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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kolonien

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Kolonien (Geschichtliches).

den Küstenplätzen des amerikanischen Kontinents, den ostindischen K., ferner auf Pelzwaren, wie in den englischen und russischen K. Nordamerikas, endlich auf Sklaven, welchen Handel insgeheim immer noch mehrere K. in Westindien, besonders aber Brasilien und spanische Besitzungen treiben. Die Europäer sind in K. dieser Art selten Landeigentümer, sondern in der Regel nur Soldaten, Beamte und Kaufleute, während die eingeborne Bevölkerung ihnen politisch unterworfen ist. Daher bildet sich hier auch nicht leicht eine Nation, indem die hier befindlichen Europäer größtenteils nur Bereicherung suchen und, wenn sie diese erlangt haben, in ihr Vaterland zurückkehren. Solche Handelskolonien werden sich da bilden, wo Europäer wegen der Ungunst des Klimas keinen dauernden Aufenthalt nehmen können. 5) Die freien Negerkolonien hatten ursprünglich den Zweck, amerikanische oder den Sklavenschiffen abgenommene Neger anzusiedeln und zu bilden, wie die von der Amerikanischen Kolonisationsgesellschaft für freie Neger (gegründet 1816 in Washington) ins Leben gerufene Republik Liberia, dann die 1787 von der Afrikanischen Gesellschaft in London gegründete, später unter englische Herrschaft gestellte Kolonie Sierra Leone. 6) Strafkolonien, wie Neukaledonien für Frankreich, sind K., nach welchen die zur Deportation verurteilten Verbrecher verbracht werden (vgl. Deportation). 7) Sogen. Relaiskolonien, Militär- und Flottenstationen, welche seefahrenden Völkern zur Ausbesserung und Verproviantierung der Schiffe dienen.

Geschichtliches.

