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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Inschriften

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Inschriften (Klassen, Alter und Verbreitung).

nen etc. und die Sitzungsprotokolle derselben. Unter der Masse dieser I. ragen durch historische Wichtigkeit hervor unter andern die sogen. Fasti Capitolini, d. h. das unter Kaiser Augustus in den Wänden der Regia, der Wohnung des Pontifex maximus, eingegrabene Verzeichnis der Konsuln des römischen Staats und der Triumphe, von Anfang Roms beginnend; ferner die Sitzungsprotokolle der Arvalen, die Acta der Arvalbrüder (s. d.), welche uns in großer Menge aus der Zeit von Augustus bis auf Gordianus erhalten sind.

Die Privaturkunden sind so mannigfacher Art, daß es nicht möglich ist, hier in Kürze ein Bild von dieser Klasse von I. zu geben. Beispielsweise erwähnen wir die zahlreichen Freilassungsurkunden von Sklaven, mit denen die Fundamente des Tempels zu Delphi bedeckt sind. Hierher gehören die Beschlüsse von Privatkorporationen, womit diese einzelne aus ihrer Mitte, die sich um die Korporation verdient gemacht, durch Dekretierung von ehrenvollen Auszeichnungen belohnten, sowie die aus mehreren Städten Italiens erhaltenen Verzeichnisse von Grundstücken mit den auf Anlaß der milden Stiftungen des Kaisers Trajan für Waisen darauf gegen einen bestimmten Erbzins hypothekarisch angelegten Kapitalien. Auch Testamente, Schenkungen, Kauf- und Mietskontrakte finden sich unter dieser Klasse von Urkunden. Doch war es immerhin eine Ausnahme, daß solche Privaturkunden in Stein oder Bronze eingegraben und aufgestellt wurden. Gewöhnlich wurden sie auf mit Wachs überzogenen Holztäfelchen (tabulae ceratae) niedergeschrieben; solcher waren bisher nur wenige aus siebenbürgischen Bergwerken bekannt, bis 1875 ein Kasten mit mehreren Hundert Quittungen in dem Büreau eines Bankiers zu Pompeji aufgefunden wurde. Ebenfalls zu dieser Gattung von I. gehören die mancherlei öffentlichen und privaten Ankündigungen und Bekanntmachungen, wie z. B. die auf die Schauspiele bezüglichen sowie die Dipinti zu Pompeji, mit Farbe geschriebene Ankündigungen auf den der Straße zugekehrten Wänden der Häuser, zum großen Teil Wahlprogramme; hierher gehört auch, daß die Schüler oder der Rektor einer Bildungsanstalt zu Athen (des sogen. Diogeneion) jährlich eine Steintafel in den Räumen ihres Gymnasiums aufstellen ließen, sozusagen ein Jahresprogramm, in welchem die sämtlichen Schüler und Lehrer verzeichnet waren (von welcher Art von I. wir gerade eine sehr große Anzahl haben), oder daß ein griechischer Athlet in ruhmredigen Worten auf einer Steintafel der Welt seine Siege verkündigte, und vieles andre, das sich einzeln hier nicht aufführen läßt.

