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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kolonien

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Kolonien (innere Kolonisation, überseeische K).

von welcher sich zur praktischen Ausführung ihrer Absichten (Begründung von Kleinbaueransiedelungen in Norddeutschland etc.) eine engere Erwerbsgesellschaft ("Gesellschaft für Kolonisation im Inland") abgezweigt hat (vgl. Schön, Innere Kolonisation, Leipz. 1887; v. Henneberg, Die Gesellschaft für innere Kolonisation, das. 1887). In der neuesten Zeit hat Preußen begonnen, das deutsche Element in Westpreußen und Posen dem Polentum gegenüber dadurch zu stärken, daß man sich bestrebt, größere polnische Besitzungen allmählich in die Hände von Deutschen zu bringen. Durch Gesetz vom 26. April 1886 wurden zu dem Ende der Regierung 100 Mill. Mk. für den Ankauf von Grundstücken in den genannten Provinzen zur Verfügung gestellt. Diese Grundstücke werden in geeignetem Umfang an deutsche Ansiedler in Zeitpacht ausgegeben, meist aber verkauft und zwar gegen Übernahme einer festen Geldrente (daher Rentengüter genannt), welche, abweichend von den Bestimmungen des Ablösungsgesetzes vom 2. März 1850, nur mit Zustimmung beider Teile abgelöst werden kann. Auch können den Käufern vertragsmäßig verschiedene Beschränkungen im Interesse der Erhaltung der wirtschaftlichen Selbständigkeit des jeweiligen Besitzers (z. B. Teilungsbeschränkung) auferlegt werden. An Stelle des Verkaufs kann auch die Zeitpacht treten. Vgl. "Zur innern Kolonisation in Deutschland" (in den Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 32, Leipz. 1886). In einem weitern Sinn wird der Begriff Kolonie aufgefaßt, wenn von Arbeiterkolonien, gemischten Arbeits- und Strafkolonien (wie z. B. die Dépots de mendicité in Belgien) die Rede ist. Die Arbeiterkolonien sind nicht immer K. in dem Sinn, daß hier beschäftigungslosen Arbeitern eine bleibende Stätte geboten werden soll, wenn ja auch ein solches Ziel durch dieselben erstrebt und verwirklicht werden kann; vielmehr haben sie in der Regel (wie z. B. die von Pastor Bodelschwingh 1882 gegründete Kolonie Wilhelmsdorf, s. Armenkolonien) den Zweck, arbeitslosen Männern so lange Beschäftigung zu geben, bis es möglich ist, ihnen anderweit lohnende Arbeit zu beschaffen (vgl. Berthold, Entwickelung der deutschen Arbeiterkolonien, Leipz. 1887). Dagegen haben die auf Anregung von van den Bosch gegründeten niederländischen Landbaukolonien Fredericksoord ^[richtig: Frederiksoord], Wilhelmsoord und Wilhelminaoord den Zweck, Arbeiterfamilien fest anzusiedeln. Vagabunden- und Bettlerkolonien (wie die niederländischen Strafanstalten Ommerschans und Veenhuizen) nehmen überführte Bettler zur Strafverbüßung auf; man bezeichnet sie im Gegensatz zu den Zwangsarbeitshäusern als K., weil sie auf der ihnen zugehörigen landwirtschaftlich benutzten Bodenfläche eine Art Gemeinde bilden.

