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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kanalisation

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Kanalisation (Verbleib der unreinen Abflüsse großer Städte).

und längstens in wenigen Stunden aus dem Bereich der Stadt, bevor sie Zeit haben, in Fäulnis überzugehen und die Luft und den Untergrund zu verderben. Die Reinlichkeit, Gesundheit und Behaglichkeit der Wohnungen werden hierdurch in hohem Maß vermehrt.

Der endliche Verbleib der aus den Städten abgeleiteten unreinen Abflüsse hat aber lange Zeit hindurch die größten Schwierigkeiten gemacht. Man pflegte diese Abflüsse früher in größere oder kleinere natürliche Wasserläufe zu leiten, erzeugte aber dadurch sowohl für die Anwohner solcher Flüsse als auch für das Leben der Fische in denselben erhebliche Unzuträglichkeiten; auch lehnte die Landwirtschaft sich gegen diese Verschwendung der in diesen Abflüssen enthaltenen Dungstoffe auf. Diese Übelstände lassen sich sämtlich vermeiden, seitdem man entdeckt hat, daß Felder, welche man mit diesem Wasser überrieselt, die darin enthaltenen Unreinigkeiten, die zugleich Dungstoffe sind, nicht allein unschädlich machen, sondern sie zugleich in wertvolle Feld- und Gartenfrüchte verwandeln. Die Unreinigkeiten als solche verschwinden durch den Pflanzenwuchs gänzlich, und die Felder werden nach jeder Ernte von neuem fähig, diesen Reinigungs- und Verwandlungsprozeß zu wiederholen. Schwierig bleibt in der Regel die Beschaffung hierzu geeigneter Felder. Da ferner die Städte meistens an Flüssen und daher selten hoch genug liegen, um das Wasser durch natürliches Gefälle bis zu den Rieselfeldern hinfließen zu lassen, so bleibt häufig nur das kostspieligere Mittel übrig, es durch Maschinenkraft nach den Verwendungsstellen zu pumpen. In solchen Fällen decken die erzielten Feldfrüchte nicht immer die aufzuwendenden Kosten; stets aber tragen sie dazu bei, diese Kosten erheblich zu verringern. In Städten, welche an beiden Ufern eines oder mehrerer Flüsse liegen, kommt es, namentlich um mehrere Pumpstationen zu ersparen, häufig vor, daß die Flüsse von den Abzugskanälen gekreuzt werden müssen. In solchen Fällen wird der Abzugskanal am Ufer des Flusses in einen brunnenartigen Sandfang, der mit einem Regenauslaß versehen ist, geleitet. Aus diesem Sandfang wird ein aus Kesselblech genietetes eisernes Rohr abgeleitet, welches sich bis unter das Bett des Flusses senkt und dann wagerecht bis zu einem ähnlichen brunnenartigen Sandfang auf dem entgegengesetzten Ufer führt. In diesem steigt das Wasser wieder aufwärts, um weiter, in der Regel nach den Pumpstationen, zu fließen. Zwischen der Einmündung des absteigenden Rohrs und der Ausmündung aus dem zweiten Sandfang wird so viel Gefälle angeordnet, daß in dem Rohr selbst eine lebhafte Strömung unterhalten werden kann. Diese Anordnung, welche mit dem Namen Dücker bezeichnet wird, hat sich in vielen Fällen bei jahrelangem Gebrauch vollständig bewährt, ohne daß jemals eine Verstopfung der Dückerrohre vorgekommen wäre. Die Pumpstation enthält mehrere durch Dampfmaschinen getriebene Druckpumpen, welche das Wasser durch unterirdische gußeiserne Röhren nach dem in der Regel höher gelegenen Rieselterrain hinausdrücken.

Die Rieselfelder müssen durchlässigen Boden enthalten oder etwa 2 m tief gehörig drainiert werden. Sie werden meistens nach Art der bekannten Rieselwiesen eingeebnet, dergestalt, daß das düngende Wasser periodisch in einer dünnen Schicht über die Oberfläche der Felder rieselt, so daß es, ohne die darauf wachsenden Pflanzen zu verunreinigen, zu den Wurzeln derselben gelangt. Flächen, die mit Gras besäet werden, liefern jährlich 5-6 Schnitt; aber auch alle Arten von Gemüsen, Ölfrüchte und selbst Tabak geben einen vorzüglichen Ertrag. Die früher gehegte Befürchtung, daß die Umgebungen der Rieselfelder ungesund sein möchten, hat sich durch jahrelange Erfahrungen als unbegründet erwiesen.

