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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kantoplatonismus; Kantor; Kantschu; Kanüle; Kanun; Kanuri; Kanut; Kanzel; Kanzelberedsamkeit

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Kantoplatonismus - Kanzelberedsamkeit.

Um aber den Übergriffen der Regimenter vorzubeugen, durfte die Aushebung nur unter Mitwirkung des Magistrats oder Landrats geschehen. Später wurden auch Städte und Landesteile von hervorragender industrieller Thätigkeit von der Kantonpflichtigkeit befreit, z. B. Berlin, Potsdam, Breslau, Magdeburg etc. Der Übergang von dieser K. zur allgemeinen Wehrpflicht beruhte somit nur auf der Aufhebung der vielen Befreiungen von der Militärdienstpflicht. Ein ähnliches System war früher in Österreich und bis 1874 auch in Rußland im Gebrauch.

Kantoplatonismus, in Frankreich die aus der Platonischen und Kantschen Schule hervorgegangene Art zu philosophieren, neigt sich zum Idealismus und wurde besonders durch Victor Cousin repräsentiert.

Kantor (lat., "Sänger"), in kleinern Ortschaften der Vorsänger der Kirchengemeinde, der gewöhnlich zugleich Schullehrer ist; auch ist das Amt des Kantors häufig mit dem des Organisten und Küsters verbunden. An größern Kirchen ist dagegen der K. der Lehrer und Leiter des Sängerchors und hat eine angesehene Stellung, z. B. ist das Kantorat an der Thomaskirche zu Leipzig eine von Musikern sehr erstrebte Ehrenstelle. Vgl. Laacke, Das Kantor-, Küster- und Organistenamt in seinen Rechtsverhältnissen (Bernb. 1884).

Kantschu (vom türk. Kamtschi), kurze, starke, von Lederriemen geflochtene Peitsche an einem kurzen Stiel, am Handgelenk hängend; besonders in Rußland als Reitpeitsche gebräuchlich.

Kanüle (franz. Canule), ein langgestreckter, hohler und an beiden Enden offener Cylinder, welcher bald gerade, bald mehr oder weniger gebogen und gekrümmt ist und aus verschiedenem Material, aus Gold, Platin, Silber, Stahl, Blei, Holz, Horn, Knochen, Pappe, Gummi, verfertigt wird. Man benutzt Kanülen überall, wo es sich um Durchleiten von Flüssigkeiten oder Luft handelt; sie sind entweder vorn scharf (Pravazsche K.) und dienen dann direkt zum Einstechen (wie bei subkutanen Einspritzungen und bei Ovariotomie), oder sie werden in gestochene (s. Trokar) oder geschnittene Wundkanäle zum Einspritzen oder Herauslassen von Luft (bei Luftröhrenschnitt) oder Flüssigkeit (bei Wassersucht) eingeführt.

Kanun (Quânon, arab.), orientalisches, unsrer Zither nicht unähnliches Saiteninstrument; der Name deutet auf den antiken Kanon, d. h. das Monochord, welches man schon im Altertum anfing mit mehreren Saiten zu bespannen, um gleichzeitig verschiedene Tonverhältnisse zur Anschauung bringen zu können. Dann ist K. auch s. v. w. Gesetz; daher K.-nameh, die Sammlung von Gesetzen, welche Sultan Soliman I. (daher Kanuni, "Gesetzgeber", genannt) veranstaltete; Kanundschi, Archivar der Gesetzbücher.