Ebenso mannigfach ist die zweite Hauptabteilung der griechischen und lateinischen I., die I. im engern Sinn oder Aufschriften. Die Hauptklassen derselben sind die Weih-, Ehren- und Grabinschriften. Die erstern sind I., die eine für die Götter bestimmte Weihung begleiten, oft auf dem Gegenstand selbst angebracht, bei Tempeln gewöhnlich auf dem Fries, bei Statuen auf dem Sockel. Für die sakralen Altertümer, für die Kenntnis der religiösen Seite des antiken Lebens wie für die Mythologie sind diese Art der I. eine wichtige Quelle. Die Ehreninschriften sind großenteils Aufschriften auf Sockeln von Ehrenstatuen, die für das römische Altertum, für Geschichte und Staatsrecht besonders dadurch von Wichtigkeit sind, daß die Römer auf denselben die Laufbahn des Geehrten, d. h. die Ämter, die er verwaltet, in chronologischer Reihenfolge aufzuführen pflegten. Die Grabinschriften endlich sind die bei weitem zahlreichste Klasse dieser Art I., die das antike Leben überall begleiten und die trotz ihrer Einfachheit, da sie oft nur den Namen und die Heimat des Verstorbenen nennen, doch von den Verhältnissen der Bevölkerung, wie z. B. von ihrer Mischung, ihrer Dichtigkeit, von dem Grad ihres Wohlstandes, ein treues Bild geben. Eine große Zahl derselben sind in Versen, von denen freilich nicht viele poetischen Wert haben. Von den übrigen Klassen der I., die in diese zweite Hauptabteilung gehören, verdienen noch erwähnt zu werden die Grenzsteine, die Meilensäulen, die Aufschriften auf Maßen und Gewichten sowie endlich die Stempel, namentlich von Ziegeln. Endlich gehört in diese Abteilung noch die große Masse der rein zufälligen inschriftlichen Vermerke, wie sie berufene und unberufene Hände zu allen Zeiten an vielbesuchten Orten als Andenken zurücklassen, z. B. die zahlreichen auf der Memnonssäule zu Memphis oder die aus dem 7. Jahrh. v. Chr. datierende Söldnerinschrift von Abu Simbal in Nubien, die der Anführer der griechischen Söldner auf den Beinen eines dort stehenden Kolossalbildes eingekratzt hat, weil er den denkwürdigen Moment, der sie von der Heimat so fern abgeführt, glaubte verewigen zu müssen. Schließlich sind auch noch die sogen. Graffiti, die Wandkritzeleien, hier zu erwähnen, wie sie beispielsweise fast jedes Haus zu Pompeji (das Bordell nicht zu vergessen) aufzuweisen hat, des mannigfaltigsten Inhalts, dem auch Wahlagitationen, abgebrochene Liebesgrüße, Karikaturen mit spottenden Bemerkungen nicht fremd sind.

[Alter und Verbreitung der I.] Die Verbreitung der I. nach Zeit und Ort hängt eng mit der Entwickelung des antiken Lebens überhaupt zusammen; dem entspricht es, wenn die griechischen I. an Alter den lateinischen weit voraus sind. Zu den ältesten bekannten griechischen I. gehören neben der oben erwähnten von Abu Simbal die auf der Insel Thera (Santorin) und einige auf der Insel Melos (Milo) gefundene, die auch aus dem 7. Jahrh. v. Chr. stammen, vielleicht noch älter sind. Die griechischen I. der ältesten Zeit sind noch im epichorischen Alphabet, d. h. in dem Alphabet ihrer Örtlichkeit, geschrieben und zeigen in der altertümlichen Gestaltung der Buchstaben sowie teilweise auch in der (bei den Griechen allerdings früh geschwundenen) Eigentümlichkeit, die Zeilen von rechts nach links oder abwechsend ^[richtig: abwechselnd] je eine nach rechts und eine nach links zu schreiben, noch deutlich die Entlehnung der Schrift von den Phönikern. Von den römischen I. reichen wohl wenige der vorhandenen über das 3. Jahrh. v. Chr. hinaus, wenn auch die älteste vor kurzem gefundene vielleicht mit Recht noch dem 6. Jahrh. zugewiesen wird; zu den ältesten gehören die I. der Grabmäler der Scipionen zu Rom, einige davon im saturnischen Versmaß. Abwärts könnte eine Zeitgrenze zwischen Altertum und Mittelalter auch für die griechischen wie lateinischen nur willkürlich angesetzt werden. Die geographische Verbreitung über die Alte Welt entspricht in ihrer größern oder geringern Dichtigkeit in den einzelnen Örtlichkeiten im großen und ganzen der Bedeutung, welche die einzelnen Länder und Städte in politischer Hinsicht und im Handelsverkehr früher oder später eingenommen haben. Für die griechischen I. ist demgemäß das eigentliche Griechenland der Mittelpunkt. Hier ist wiederum Attika durch die zahlreichsten und wichtigsten Urkunden und andre inschriftliche Funde vertreten, die von Solons Zeit bis in das 4. Jahrh. n. Chr. reichen. Aus Mittelgriechenland ist außerdem namentlich Delphi anzuführen. Lateinische I.