Um die Kosten der K. einer Stadt annähernd vorher zu schätzen, wird man nicht gar zu weit fehlgreifen, wenn man durchschnittlich auf jeden Einwohner 20 Mk. rechnet. Im Sinn der öffentlichen Gesundheitspflege sind Wasserleitung, K. und Rieselfelder zusammengehörige Teile desjenigen Systems, welches mit dem Namen K. bezeichnet zu werden pflegt. Bis jetzt ist auf dem europäischen Kontinent Danzig die einzige Stadt, welche dieses System in seiner Reinheit ausgeführt und in gesundheitlicher Beziehung ausgezeichnete Resultate erreicht hat. Die Entwässerungsanlage hatte hier in vieler Beziehung sehr schwierige örtliche Verhältnisse zu überwinden und ist daher für den Techniker instruktiv. Die Ausbildung einer systematischen K. von Städten haben wir fast ausschließlich England zu verdanken. Hier trat das Bedürfnis, die Städte mit Wasserleitung zu versehen, schon früher hervor als bei uns, und eine natürliche Folge davon war die notwendige Ableitung des gebrauchten Wassers. Fast jede gut verwaltete Stadt in England ist wie mit Gas, so auch mit Wasserleitung und K. versehen. Bei den letztern Anlagen stellte es sich jedoch bald als ein großer Fehler heraus, daß der schmutzige Inhalt der Kanäle in die nächsten Wasserläufe geleitet war und diese in bedenklicher Weise verunreinigte. London war schon früh mit einem Netz, aber nicht mit einem System von Abzugskanälen versehen, und die Verunreinigung der Themse wurde zuletzt unerträglich. Infolge einer Konkurrenz gingen mehr als 100 Entwürfe zur Verbesserung dieses Zustand es ein. Der 1859-75 mit einem Aufwand von 4½ Mill. Pfd. Sterl. zur Ausführung gelangte Entwurf wurde von dem Ingenieur Bazalgette bearbeitet. Nach diesem Entwurf werden die Abflüsse am untern Ende der Stadt in große, hoch gelegene Behälter gepumpt, aus welchen sie bei Hochwasser in die Themse fließen und durch den ausgehenden Ebbestrom in das Meer geführt werden, ohne in den Bereich der Stadt zurückzugelangen. Eine Verwertung der Dungstoffe aus diesen Abflüssen durch Berieselung befindet sich noch im Stadium der Versuche. Die Reinigung der Abflüsse ist hier noch nicht in Angriff genommen. Unter den übrigen Städten, welchen die Verunreinigung der Flüsse gesetzlich untersagt wurde, hat die Villenstadt Croydon bei London zuerst die Berieselung von Feldern in Anwendung gebracht, um die unreinen Abflüsse so weit zu reinigen, daß sie unbedenklich selbst in kleinere Flüsse geleitet werden können. Vorher wußte man nur, daß die Rieselwiesen von Craigentinny, welche von einem Teil der Abflüsse Edinburgs bewässert wurden, einen auffallend reichlichen Ertrag lieferten. Dem Zivilingenieur Baldwin Latham verdankt Croydon seine den Reinigungszweck vollkommen erfüllenden und zugleich sehr gut rentierenden Rieselanlagen. Derselbe hat auch für Danzig die Details der Entwässerungsanlagen nach seinen neuesten Erfahrungen bearbeitet. Sein Werk "Sanitary engineering" (Lond. 1873) enthält die bis jetzt vollständigste Anweisung zur Kanalisierung mit Einschluß der Hausentwässerungen. Auch die Details der Danziger Anlagen sind hier ausführlich mitgeteilt. Später sind seitens der englischen Regierung über die Reinhaltung der Flüsse ausgedehnte