[Überseeische Kolonien.] Im engsten Sinn des Wortes versteht man unter K. zusammenhängende Ansiedelungen von Zugehörigen einer Nationalität in fernen, insbesondere in überseeischen, Ländern. Solche Ansiedelungen können sich allmählich durch freien Zuzug auf bereits bewohnten oder auf noch nicht in Besitz genommenen, bez. schwach bevölkerten Ländereien bilden; sie können aber ebenso aus der staatlichen Initiative erwachsen und zwar sowohl infolge einer Eroberung (Besiegung der Eingebornen oder andrer K. besitzender Staaten) als auch infolge freien Vertrags (Verträge mit einheimischen Häuptlingen) und der einfachen staatlichen Förderung und Beschützung. K., welche zum Mutterland auch politisch in Beziehung stehen, brauchen nicht gerade staatliche Bestandteile desselben zu sein. So kann das Mutterland die Kolonisten und deren Eigentum unter seinen besondern Schutz stellen; einer thatsächlichen Einverleibung dagegen ist es gleich zu achten, wenn das Mutterland das ganze Kolonialgebiet unter sein Protektorat nimmt (Vorgehen Deutschlands in Afrika, Neuguinea etc.; s. Kolonialrecht). Wie verschieden die K. in politischer Beziehung gestellt sein können, zeigen diejenigen Englands. Dieselben sind teils Kronkolonien, das heißt K., in welchen die englische Regierung nicht allein die gesetzgebende Gewalt in der Hand hat, sondern auch die Beamten ernennt, teils K. mit politischer Selbständigkeit, parlamentarischer Verfassung und verantwortlichem Ministerium, in welchen die englische Krone nur den Gouverneur ernennt und ein Vetorecht in Sachen der Gesetzgebung hat, zum kleinen Teil endlich K., welche zwar Vertretungskörper haben, in denen aber der Krone das Recht des Vetos und der Beamtenernennung zusteht. (Vgl. Großbritannien, S. 785.) Über die neuen deutschen Erwerbungen s. unten.

Nach der Art der Kolonisation sind zu unterscheiden: 1) Ackerbaukolonien, wie Kanada, Botanybai, die Kapkolonie, Australien etc., nämlich K., in welchen die Ansiedler sich vorwiegend mit Landbau beschäftigen. Die Europäer, welche sich in jenen Ländern niederlassen, werden Landeigentümer und kehren selten in ihr Vaterland zurück. Die Bande der Verwandtschaft und alle sonstigen Verhältnisse, welche die Kolonisten an ihr Mutterland knüpften, werden immer lockerer; die Erinnerungen erlöschen, und schon nach einigen Generationen können sie zu einer eignen, dem Vaterland entfremdeten Nation erwachsen, welche nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit strebt und nicht selten dieselbe zu erkämpfen weiß, wie dies in Nordamerika der Fall war; 2) Bergwerkskolonien, in denen zunächst der Gewinn von Gold, Silber, Edelsteinen etc. beabsichtigt wird (z. B. die Niederlassungen der Spanier und Portugiesen in Westindien und Südamerika), gehen gewöhnlich und zwar, je mehr die Bergwerke ausgebeutet werden, in Ackerbaukolonien über und machen sich, wie letztere, nach und nach, wenngleich langsamer, selbständig. 3) Pflanzungskolonien (Plantagenkolonien), deren Zweck die Erzeugung gewisser in der Regel nur unter einem heißen Himmelsstrich gedeihender Pflanzen ist, wie die K. Westindiens, das südliche Nordamerika, Brasilien und teilweise auch die ehemaligen spanischen Provinzen in Südamerika, können am wenigsten des Schutzes und der Unterstützung von seiten des Mutterstaats entbehren und wachsen daher weniger leicht zu einer selbständigen Nation heran; die Pflanzer oder freien Grundeigentümer werden selten einheimisch, da sie wegen ungesunden Klimas und Unannehmlichkeiten des Lebens entweder ihre Pflanzungen durch Aufseher verwalten lassen und deren Ertrag in Europa verzehren, oder doch, nachdem sie sich ein Vermögen gesammelt, in ihr Vaterland zurückkehren. Die Plantagenarbeit wurde in diesen K. früher von eingeführten Sklaven besorgt, heute liegen ihr ebenfalls vorwiegend schwarze, bez. einheimische Arbeiter ob. 4) Handelskolonien, welche den Vertrieb der Natur- und Kunsterzeugnisse des Landes zum Zweck haben, erwuchsen aus einzelnen Faktoreien oder Handelsstapelplätzen, die nach und nach durch List oder Gewalt, Kauf oder Vertrag die Mittelpunkte großer Reiche wurden, wobei aber der Handel immer die Hauptsache blieb, der Besitz von Grund und Boden nur Mittel zum Zweck war. Der Handel in diesen K. erstreckt sich namentlich auf Kolonialwaren, so in den K. aller westindischen Inseln,