Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Italien

77

Italien (Geschichte: bis 1831).

schen Verhältnisse galt den Alliierten die einfache Restauration; nur in den durch Napoleon gestürzten städtischen Republiken erblickte man eine willkommene Beute für Entschädigungen der kriegführenden Mächte, und in Neapel mußte zunächst Murat dafür belohnt werden, daß er von Napoleon abgefallen und 11. Jan. 1814, als der größte Teil Italiens von dem österreichischen General Bellegarde besetzt wurde, der Koalition beigetreten war. Während der Vizekönig Eugen im April 1814 I. verließ, wurde Murat als König von Neapel anerkannt. Doch behauptete er seine Herrschaft inmitten des durch den Pariser Frieden und auf dem Wiener Kongreß restaurierten Europa nicht lange. Als Napoleon 1815 wieder den französischen Thron bestieg, schloß sich Murat ihm an und wurde nun in seinen zweiten Sturz verwickelt. Mit Freuden ergriffen die Kongreßmächte die Gelegenheit, Ferdinand IV. auch in Neapel auf den Thron zurückzuführen, während eine verwegene und hoffnungslose Schilderhebung des unglücklichen Königs seine Erschießung zur Folge hatte. Die alten Dynastien waren nun sämtlich in I. wieder zur Herrschaft gelangt, einige trugen sogar bedeutende Vergrößerungen ihres Besitzes davon. Österreich erhielt zur Lombardei das ganze Gebiet der Stadt und des Festlandes von Venedig nebst Dalmatien; Genua fiel an den König von Sardinien, welcher im übrigen in den Besitz von Savoyen und Nizza und aller seiner früher zum Königreich I. gehörigen Länder nach den Grenzen von 1792 gesetzt wurde; das Haus Österreich-Este gelangte wieder zur Souveränität in Modena, Mirandola, Reggio, Massa und Carrara; der Kaiserin Maria Luise von Frankreich überließ man auf Lebenszeit Parma, Piacenza und Guastalla, während die Infantin Maria von Parma zunächst mit Lucca entschädigt wurde. Auch der Kirchenstaat wurde in allen seinen Teilen wiederhergestellt, mit Ausnahme der am linken Ufer des Po gelegenen Besitzungen, welche Österreich verblieben. Dem Erzherzog Ferdinand von Österreich fiel die Sekundogenitur in Toscana nach den frühern Verträgen zu. In Neapel und Sizilien herrschte, wie zuvor, die bourbonische Dynastie. Die Engländer erlangten durch den Besitz Maltas ein unbestreitbares Übergewicht in den italienischen Gewässern. Eine gewisse Selbständigkeit behielten der Fürst von Monaco und die kleine Republik San Marino. Da unter all diesen Staaten keinerlei Bündnis bestand und kaum eine Verständigung auch nur dynastischer Art zu erwarten war, so drückte die Macht Österreichs jede selbständige Regung um so mehr zu Boden, als die restaurierten Fürsten mit dem größten Widerwillen gegen die sogen. Ideen der französischen Revolution Haß gegen politische Verfassungen und Furcht vor dem nationalen Geist verbanden.

