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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kanarische Inseln

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Kanarische Inseln.

darauf unter dem Einfluß der Nordwinde die Winterregen beginnen, bietet die Landschaft ein trauriges Bild: alles erdgrau, fahl und staubig, wo nicht künstliche Bewässerung vorhanden ist. Auch erscheinen dann, von der Wüste her wehend, die drückend schwülen und dicke Nebel bringenden Levante- oder Südostwinde, in deren Gefolge auch oft Heuschrecken auftreten. Die Trockenheit endet in der Regel Anfang November. Unter den vierfüßigen Tieren der Inseln zeichnen sich nur die Hunde durch ihre Größe und die überall verbreiteten Ziegen durch ihre Schönheit aus. Als Lasttiere bedient man sich meist der Maultiere, doch gibt es auf mehreren Inseln auch viele Kamele. Die Zahl der Vogelarten ist groß; der berühmteste, der Kanarienvogel mit gelblichgrünem Gefieder, lebt in großen Flügen auf allen baumreichern Inseln. Schlangen und giftige Amphibien fehlen ganz. Bienenzucht wird mit Eifer betrieben. Die Flora ist eine höchst merkwürdige und enthält viele den Inseln eigentümliche Pflanzen; sie ist hauptsächlich eine Felsenflora und zerfällt in drei Zonen. Zur ersten oder untersten (warmen) Zone gehören die baumartigen Euphorbien, die gesellig wachsenden Plokamen (Plocama pendula) und Kleinien, welche die Küsten entlang zwischen dem Gestein hervorschimmern; ferner der Drachenbaum, die Dattelpalme, Olive, Pistazie, Sabinacypresse, Aloe, Jasmine, die Meerzwiebel etc. Auch an Schlingpflanzen fehlt es nicht, und die Steppe schmücken Frankonien, Mesembryanthemen und Chenopodiaceen. Bananen, Guayaven, Anonen und Zuckerrohr, sogar Kokosnüsse reifen neben blühenden Erythrineen und Rosen. Die zweite Zone ist die der immergrünen Forsten, der Lorbeer- und Stechpalmen sowie der Erica arborea, die 20-22 m Höhe erreicht; Farne und Lianen gedeihen in ihrem Schatten. Auf den Südabhängen ersetzt der Pinol- oder Fichtenhochwald diesen Lorbeerwald, dessen Lichtungen von Zistengebüschen überzogen sind. Durch die Kultur sind auch Haine echter Kastanien hinzugekommen. Die dritte Zone umfaßt die Hochregion, wo Spartium, Pteris, Genista etc. die Bimssteinfelder überziehen. Anbaufähig ist etwa nur ein Fünftel des Bodens. Man gewinnt Weizen, Gerste, Roggen, reichlichen Mais sowie Kartoffeln, welche (namentlich in der Höhe) Volksnahrung sind. Der Weinbau, welcher den berühmten Malvasier oder Kanariensekt lieferte, war, wie auf Madeira, seit 1852 infolge der Traubenkrankheit in Verfall, beginnt sich aber seit 1870 wieder zu heben. Man baut auch die Soda liefernde Barillo (Mesembryanthemum crystallinum), ferner Maulbeerbäume und gewinnt Seide; die früher einträgliche Kochenillezucht ist durch die Anilinfarbenindustrie schwer geschädigt worden, doch entfielen von der 1880-84 sich auf 93,7 Mill. Pesetas belaufenden Gesamtausfuhr immer noch 32 Mill. Pesetas auf Kochenille. Der Tabaksbau gewinnt von Jahr zu Jahr an Bedeutung, ebenso die Kultur von Zwiebeln, Kaffee, Bataten u. a. Metalle finden sich nicht.

