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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kartoffelkrankheit

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Kartoffelkrankheit.

Europa liegt die Gefahr der Einschleppung sehr nahe, da sowohl der Käfer auf seiner Wanderung recht wohl die Schiffe erreichen als auch die Larve durch Gemüse an Bord gelangen und im lebenden Zustand bei uns eintreffen kann. Es sind deshalb Vorkehrungsmaßregeln getroffen worden, um dieser Gefahr möglichst vorzubeugen. Vgl. "Der K." (hrsg. im Auftrag des preußischen Ministeriums, Berl. 1875); Gerstäcker, Der Koloradokäfer (Kassel 1878).

Kartoffelkrankheit, eine bestimmte unter den Krankheiten der Kartoffelpflanze, welche durch ihre Kontagiosität, ihr meist epidemisches Auftreten und durch folgende Symptome charakterisiert ist. Sie wird zuerst am Kraute der Kartoffel ungefähr Ende Juni oder Anfang Juli bemerklich, indem an einzelnen Blättchen braune Flecke entstehen, welche gewöhnlich am Rand oder an der Spitze, in der Regel unter Kräuselung, beginnen und allmählich an Ausdehnung zunehmen, wobei, besonders bei feuchter Luft, die kranke Stelle mehr oder weniger deutlich von einer weißlichen, schimmelähnlichen Zone umsäumt erscheint. Oft bilden sich rasch zahlreiche braune Flecke, nehmen schnell an Umfang zu, so daß binnen kurzem das ganze Kraut und dann häufig gleichmäßig das ganze Feld binnen wenigen Tagen schwarz und abgestorben dasteht. Bisweilen bleibt die Krankheit auf das Kraut beschränkt; dann sind doch die Knollen erntefähig, wiewohl der Ertrag um so geringer ausfällt, je früher die Krankheit aufgetreten ist, und je vollständiger sie die Blätter getötet hat. Oft aber ergreift die Krankheit auch die Knollen, ist bei der Ernte oft in geringem Grad bemerklich und macht die Knollen erst während der Aufbewahrung unbrauchbar. Es treten auf der Oberfläche schmutzigbraune Flecke von verschiedener Größe auf, die zugleich etwas eingefallen und runzelig erscheinen. Im Durchschnitt zeigt sich das Gewebe der Knolle an diesen Stellen zunächst nur in geringer Tiefe braun gefärbt und abgestorben. Mit der Zeit werden die Flecke größer, und die Bräunung dringt tiefer in die Knolle ein, welche so zum großen Teil verderben kann. An das Absterben schließt sich noch ein wirkliches Verfaulen unter Auftreten von Schimmelpilzen; das Innere verwandelt sich entweder in eine jauchige, stinkende Masse (nasse Fäule), oder schrumpft bei geringerer Feuchtigkeit zu einer bröckeligen Masse zusammen (trockne Fäule). Halb verdorbene Knollen können wenigstens noch zur Brennerei verwendet werden; indes wird durch den Fäulnisprozeß das Stärkemehl nach und nach zerstört und dadurch die Knolle ganz wertlos. Die K. hat in der Heimat der Kartoffelpflanze vielleicht von jeher bestanden und kam mit den Knollen schon frühzeitig nach Europa. Im Anfang dieses Jahrhunderts zeigte sich in Frankreich eine Fäulnis der Kartoffel, und 1830 trat die Krankheit der Knollen, die mit der gegenwärtigen unzweifelhaft identisch ist, auch in Deutschland auf, aber mehr lokal. Zu einer allgemeinen und furchtbar wütenden Epidemie gestaltete sich die K. aber erst in dem nassen Sommer 1845, wo sie in Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland, England, Dänemark bis Rußland hauste und den Kartoffelbau zu vernichten drohte. In nahezu gleichbleibender Heftigkeit dauerte die Krankheit bis 1850; von da an ging sie zurück, ohne jedoch bis jetzt erloschen zu sein, in nassen Lagen und Jahren verderblicher als in trocknen sich zeigend. Die wahre Ursache der K. wurde durch eine