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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Jacobi

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Jacobi (Friedrich Heinrich).

Mystiker". In Genf, wohin er später kam, für die Wissenschaft gewonnen, widmete er sich ihr seit seiner Ernennung zum Mitglied der jülich-bergischen Hofkammer ausschließlich. Sein älterer Bruder machte ihn mit Wieland bekannt; auch kam er in freundschaftliche Berührung mit Hemsterhuis, Hamann, Herder, Lessing, vor allen mit Goethe. Nach dem 1784 erfolgten Tod seiner geistreichen Frau Betty, einer gebornen v. Clermont aus Vaels bei Aachen, zog er sich von aller öffentlichen Thätigkeit zurück und lebte, um der Nähe des revolutionären Frankreich zu entgehen, abwechselnd zu Hamburg, Eutin und Wandsbeck, folgte aber 1804 einem Ruf als Präsident der 1807 eröffneten Akademie der Wissenschaften nach München, wo er 10. März 1819 starb. Seine bedeutendsten Werke sind: "Woldemar" (Flensburg 1779, 2 Bde.; Ausg. letzter Hand, Leipz. 1826); "Eduard Alwills Briefsammlung" (Bresl. 1781, neue Aufl. 179:2, Ausg. letzter Hand 1826); "Über die Lehre des Spinoza, in Briefen an Mendelssohn" (das. 1785, 3. Aufl. 1789); "David Hume über den Glauben, oder Idealismus und Realismus" (das. 1787); "Sendschreiben an Fichte" (Hamb. 1799); "Über das Unternehmen des Kritizismus, die Vernunft zu Verstand zu bringen" (das. 1801); "Über gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck" (Münch. 1804); "Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung" (Leipz. 1811, 2. Aufl. 1822). Jacobis Werke erschienen gesammelt Leipzig 1812-24, 6 Bde. Sein "Auserlesener Briefwechsel" wurde von Roth (Leipz. 1825-27, 2 Bde.), sein Briefwechsel mit Goethe von Max J. (das. 1847), der mit Hamann von Gildemeister (im 5. Band von "Hamanns Leben und Schriften", Gotha 1868), seine "Briefe an Friedr. Bouterwek 1800-1819" von Mejer (Götting. 1868) herausgegeben. Ferner veröffentlichte Zöppritz: "Aus F. H. Jacobis Nachlaß" (Leipz. 1869, 2 Bde.).

