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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Hystáspes; Hysteralgie; Hysterie

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Hystaspes - Hysterie.

Hystáspes (pers. Vashtaspa), Vater des pers. Königs Dareios I. (521-485 v. Chr.), drang in unbekannte Gegenden Oberindiens vor, erwarb sich dort bei den Brahmanen eine hohe Bildung und teilte dieselbe nach seiner Rückkehr den Magiern mit. Er war zuletzt Statthalter von Persis. Auch ein Sohn des Dareios I. hieß H. und nahm am Zug des Xerxes gegen die Griechen 481-480 teil.

Hysteralgie (griech.), Gebärmutterschmerz.

Hysterie (griech., v. hystera, "Gebärmutter", Mutterweh), eine Seelenstörung, die, äußerst wechselvoll in ihren Erscheinungen, dadurch charakterisiert ist, daß eine krankhafte Erregbarkeit vom "himmelhoch Jauchzen zum Tode betrübt" durch geringe äußere Anlässe hervorgerufen wird, und daß die verschiedensten Stimmungen in raschem, unmotiviertem Wechsel einander ablösen. Die Krankheit hat sehr viel Dunkles; am wahrscheinlichsten ist die Annahme, daß der H. eine nicht näher zu bezeichnende Ernährungsstörung des gesamten Nervensystems, der zentralen wie der peripherischen Teile desselben, zu Grunde liege. Da die H. im strengern Sinne nur beim weiblichen Geschlecht und zwar vorzugsweise von der Zeit der Pubertätsentwickelung an bis zum Erlöschen der Geschlechtsfunktionen beobachtet wird, und da in vielen Fällen Krankheiten der Geschlechtsorgane die H. begleiten, so hat sich die Ansicht gebildet, daß die H. eine von den Nerven der Geschlechtsorgane ausgehende Störung des gesamten Nervensystems sei. Bei vielen Fällen von H. trifft diese Ansicht allerdings vollkommen zu. Dagegen wäre es verfehlt, wenn man in allen Fällen, wo keine nachweisbaren Erkrankungen, namentlich chronische Entzündungen, der weiblichen Beckenorgane vorliegen, die H. von widernatürlicher Aufregung und Befriedigung des Geschlechtstriebs herleiten wollte. Das häufige Vorkommen der H. bei kinderlosen Frauen, jungen Witwen und alten Jungfern, zumal in den höhern Gesellschaftskreisen, ist weit mehr von psychischen als von körperlichen Einflüssen herzuleiten. Ähnliches gilt von dem häufigen Fall, daß Frauen hysterisch werden, welche an impotente Männer verheiratet sind. Überhaupt beruht die H. oft auf dem dunkeln Gefühl und dem niederschlagenden Bewußtsein eines verfehlten Lebens, wie es z. B. eintritt, wenn die Ehe nicht den gemütlichen Anforderungen entspricht, zu welchen die Frau berechtigt ist. Das häufige Vorkommen der H. bei Blutarmut und Bleichsucht, ohne daß die bisher aufgezählten ursachlichen Momente vorhanden sind, ist ein Beweis dafür, daß die H. auf abnorme Ernährung des ganzen Nervensystems zurückzuführen ist. Es besteht bei den einzelnen Individuen eine sehr verschiedene Disposition zur H.; ja, es scheint sogar, als ob eine, sei es angeborne, sei es erworbene, Anlage zur H. bei der Entstehung dieser Krankheit ebensosehr in die Wagschale fiele als die bisher erwähnten ursachlichen Einflüsse. Vor dem 12.-15. Jahr zeigen sich nur selten deutliche Spuren der H., auch im Alter wird die Krankheit selten beobachtet; wohl aber dauert die H. auch nach dem Erlöschen der Geschlechtsfunktionen in mäßigerm Grad fort. Nicht selten ist die Anlage zur H. ganz unverkennbar eine angeborne, und vom allergrößten Einfluß auf dieselbe ist die Lebensweise und die Erziehung. Dadurch, daß man die Kinder zum Fleiß und zur Selbstbeherrschung anleitet, daß man heranwachsende Mädchen nicht den ganzen Tag über stricken und nähen und ähnliche Arbeiten verrichten läßt, bei denen sie ihren Gedanken und Träumereien ungestört nachhängen können, daß man sie ferner vor schlechter Lektüre bewahrt, durch welche sie mit überspannten Ideen vertraut gemacht werden: dadurch wird man sie am besten vor der Gefahr schützen, später hysterisch zu werden.