Kanuri (Kanori, "Leute des Lichts"), das Hauptvolk von Bornu im Sudân, 1½ Mill. Seelen stark, dessen Sprache durch glückliche Eroberungen der Herrscher sich über viele Gegenden Mittelafrikas ausgedehnt hat. Nahe Verwandte der K. sind die Bewohner von Manga, Nguru und Kanem und die Tibbu. Die K. sind ein Mischvolk, das als häßlich bezeichnet werden muß. Sie sind mittelgroß, außerordentlich stark, aber wenig ebenmäßig gebaut, grau- oder rötlich-schwarz, haben eine hoch aufsteigende Stirn, breites Gesicht mit dicker, flacher Nase und großen, mit blendendweißen Zähnen besetzten Mund. Dabei sind sie gutmütig, furchtsam, indolent und nicht sehr reinlich, aber außerordentlich eitel und putzsüchtig. Während sie einen Teil des Haupthaars rasieren, flechten sie den andern in eine Menge kleiner Zöpfe. Beim Erscheinen in der Öffentlichkeit beladen sich die Männer mit einer Menge von Gewändern, hüllen sich, wie auch ihre Pferde, in Stahl- und Wollpanzer und tragen mit Messingplatten verzierte Kopfbedeckungen. Ebenso tragen die Frauen ihren Silberschmuck, Fuß- und Armringe, Haarschmuck und ihre farbenreichen Kleider gern und mit großer Koketterie zur Schau. Kriegerisch sind sie aber gar nicht. Dafür sind sie rastlos im Handel, sehr rührig und unternehmend. Außer der Gurunuß, für welche sie alles hingeben, verschmähen sie jedes andre Genußmittel. Ihre hübsch mit Schlinggewächsen und Zieraten geschmückten Wohnungen bestehen in Stroh- oder Erdhütten, welche mit geflochtenen Zäunen eingehegt sind. Musik und Tanz lieben sie in hohem Grad. Ihre Sprache, die sich mit der Sprache der Tibbu am nächsten berührt, ist durch die Arbeiten H. Barths und Koelles genauer bekannt geworden; sie ist reich entwickelt und von großem Wohlklang. Vgl. Nachtigal, Sahara und Sudân (Berl. 1879).

Kanut, s. Knut.

Kanzel (v. lat. cancelli, "die Schranken"), der erhöhte Standort des Predigers in christlichen Kirchen, so genannt von den Schranken der altchristlichen Kirche, die das Chor von dem Schiff trennten (s. Ambo). Als später daraus ein Lektorium (Lettner) geworden war und die Predigt eine höhere Bedeutung erhalten hatte, sonderte man den Predigerambon von dem Lettner ab und erhöhte ihn, damit der Prediger von der Gemeinde besser gesehen werden konnte, behielt aber den Namen Kanzelle für ihn bei, der allmählich in K. überging. Die Kanzeln, welche vom 11. Jahrh. ab zuerst aus Stein, dann auch aus Holz hergerichtet wurden, standen anfangs auf massivem Unterbau und waren meist viereckig. Erst in der deutschen Kunst wurde die Brüstung der K. vieleckig angeordnet, diese auf eine Säule gestellt und mit einer Kanzelhaube oder einem Schalldeckel vergehen. - In der Jägerei heißt K. der auf einem Baum angelegte und durch Zweige verblendete Sitz, aus welchem der Jäger auf Brunftplätzen oder an Kürungen (Futterplatzen) Wild zu erlegen sucht, was deshalb leichter gelingt, weil das Wild bei dieser Vorrichtung keinen Wind (Witterung) bekommen kann.

Kanzelberedsamkeit, die geistliche Redekunst überhaupt, insonderheit die im öffentlichen Gottesdienst geübte (s. Homiletik und Predigt). Nach dem ausdrücklichen Zeugnis der Evangelien hat Jesus seine Sache von Anfang an ganz auf die Macht des Wortes gestellt. Schloß er sich hierbei auch der Sitte der jüdischen Religionslehrer an, nach welcher diese alttestamentliche Stellen in den Synagogen erklärten oder auch freie Vorträge darüber hielten, so bezeugen ihm doch anderseits auch schon die Zeitgenossen, daß er "gewaltig predigte und nicht wie die Schriftgelehrten". Und in den mannigfaltigsten Formen, als Weissagung, Gebetsrede, Zungenrede, Lehre, Ermahnung, Tröstung, fand das freie Wort seine Pflege auch in der apostolischen Gemeinde. Gewöhnlich wird die Geschichte der K. in fünf Perioden eingeteilt, deren erste bis auf Chrysostomos und Augustin reicht. In dieser Zeit bestand der Gottesdienst der Christen neben Gesang und Genuß des heiligen Abendmahls noch vorzugsweise im Vorlesen und Auslegen der heiligen Schriften. An der Spitze der ersten Predigtschule bei den Griechen steht Origenes, welcher namentlich die sogen. Homilie (s. d.) kultivierte, während Ephräm der Syrer, Basilius d. Gr., Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa und Johannes Chrysostomos, der bedeutendste unter den Exe-^[folgende Seite]