Die Bewohner (1883: 300,874) sind ein Mischvolk von Spaniern und den eingebornen Guanchen, versetzt mit normännischem, flandrischem und maurischem Blute. Die weiße Farbe herrscht durchweg, nur auf Gran Canaria finden sich einige Negerdörfer. Die ausgestorbenen Ureinwohner, Guanchen genannt, waren ein tapferes, friedliches Hirtenvolk von großer Milde und Reinheit der Sitten; in Grabhöhlen finden sich noch ihre einbalsamierten Mumien. Gegenüber der allgemein herrschenden Ansicht, wonach dieselben zu den Berbern gehört haben sollen, hat neuerdings F. v. Löher den Beweis zu führen gesucht, daß die Guanchen germanischer Abkunft seien. Er stützt sich auf Wohnung, Kleidung, Lebensweise, auf die Körperbildung, den Schädelbau, namentlich auf das Eigentümliche im Staats- und Rechtswesen. Die anlandenden Germanen vermischten sich nach ihm mit einer bereits vorhandenen Berberbevölkerung oder machten dieselbe zu Sklaven, verharrten fortan bis zur spanischen Eroberung in völliger Abgeschlossenheit und gingen in der Kultur zurück, indem sie den Gebrauch der Metalle, das Bauen von Schiffen etc. verlernten. Ihre Sprache verknöcherte, und das Christentum, soviel sie davon besaßen, wurde verunstaltet. Auch einige germanisch klingende Sprachreste führt v. Löher zur Unterstützung seiner Ansicht an; den Namen Guanchen selbst deutet er als Wandschen, d. h. Vandalen, und von diesen, die nach Zerstörung ihres Reichs bis nach Südmarokko getrieben wurden, sollen die jetzigen Bewohner der Kanarischen Inseln abstammen. Die Kanarier sind im allgemeinen Muster von Rechtschaffenheit, Treue, Ehrgefühl, Mäßigkeit und Zuverlässigkeit, arbeitsam, voll Pietät für das Alter und von unbegrenzter Gastfreundschaft. Auch ihre natürliche Begabung ist groß, für die bessern Stände sind Schulen vorhanden. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner bilden Ackerbau, Viehzucht und Schiffahrt. Die reichsten Inseln sind Gran Canaria, Teneriffa und zum Teil Lanzarote; doch herrscht im allgemeinen Armut, da große Majorate bestehen, die Felder meist von Pachtern bebaut und schwere Steuern erhoben werden. Die Industrie produziert seidene und wollene Stoffe sowie grobes Leinen, im übrigen ist sie äußerst gering. Der Handel hat sich, seit 1852 die Inseln (Ferro ausgenommen) zu Freihäfen erklärt wurden, sehr gehoben, ist aber meist allein in den Händen der Engländer. Im 13. Jahrh. sollen genuesische Seefahrer nach den Kanarischen Inseln gelangt sein; im 14. Jahrh. nahmen sie die Portugiesen, 1478 die Spanier in Besitz. Die Inseln werden von der spanischen Regierung als ein zu Spanien gehörendes Königreich betrachtet, also zu Europa gerechnet und bilden zwei Zivilprovinzen: eine östliche mit Las Palmas als Sitz der Regierung und eine westliche mit Santa Cruz de Teneriffa als Hauptstadt. Beide Orte sind zugleich Festungen. Die Zahl der spanischen Soldaten ist übrigens gering, doch besteht eine Landmiliz.

Die Kanarischen Inseln waren wahrscheinlich schon den Phönikern und Karthagern bekannt. König Juba von Mauretanien (um 40 v. Chr.) beschrieb sie zuerst genauer u. nannte sie die Glücklichen Inseln. Plinius kennt bereits den Namen Canaria und leitet ihn von der Menge großer Hunde her. Im 13. Jahrh. (1292) sollen genuesische Seefahrer hierher gekommen sein; 1341 rüstete König Dom Luiz von Portugal eine Expedition nach den Inseln aus. Luiz de la Cerda, ein Urenkel König Alfons' von Kastilien, wurde 1344 vom Papst Clemens VI. in Avignon zum König der Kanarischen Inseln gekrönt, ohne jedoch je sein Königreich einzunehmen. Auch Robert von Bracamonte, dem Heinrich III. von Kastilien die Inseln schenkte, schritt nicht zur Besitznahme, sondern überließ seine Rechte seinem Vetter Johann von Béthencourt (1427). Dieser eroberte die Inseln Lanzarote, Fuerteventura, Gomera und Ferro und empfing sie von der Krone Kastilien zu Lehen. Des noch nicht eroberten Teneriffa suchte sich Portugal, obschon vergeblich, zu bemächtigen. 1478 begann die spanische Eroberung: die Inseln Béthencourts kaufte Ferdinand der Katholische dem Dynasten Didaco Herrera für 15,000 Dukaten ab; sie heißen noch jetzt die herrschaftlichen In-^[folgende Seite]