Belgierin, Fräulein Libert, und gleichzeitig durch Montagne aufgeklärt, indem diese 1845 den bei der K. beteiligten Schmarotzerpilz (Botrytis devastatrix Lib., B. infestans Montagne, Peronospora infestans Casp., Phytophthora infestans de Bary) auffanden. Dieser Pilz ist mit Hilfe des Mikroskops in jedem erkrankten Teil der Pflanze zu finden; sein Mycelium wuchert in den Intercellulargängen des Blattes sowohl als der kranken Knolle und bildet ungefärbte, querwandlose, verästelte, hin- und hergeschlängelte Fäden. In den Blättern kommt dasselbe in einer noch grünen Zone in der Umgebung der abgestorbenen Flecke vor, und in dem Maß, als es sich hier nach allen Seiten ausbreitet, nimmt der Umfang des braunen Fleckes zu; zwischen den abgestorbenen Zellen des letztern ist aber der Pilz wieder verschwunden. Dadurch kennzeichnet sich der letztere als ein wahrer Schmarotzer und zugleich als die alleinige Ursache des Absterbens des Gewebes. An der von ihm bewohnten Zone um die braunen Stellen bildet er auch seine Fruktifikationsorgane, welche dem bloßen Auge als der oben erwähnte weißliche Schimmelanflug erscheinen. Die Fruchthyphen (s. Hyphe) sind oben baumartig verzweigt und schnüren an den Spitzen der Zweige einfache ovale Zellen ab, welche, sobald sie ihre Ausbildung erreicht haben, von selbst abfallen. Diese Zellen stellen die Sporen des Pilzes dar. Wenn kranke Knollen zerschnitten werden, so sprossen auf der Schnittfläche nach kurzer Zeit aus der noch lebenden Zone um die gebräunten Stellen dieselben Fruchthyphen hervor. De Bary hat nachgewiesen, daß und wie der Pilz aus seinen Sporen keimt und in jedes gesunde Organ der Kartoffel eindringt. Auf Wassertropfen ausgesäet, keimen die Sporen schon binnen wenigen Stunden: entweder entwickeln sie einen Keimschlauch, oder ihr Protoplasma-Inhalt zerfällt in 6-16 Portionen, welche als Schwärmsporen ausschlüpfen, nach etwa halbstündigem Schwärmen zur Ruhe gelangen, eine Zellmembran bekommen und zu einem Keimschlauch auswachsen. Auf der Oberfläche von Teilen der Kartoffelpflanze dringen die Keimschläuche rasch ins Innere derselben ein, indem sie auf Blättern durch die Spaltöffnungen oder direkt die Epidermis durchbohrend, an jungen Knollen die Korkschicht durchwachsend, ins Innere gelangen, wo sie sich unmittelbar zu den Myceliumfäden entwickeln. Besonders an den Knollen ist die Übertragung der Krankheit durch kranke Teile oder durch Zutritt der Keime des Pilzes mittels künstlicher Infektionsversuche, wie sie zuerst Speerschneider 1857 anstellte, erwiesen worden. Die Krankheit läßt sich selbst dann hervorbringen, wenn auf die Oberfläche pilzfreien Sandes, in welchem die Knolle liegt, oberhalb derselben Sporen des Schmarotzers gebracht werden. Hiernach und angesichts der raschen Keimung und Entwickelung der Peronospora ist es leicht erklärlich, wie dieselbe, Feuchtigkeit vorausgesetzt, auf dem Acker von Blatt zu Blatt, von einem Stock zum andern, sogar vom Laub auf die Knollen gelangen und unter ihr günstigen Bedingungen in verhältnismäßig kurzer Zeit weit um sich greifen kann. Nach de Bary verlieren die Sporen zeitig ihre Keimfähigkeit, jedenfalls lange vor Ablauf des Winters. Der Pilz überwintert daher nur in Gestalt des Myceliums in erkrankten Knollen und wird mit denselben schon bei der Aussaat auf den Acker gebracht. Nach Kühn entwickelt die Peronospora während des Winters in den Kellern und Mieten oft an den Augen kranker Knollen Fruchthyphen, und so werden durch die Sporen gesunde Kartoffeln angesteckt, und die Krankheit greift um sich. Auch an den ausgesäeten Knollen kann dieses