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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Hieroglyphen

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Hieroglyphen (System der Schrift, altägyptische Sprache).

drei Sprachen bestätigt. Auf einer Reise durch das Nildelta fand nämlich Lepsius unweit des heutigen San, des alten Zoan oder Tanis, einen Stein, der einen und denselben Text unversehrt in hieroglyphischer, demotischer und griechischer Fassung enthielt. Diese Inschrift ("Dekret von Kanopos", 1866), von deren hieroglyphischem Teil man 1881 ein Duplikat bei Damanhûr gefunden hat, ist für die ägyptologische Wissenschaft von großer Bedeutung gewesen. Sie erschien in einer neuern Ausgabe von P. Pierret: "Le décret trilingue de Canope" (Par. 1881).

III. Das System der hieroglyphischen Schrift,

wie es nun sich immer deutlicher und klarer enthüllt hat, ist deshalb so lange verborgen geblieben, weil es ein mannigfaltiges Gemisch aus lautlichen und stummen oder figürlichen Zeichen ist. Mag immerhin der Anfang der Schrift ein ideographischer gewesen sein, so daß man z. B., um das Wort Krokodil zu schreiben, das Tier zeichnete, so mußte sich doch solche Art der Schrift sehr bald als unzulänglich erweisen, auch zu fortwährenden Zweideutigkeiten Anlaß geben. Soweit wir auch die Hieroglyphenschrift verfolgen können, ist sie eine wesentlich phonetische Schrift, d. h. eine solche, welche zunächst und vorwaltend den Laut der Wörter ausdrückt. Die Entwickelung der hieroglyphischen Schrift ist folgendermaßen zu erklären. Ihre Grundlage bildet ein Alphabet von etwa 25 Buchstaben, das mit dem semitischen ziemlich übereinstimmt; neben jedem alphabetischen Zeichen existieren noch einige Varianten, welche mitunter eine Modifikation der Aussprache des folgenden Vokals bedingen. Die kurzen Vokale nämlich, welche im Inlaut zu sprechen sind, werden gewöhnlich, wie im Semitischen, nicht geschrieben; wollte man zod schreiben, so setzte man nur zd. Die einfache alphabetische Schrift genügte den Ägyptern aber nicht; denn da die Sprache eine kurze, meist noch einsilbige war, so würde eine rein alphabetische Schrift, die noch dazu die Vokale meist unbestimmt ließ, sehr häufig an erheblicher Unklarheit und Vieldeutigkeit gelitten haben, zumal wo nicht der Accent und der Vortrag des Sprechenden der Auffassung zu Hilfe kam. Daher fügte die Schrift hinter den Buchstaben der Wörter meist ein bestimmendes ideographisches Zeichen hinzu (ein Determinativ). Auch setzte man wohl mehrere Determinative zu einem Wort, um den Begriff noch genauer zu bestimmen; z. B. set, schießen, hat außer einem vom Pfeil durchbohrten Tierfell noch einen mit einem Instrument versehenen Arm zum Determinativ, um eine Handlung zu bezeichnen; das gleiche Zeichen findet sich bei den meisten Verben. Zod, sagen, determinierte man durch einen Mann, der die Hand an die Lippen hält; am, essen, sura, trinken, desgleichen, und dem letztern Wort fügte man außerdem noch drei Wellenlinien bei, um zu bezeichnen, daß der Begriff des Wortes mit dem Wasser in Verbindung stehe. Manche von diesen Determinativen sind ganz speziell und bezeichnen den Begriff des Wortes selbst, wie z. B. das Krokodil hinter msah den Namen dieses Tiers; andre sind generell und bezeichnen nur eine Kategorie von Begriffen, in welche auch der fragliche fällt, wie z. B. der bewaffnete Arm, oder der Sperling, der sich hinter allen Wörtern befindet, welche klein, elend, krank, schwach, traurig, einsam, schlecht, boshaft, arm u. dgl. bedeuten. Diese Methode der Determination ist im hieroglyphischen Schriftsystem allgemein geworden, so daß fast nur grammatische Partikeln