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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Katharina

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Katharina (Rußland: K. II.).

tert, Gymnasien und Militärschulen errichtet, sogar 1783 eine russische Akademie zur Ausbildung der nationalen Sprache gegründet. Vor allem aber erwarb sich K. Verdienste durch Einrichtung von Volksschulen in allen bedeutendern Städten und in vielen kleinern Ortschaften, für welche die nötigen Lehrer in einem zu diesem Behuf (1778) gestifteten Oberschulkollegium gebildet wurden. Auch die Verfassung des Reichs und das Justizwesen erfuhren durch K. eine völlige Umgestaltung. 1769 erfolgte die Gründung einer neuen obersten Staatsbehörde, welche unter kaiserlichem Vorsitz der Mittelpunkt ward, von dem die bessere und zweckmäßigere Organisation der Reichsregierung ausging. Das ganze Reich ward in Statthalterschaften, Provinzen und Kreise eingeteilt und erhielt in seinen einzelnen Bestandteilen eine gleichförmige Verwaltung. Um dem sehr mangelhaften Justizwesen eine bessere Einrichtung zu geben, berief K., welche auch die Tortur beseitigte, unterm 14. Dez. 1766 durch ein Manifest rechtsverständige Abgeordnete aus allen Provinzen und verfaßte auch selbst eine Instruktion für die Kommission, welche beauftragt ward, den Entwurf zu einem allgemeinen Gesetzbuch für das ganze Reich auszuarbeiten. Der russische Handel und die russische Schiffahrt wurden nach dem schwachen Anfang, der unter der Kaiserin Elisabeth gemacht worden, neu begründet. Den innern Handel befreite K. von allen Hindernissen, die ihn bis daher erschwert hatten, und hob hierdurch auch die Landwirtschaft. Der auswärtige Handel war ein beständiger Gegenstand von Unterhandlungen und Verträgen mit andern Staaten. In der auswärtigen Politik ging K., obwohl von Durst nach Erfolg und Ruhm beseelt, mit Mäßigung vor. In Polen, das schon seit Peter I. gänzlich unter russischem Einfluß stand, setzte sie 1764 ihren Freund Poniatowski auf den Thron, schlug 1768 den Widerstand der Konföderation von Bar nieder und erklärte der Türkei den Krieg, weil dieselbe den Aufstand der Polen unterstützt hatte. Aber sie verstand sich 1772 zu einem Vertrag mit Preußen und Österreich, in dem sie diesen Mächten Westpreußen und Galizien überließ, für sich selbst Weißrußland und im Friedensschluß mit der Pforte zu Kütschük Kainardschi (1774) das Land zwischen den Flüssen Dnjepr und Bug sowie die Städte Kinburn, Kertsch, Jenikale und Perekop in Taurien erwarb.