Italiens Ruhe konnte aber unmöglich durch die Rückkehr zu den Zuständen vor der französischen Revolution gesichert sein. Trotz aller polizeilichen Überwachung und eines über ganz I. verbreiteten Spioniersystems, dessen Fäden von Österreich geleitet wurden, entwickelte sich der Gedanke der Einheit oder doch das Bedürfnis einer föderativen Vertretung der italienischen Interessen unter den Gebildeten immer mächtiger. In wenigen Jahren war ganz I. von einer Menge geheimer Gesellschaften durchzogen, welche ihre eigenartige, wohlgegliederte Organisation besaßen. Darunter war die Karbonaria die verbreitetste und einflußreichste, da ihre Mitglieder selbst in den höchsten militärischen und Beamtenkreisen zu finden waren. Unter den Karbonari gab es aber zwei vorherrschende Richtungen: die eine hatte mehr den innern Ausbau freiheitlicher Zustände, die andre mehr das nationale Ziel der italienischen Einheit im Auge. Als 1820 die spanische Revolution von Erfolg gekrönt war, fand dieselbe mächtigen Nachhall in ganz I. und alsbald eine wohlgelungene Nachahmung in Neapel. Wie in Spanien, so war auch in Neapel das Militär der Herd der Unzufriedenheit mit den Maßregeln des despotischen Königs beider Sizilien, der sich als solcher Ferdinand I. nannte. Bei der unglaublichsten Mißverwaltung, dem Räuberunwesen und der einseitigsten Begünstigung des Klerus war die Aufpflanzung der Fahne der Empörung bei einem einzigen Regiment hinreichend, um die absolute Regierung zu stürzen. Der König willigte in die Erteilung einer Verfassung, welche derjenigen der spanischen Cortes von 1812 nachgebildet war. Obwohl sich sofort die alte Rivalität zwischen Sizilien und Neapel wieder geltend machte, so hatte die Verfassungspartei doch das Übergewicht, und nur durch Intervention der Großmächte hoffte der heuchlerische König seine Gewalt wiedererlangen zu können. Während derselbe in Neapel die Regentschaft seinem Sohn Franz übertrug, unterhandelte er selbst mit den in Troppau und bald darauf in Laibach versammelten Monarchen. An letzterm Ort wurde 1821 die Intervention Österreichs in Neapel beschlossen. Ein österreichisches Truppenkorps stellte die sogen. Ordnung in Neapel wieder her, indem das neapolitanische Heer und die Nationalgarden wenig Tapferkeit an den Tag legten. Gleichzeitig war auch in Sardinien eine Empörung ausgebrochen, bei welcher der spätere König Karl Albert, Prinz von Carignan, zuerst eine politische Rolle spielte, welche ihn bald nötigte, I. zu verlassen. Im Mailändischen hatte die österreichische Polizei allen Erhebungsversuchen vorgebeugt; die Grausamkeit aber, mit welcher alle Kompromittierten verfolgt und bestraft wurden, und das Schicksal des unglücklichen Dichters Silvio Pellico, der später seine auf dem Spielberg bei Brünn ausgestandene Haft beschrieb, trugen wesentlich dazu bei, den Haß des italienischen Volkes gegen Österreich zu verallgemeinern und zu vertiefen. Als in Neapel, Sardinien und Modena, wo sich der Herzog Franz selbst an die Spitze einer geheimen Polizei stellte, die sinnloseste Reaktion unter dem Schutz der österreichischen Bajonette Platz griff, wurde die Erbitterung gegen die österreichische Fremdherrschaft immer größer.

Nach der Pariser Julirevolution 1830 hoffte man in I. die Unterstützung der liberalen Ideen durch Frankreich. Die Gärung wuchs namentlich im Kirchenstaat, wo der Papst Gregor XVI. die schärfsten Ansprüche des Pontifikats in geistlicher und weltlicher Beziehung erneuerte. Binnen wenigen Monaten waren in den Legationen, in Umbrien, Parma, Modena, Reggio die Regierungsbehörden vertrieben, und 26. Febr. 1831 kamen die Abgeordneten der freien Provinzen Italiens zu Bologna zusammen und proklamierten die völlige Unabhängigkeit der auf der Versammlung vertretenen Länder und Provinzen von der weltlichen Herrschaft des römischen Stuhls und die Einheit derselben unter einer gemeinsamen selbstgewählten Regierung. Da die Zeiten der Kongresse vorbei waren, so nahm Österreich auf eigne Faust es auf sich, die legitimen Regierungen zu schützen. Der Herzog von Modena erschien mit seinen eignen und österreichischen Truppen, schlug bei Carpi 6. März 1831 die Bürgergarden