J. war ein geistreicher Mann und liebenswürdiger Charakter, neben dem Philosophen auch Weltmann und Dichter, daher in seinem Philosophieren ohne strenge logische Ordnung, ohne präzisen Gedankenausdruck. Seine Schriften sind kein systematisches Ganze, sondern Gelegenheitsschriften, "rhapsodisch, im Heuschreckengang", meist in Brief-, Gespräch-, auch Romanform verfaßt. Will die Philosophie mit endlichem Verstand Unendliches erfassen, so muß sie das Göttliche zu einem Endlichen herabsetzen, und in diesen Fehler verfällt alle Philosophie, sobald sie versucht, das Unendliche zu begreifen oder zu beweisen. Solange wir begreifen und beweisen wollen, müssen wir über jedem Gegenstand noch einen höhern, der ihn bedingt, annehmen; wo die Kette des Bedingten aufhört, da hört auch das Begreifen und Demonstrieren auf; ohne das Demonstrieren aufzugeben, kommen wir auf kein Unendliches. Mithin ist es gar nicht zu verwundern, daß die Philosophie als eine demonstrative Wissenschaft nicht im stande ist, das Dasein Gottes zu beweisen; sie muß zum Atheismus, Mechanismus und Fatalismus führen, weil das demonstrative Wissen alles andre, nur nicht das Unendliche, Unbedingte erfassen und in sich aufnehmen kann. Aber Gewißheit, die begriffen werden soll, verlangt eine andre Gewißheit, die keiner Gründe und Beweise bedarf, ja schlechterdings alle Beweise ausschließt. Ein solches Fürwahrhalten, das nicht aus demonstrierenden Beweisen entspringt, ist eben der Glaube; von ihm geht alles Wissen des Sinnlichen wie des Übersinnlichen als von der höchsten Instanz aus. Derselbe besteht in der innern Nötigung, das Vorhandensein gewisser Dinge und Zustände außer sich anzunehmen; er beruht auf einer unmittelbaren Einwirkung jener Dinge auf unsern Geist. Insofern sich diese Rezeptivität auf übersinnliche Objekte bezieht, wird sie "Vernunft" (von "vernehmen") genannt und als ein höheres Vermögen dem Verstand entgegengestellt, da sie nicht (wie dieser) erklärend oder diskursiv begreifend, sondern positiv offenbarend, unbedingt entscheidend ist. Wie es eine sinnliche Anschauung gibt, so gibt es auch eine rationale Anschauung (Idee) durch die Vernunft, gegen welche ebensowenig eine Demonstration gilt wie gegen die Sinnesanschauung. J. tadelt nicht nur, daß Kant darüber klagt, daß die menschliche Vernunft die Realität ihrer Ideen nicht theoretisch darzuthun vermöge, sondern verteidigt ihm gegenüber auch die Wahrhaftigkeit der Sinneswahrnehmung und leugnet die Apriorität der Begriffe von Raum und Zeit. Einverstanden mit Kant ist J. nur darin, daß der Verstand als solcher unzureichend sei, das Übersinnliche zu erkennen; die nachkantische Philosophie ist ihm als "atheistisch" anstößig. Mit Schelling geriet er durch seine Schrift "Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung" in einen von beiden Teilen mit Erbitterung geführten Streit. Jacobis Schwäche bestand darin, daß er, statt mit dem Kopf, mit dem Herzen Metaphysik treiben wollte. Er sah richtig ein, daß alles Beweisen ein unmittelbar Gewisses als Ausgangspunkt voraussetzte, und war mit Hume sowohl als mit Hutcheson, Hemsterhuis u. a. darin einverstanden daß in den Wahrnehmungen des äußern wie in den Aussprüchen des innern (moralischen, ästhetischen) Sinnes des menschlichen Geistes ein solches gegeben sei. In ersterer Hinsicht war seine Philosophie empirischer, in letzterer moralischer und ästhetischer Sensualismus; Quell der Erkenntnis des existierenden Sinnlichen ist die Sinnlichkeit, des Guten und Schönen die "schöne Seele" (Herz, Gemüt). Aber er irrte darin, daß er die Aussprüche der letztern, die nur rücksichtlich des Wertes gewisser Objekte untrüglich sind, auch rücksichtlich der Existenz derselben für untrüglich hielt und sich nicht begnügte, aus denselben den unbedingten Wert des Guten und Schönen zu folgern, sondern die wirkliche Existenz desselben in der Gestalt des Ideals von Güte und Schönheit, d. h. der Gottheit, erweisen zu können wähnte. Durch den Doppelsinn des Wortes "Sinn" verlockt, machte er die "Vernunft" aus einem ästhetischen und moralischen Sinn, der Schönes vom Häßlichen, Gutes vom Bösen unterscheidet, zu einem theoretischen, der (wie der äußere Sinn das sinnliche) das übersinnliche Seiende unmittelbar gewahrt. Der Besitz eines solchen "Wahrnehmungsvermögens des Übersinnlich-Realen" ist psychologisch nicht zu erweisen, daher dessen Annahme willkürlich und unhaltbar. Das "dunkle Gefühl" aber für das Gute und Schöne, dessen Inhalt sich nicht zum Bewußtsein erheben läßt, reicht nicht einmal hin, einer Wissenschaft vom Guten und Schönen (Ethik und Ästhetik), geschweige einer solchen vom Seienden (Metaphysik) zur Grundlage zu dienen. Indessen hat ihm die Berufung auf die "schöne Seele" nicht nur alle, die sich einer solchen gern zu rühmen pflegen, sondern auch alle diejenigen zu Freunden gemacht, welche in Kants Attentat auf die Beweise für das Dasein Gottes ein solches auf dieses selbst sahen und durch die Unmündigkeitserklärung der Vernunft die edelsten Güter des Herzens gefährdet glaubten. So haben sich ihm nicht nur vorzüglich Frauen (wie die Fürstin Galizyn u. a.), sondern auch ideal gestimmte Gemüter, wie z. B. Fries (der seine Philosophie mit jener Kants verband), Köppen,