Das Symptomenbild der H. ist dem größten Wechsel unterworfen. Die häufigsten Erscheinungen der H., welche fast nie fehlen, sind Sensibilitätsstörungen. Unter ihnen tritt namentlich die allgemein gesteigerte Empfindlichkeit hervor, welche Laien gewöhnlich als Nervenschwäche bezeichnen. Zuweilen äußert sich diese als ganz ungewöhnliche Schärfe der Sinne, namentlich des Geruchs und des Geschmacks, welche auf Menschen von niederer Bildungsstufe leicht den Eindruck des Wunderbaren macht und deshalb vielfach zu Betrügereien benutzt wird. Häufiger gibt sie sich durch das Unbehagen zu erkennen, welches schon durch schwache Reizungen der Sinnesnerven bei ihnen hervorgebracht wird. Manche Hysterische dulden keine Blume im Zimmer, weil sie ihnen zu stark riecht; sie können das Tageslicht nicht ertragen und schließen daher die Läden der Fenster; sie verlangen, daß man sich nur leise flüsternd mit ihnen unterhalte, denn lautes Sprechen ist ihnen unerträglich, etc. Zu dieser übergroßen Empfindlichkeit gesellen sich oft sogen. Idiosynkrasien. Gewisse Reize nämlich, welche Gesunden im höchsten Grad widerwärtig sind, verursachen durch ihre Qualität den Hysterischen ein Gefühl von Behagen, und umgekehrt werden Hysterische durch solche Eindrücke schwer verletzt, welche Gesunden angenehm sind. Hysterische lieben z. B. den Geruch verbrannter Federn, nehmen Asa foetida ohne Widerstreben zu sich, finden aber den Geruch des Veilchens unausstehlich. Ferner kommen bei der H. im Bereich der sensibeln Nerven auch Zustände wirklich krankhafter Erregung vor. Hierher gehören die verschiedenen Neuralgien, der Gesichtsschmerz, die Migräne, die Ischias etc.; dann der heftige Schmerz, welcher an einer kleinen Stelle des Kopfes, gewöhnlich neben dem Scheitel, bei vielen Hysterischen vorkommt und unter dem Namen Clavus hystericus (der Nagel) bekannt ist; ferner der fast nie fehlende Rückenschmerz und endlich ein höchst eigentümliches Gelenkleiden (Arthropathia hysterica), welches in einer oft enormen Schmerzhaftigkeit des befallenen Gelenks besteht und wegen seiner Hartnäckigkeit leicht mit einer schweren Gelenkentzündung verwechselt werden kann. Auch an den Sinnesnerven kommen krankhafte Erregungszustände vor: die Kranken klagen über einen bestimmten Geruch, einen bestimmten Geschmack, der sie nie verläßt, etc. Merkwürdigerweise kommt neben diesen Erscheinungen auch Anästhesie, also abgestumpfte Empfindlichkeit, an größern und kleinern Körperstellen vor. Indessen ist es sehr schwer, die Abstumpfung der Empfindlichkeit zu konstatieren, da viele Hysterische sich darauf kaprizieren, keine Schmerzempfindungen zu äußern, wenn man sie an bestimmten Stellen kneipt, brennt oder sticht.

Wichtige und häufige Symptome der H. sind weiterhin gewisse krankhafte Schmerzempfindungen in den innern Organen. Die Hysterischen haben von dem jeweiligen Zustand ihrer Eingeweide die mannigfachsten und wunderbarsten Empfindungen. Fast alle Hysterischen klagen über Herzklopfen, viele über lästiges Pulsieren ihrer Schlagadern, obschon Herzschlag und Puls sich normal verhalten. Ebenso ist es mit dem Atmungsbedürfnis. Die Kranken klagen über heftige Beklemmung, obschon nicht die geringste Störung auf der Brust nachweisbar ist. Fast alle Hysterischen klagen, auch wenn ihre Verdauung ganz gut von statten geht, über Druck und Völle in