lanzone, Lauth, Lefébure, Le Page Renouf, Levi, Lieblein, Lincke, Loret, Lushington, Mariette, Maspero, Meyer, Naville, Piehl, Pierret, Pietschmann, Pleyte, Reinisch, Révillout, Romieu, Rossi, Jacques de Rougé, Schiaparelli, Sharpe, Stern, Wiedemann. Nachdem das wahre System der Hieroglyphenschrift entdeckt war, wurde es später leichter, auch die aus ihr abgeleitete hieratische und demotische Schrift zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß es andre Wege der Entzifferung als den von Champollion betretenen nicht gibt. So sind die von Röth gemachten Übersetzungen ganz unbegründet und phantastisch, und ebenso findet sich in den frühern Schriften von Gulianow, Spohn, Seyffarth, Uhlemann keine richtige Deutung der Hieroglyphenschrift. Die Richtigkeit der Methode, welche die Champollionsche Schule befolgte, wurde 1866 auf das glänzendste durch den ganz unerwarteten Fund eines neuen umfangreichen Dekrets in