eines Determinativums entbehren. Zur weitern Vereinfachung dieses deutlichen, aber etwas umständlichen Systems ließ man die alphabetischen Zeichen bei vielen sehr bekannten Wörtern fort und schrieb also z. B. nur das Tierfell mit dem Pfeil, wo man set, schießen, schreiben wollte, mit Hinzufügung des bewaffneten Arms; man zeichnete nur den Säemann, wo man set, säen, ausdrücken wollte, etc. Höchstens fügte man noch das anlautende s oder das auslautende t hinzu, um recht deutlich zu sein, und endlich gebrauchte man das ursprünglich nur Einen Begriff determinierende Zeichen überhaupt und in vielen Wörtern, welche die Aussprache set hatten, allerdings unter Hinzufügung andrer determinierender Zeichen, namentlich der generellen Art. Weiter geschah es, daß selbst generelle Determinative, die an sich vielen Wörtern zukamen, wo ihre Bedeutung aus dem Zusammenhang ersichtlich war, als Abkürzung des ganzen Wortes gesetzt wurden, wie z. B. der Sperling sich gelegentlich für das Wort schera, klein, findet. Auf diesem fortwährenden Übergang ideographischer Zeichen in phonetische beruht das Wesen der Hieroglyphenschrift; es ist unmöglich, eine Klasse von phonetischen und eine Klasse von ideographischen Charakteren aufzustellen, weil jene aus diesen fortwährend entstehen und es zufällig ist, wenn etwa ein ideographisches Zeichen nicht in phonetischer Verwendung vorkommen sollte. Insofern die Zeichen phonetisch sind, d. h. gesprochen werden, sind sie entweder primär (die alphabetischen Zeichen), oder sekundär (die aus speziellen Determinativen entstandenen Silbenzeichen), oder tertiär (die aus generellen Determinativen entstandenen Wortzeichen). Die Schrift aller Epochen führt uns alle Stadien dieses Systems gleichmäßig vor, und wenn wir die Buchstaben eines Wortes mit a und b bezeichnen, das spezielle Determinativ mit x, das generelle mit y, so könnte dies Wort auf sechs Weisen geschrieben werden: 1) ab, 2) ab+x+y, 3) a+x+y, 4) x+b+y, 5) x+y, 6) y. Freilich werden nicht bei allen Wörtern diese sechs Möglichkeiten durchgeführt; bei den meisten hat die Praxis sich vielmehr für die eine oder die andre entschieden. Anderseits kommen aber von vielen Wörtern mehrere Varianten vor, und es leuchtet ein, daß dieselben für die rasche Entwickelung der Wissenschaft von großem Nutzen waren. In den Zeiten der Ptolemäer mehrte sich die Zahl der Zeichen außerordentlich, da man weniger Sorgfalt auf die Ausführung als auf Mannigfaltigkeit und Künstlichkeit verwandte; man ließ jetzt die alphabetischen Zeichen entweder ganz aus, oder erfand neue alphabetische Zeichen nach einem willkürlichen System, welches man das akrophonische nennen kann. Nach demselben verwandte man die speziellen Determinative und selbst auch die generellen phonetisch für den anlautenden Buchstaben ihres Wortes. Man ließ also (um bei jenem Beispiel zu bleiben) x nicht ab bezeichnen, sondern vielmehr nur ein einfaches a, und da ein Determinativzeichen nicht selten mehreren Wörtern verschiedenen Lauts zukam, also polyphones Phonetikum werden konnte (wie x z. B. auch für ba stehen könnte), so konnte es auch für b eintreten. Dies machte die Texte sehr dunkel und schwierig zu entziffern; der Tempel von Esneh, der späteste, liefert eine Fülle rätselhafter Texte dieser Art.

IV. Die altägyptische Sprache.

Die Entzifferung der Schrift ist natürlich nur der erste Schritt im Studium der H., der zweite und schwierigere ist die Erklärung der Sprache. Das Altägyptische ist eine vielfach noch einsilbige Sprache und steht zwischen den isolierenden Sprachen (wie dem Chinesischen) und den agglutinierenden (wie dem Türkischen) in der Mitte. Es hat noch nicht eigentliche