Schon in der ältesten geschichtlich bekannten Zeit haben diejenigen Völker, welche eine ausgebreitetere Handelsthätigkeit entwickelten, zur Sicherung ihres Handels K. angelegt, so das älteste größere Handelsvolk, die Phöniker, welche an den Küsten des Mittelländischen Meers eine größere Zahl von Niederlassungen gründeten, aus denen später blühende Städte erwuchsen. Die mächtigste der phönikischen Pflanzstädte, Karthago, löste später das Mutterland ab und beherrschte, gestützt auf seine kluge Eroberungs- und Kolonialpolitik, bald das ganze Mittelländische Meer. Ein vorzügliches kolonisatorisches Talent entwickelten die Griechen, welchen die K. Unterkunftsstätten für die wachsende überschüssige Bevölkerung abgaben. In Kleinasien, an den Küsten des Schwarzen Meers, in Unteritalien ("Großgriechenland" genannt) und in dem südlichen Teil von Gallien und Spanien entstanden eine große Zahl von griechischen Niederlassungen, welche überall griechische Kultur verbreiteten. Die Griechen unterschieden zwischen K., welche von der Staatsgewalt des Mutterlandes selbst gegründet wurden und mehr oder weniger unmittelbar unter der Leitung derselben blieben (Kleruchien), und solchen, welche aus den freien Bestrebungen der Bürger hervorgingen und Apoikien genannt wurden. Meist bildeten die griechischen K. unabhängige eigne Staaten, welche als Töchter des Mutterstaats mit diesem eine Art Schutz- und Trutzbündnis eingingen. Die römische Politik war dagegen mehr eine Eroberungspolitik, die echte kolonisatorische Thätigkeit war ihr fremd. (Über die K. der Alten Welt vgl. die Artikel "Griechenland", "Karthago", "Rom", dann auch "Handel".) Nachdem Zerfall der römischen Weltherrschaft, zur Zeit der Völkerwanderung, bildeten sich wohl neue Staaten, doch konnte an Anlegung von Niederlassungen erst gedacht werden, als der internationale Verkehr sich größerer Ruhe und Sicherheit erfreute. Im Mittelalter waren es vorzüglich die Hanseaten welche im Norden Europas Faktoreien und Handelsniederlassungen gründeten, dann sind die Erwerbungen des Deutschen Ordens in Preußen sowie die Einwanderungen von Westfalen und Niederländern in Schlesien und Polen zu erwähnen. Im Süden von Europa bot sich weniger Gelegenheit für Gründung von Faktoreien und K. Die nördlichen Gestade des Mittelländischen Meers waren bereits in festen Händen von Kulturvölkern, die südlichen wurden von den den Europäern feindseligen Mohammedanern beherrscht. Die Aufschließung der Neuen Welt gab dem Kolonialwesen eine völlig veränderte Gestalt, da jetzt den Kulturvölkern der Alten Welt fast unbeschränkte Territorien zur Verfügung gestellt wurden. Nunmehr waren fast alle europäischen Staaten eifrigst bestrebt, möglichst ausgedehnte K. zu erwerben, und es entwickelte sich bald die besonders im 17. Jahrh. zur Blüte gelangte monopolistische Handels- und Kolonialpolitik, welche als Kolonialsystem bezeichnet zu werden pflegt. Dasselbe gipfelte darin, die K. möglichst zu gunsten des Mutterlandes auszubeuten. Man sperrte dieselben gegen Fremde ab, anfänglich um ihren Besitz sicherzustellen, später, als das Merkantilsystem (s. d.) sich mehr entfaltete, im Interesse der Handelspolitik. Das Streben ging vorzüglich dahin, durch entsprechende Gestaltung von Schiffahrts- und Zollpolitik ausschließlich dem Mutterland den Verkehr mit den K. zu sichern. Letztere sollten für ersteres eine dauernde Bezugsquelle von Rohstoffen und Kolonialwaren, dann ein vorteilhaftes Absatzgebiet für die eignen Industrieerzeugnisse abgeben. Den Schiffahrtsverkehr mit den K. behielt man ausschließlich der nationalen Flagge vor, indem von fremden Schiffen ein besonderer Flaggenzoll (s. d.) erhoben oder, wie 1664 in England und 1670 in Frankreich, denselben der Besuch der K. geradezu untersagt wurde. Bestimmte Häfen des Mutterlandes wurden zu Stapelplätzen erklärt, wichtigere Produkte der K. sollten nur hierher, nicht direkt nach dem Ausland verbracht werden, die Einfuhr nach den K. sollte nur über das Mutterland stattfinden. Auch wurde die Einfuhr vieler fremder Industrieerzeugnisse durch Auflegung hoher Zölle erschwert oder verboten. In den K. selbst aber wollte man eine eigne Industrie, welche mit dem Mutterland konkurrieren könnte, nicht aufkommen lassen. Deswegen wurde die Ausfuhr von Fabrikaten aus denselben durch Zölle belastet oder überhaupt untersagt, oder es wurden bestimmte industrielle Unternehmungen in den K. nicht zugelassen. Allerdings räumte man dagegen auch den K. wieder verschiedene Vorteile im Verkehr mit dem Mutterland ein, insbesondere dadurch, daß die Erzeugnisse fremder K. auf dem Markte desselben mit höhern Einfuhrzöllen belastet oder auch für die Einfuhr von Erzeugnissen der eignen K. Prämien entrichtet wurden. Weil so Mutterland und Kolonie einander gegenseitig Begünstigungen zugestanden, wurde das Kolonialsystem auch oft Kolonialvertrag (pacte colonial) genannt, ein Vertrag, der freilich mehr einseitig bestimmt und eine Art Löwenvertrag war. Das Kolonialsystem wurde, wenn auch nicht überall in der gleichen Weise, von allen Kolonialmächten durchgeführt. England bildete es besonders mit der 1651 erlassenen, 1660 und 1664 erweiterten Navigationsakte aus, Frankreich führte mit dem Reglement von 1670 eine vollständige Abschließung ein, während Spanien und Portugal schon früher einer echt monopolistischen Handelspolitik gehuldigt hatten. Eine Umgestaltung trat erst mit dem 19. Jahrh. ein. Das Verbot wurde mehr und mehr durch