Nach Orlows Sturz (1773) wurde Gregor Potemkin (s. d.) ihr Günstling, den K. in den Tagen ihrer Thronerhebung zuerst gesehen, und der durch geschicktes Benehmen die Aufmerksamkeit und endlich die Neigung der Kaiserin zu erregen verstanden hatte. Sie ließ es geschehen, daß Potemkin trotz kolossaler Vergeudung und Prasserei bei einer Jahreseinnahme des Reichs von 50 Mill. Rubel in 16 Jahren ein Vermögen von 90 Mill. Rubel zusammenbrachte. Zugleich wußte Potemkin Katharinas Ehrgeiz für ausschweifende phantastische Ziele zu erhitzen und ihre auswärtige Politik unruhig und regellos zu machen. Nachdem sie im bayrischen Erbfolgekrieg als Vermittlerin aufgetreten, ließ sie sich 1780 von Joseph II., der sie besuchte, für ein Bündnis mit Österreich gewinnen, das ihr dafür die Türkei preisgab. 1783 besetzte sie die Krim und die benachbarten Tatarenländer und erklärte nach einer neuen Zusammenkunft mit Joseph II. in Cherson 1787 der Türkei von neuem den Krieg. Sie gewann, obgleich ihr inzwischen in Schweden ein neuer Feind erstanden war, im Frieden von Galatz (1791) neue wichtige Vergrößerungen durch Otschakow und den Landstrich bis an den Dnjestr hin, nachdem sie schon vorher (1790) den Krieg mit Schweden vorteilhaft beendigt hatte. Hierauf wandte sie ihre Waffen gegen Polen, das sich, der schwer auf ihm lastenden russischen Vormundschaft müde, 1791 eine neue, freisinnige Konstitution gegeben hatte. Im geheimen Einverständnis mit Preußen unterstützte sie die Gegner der neuen Ordnung, die Konföderierten von Targowiz, drang der Republik die alte Feudalverfassung mit Gewalt wieder auf und nahm in Gemeinschaft mit Preußen eine neue Teilung Polens vor, welche ihrem Reich in der Ukraine und in Litauen eine gewaltige Gebietsvergrößerung verschaffte. Die hierdurch hervorgerufene bewaffnete Erhebung des polnischen Volkes endete mit der Teilung des letzten Restes von Polen zwischen Rußland, Preußen und Österreich (1795). In die letzten Regierungsjahre Katharinas fiel der französische Revolutionskrieg. Obgleich K. diese Staatsumwälzung entschieden mißbilligte und (19. Febr. 1792) alle revolutionär Gesinnten aus den Grenzen ihres Reichs wies, so nahm sie doch an dem aus der Revolution hervorgehenden Kampf selbst keinen thätigen Anteil. Ihre geistige Begabung bewährte sich trotz ihrer sinnlichen Ausschweifungen und ihres leidenschaftlichen Ehrgeizes auch in den letzten Zeiten ihres Lebens. Sie stand in lebhaftem Verkehr mit den Encyklopädisten und modernen Philosophen Diderot, Holbach, d'Alembert, Grimm und vornehmlich mit Voltaire. Montesquieus Schriften zog sie zu Rate, als sie mit dem Plan umging, dem Reich ein neues Gesetzbuch zu geben. Diderot kaufte sie seine Bibliothek ab und lud ihn nach Petersburg ein. Der sachsen-gothaische Geschäftsträger, Baron Grimm, war von ihr beauftragt, ihr jede Neuigkeit auf litterarischem und artistischem Feld sofort mitzuteilen. Der russische Akademiker Pallas und andre Gelehrte mußten in Katharinas Auftrag Rußland in weitester Ausdehnung bereisen; Pallas' Reisewerk ließ sie in prächtigster Ausstattung drucken. K. starb 17. Nov. 1796 an einem rasch sich wiederholenden Schlaganfall. Ihr Nachfolger war ihr einziger Sohn, Paul I., der seine Mutter bitter haßte, weil sie ihm die ihm zukommende Herrschaft vorenthalten hatte. K. war nicht von hohem Wuchs, aber ihre majestätische Haltung, in Verbindung mit sorgfältig gewählter Toilette, verdeckte diesen Mangel. Die Festigkeit und Ruhe in ihren Gesichtszügen, selbst in den bedenklichsten Lagen, waren bewunderungswürdig; nie sah man sie erbleichen, nie erbeben, noch wanken oder einer Stütze bedürfen. Auch das treffende und kühne Wort, der vollendetste Ausdruck des Gedankens stand ihr stets zu Gebote. Sie liebte die Pracht, aber die geschmackvolle, weshalb sie dem steifen russischen Kostüm die französische Hofkleidung vorzog, die auch ihre Umgebung trug. Ihr Lieblingsstudium war die Geschichte. Wie gewandt sie die französische Sprache handhabte, beweisen ihre Briefe an Voltaire u. a. Obgleich ohne alle dichterische Begabung, schrieb sie doch sogen. Dramen für die russische Bühne in Petersburg. Ihr männlich starker Geist, verbunden mit zügelloser Sinnlichkeit, haben ihr den Beinamen der nordischen Semiramis verschafft. Ein Denkmal Katharinas (von Mikaschin) wurde 1873 in Petersburg enthüllt. Ihre höchst interessanten Memoiren ("Mémoires de l'impératrice Catherine II, écrits par elle-même, etc.", Lond. 1859; deutsch, Hannov. 1859) gab Herzen heraus. Vgl. Castéra, Histoire de Catherine II (Par. 1800, 2 Bde.); Jauffret, Catherine II et son règne (das. 1860, 2 Bde.); Capefigue, La grande Catherine (das. 1862); Brück-^[folgende Seite]