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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kranrecht; Kranz

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Kranrecht - Kranz.

diesen aus beobachtete, daß aber Krankheiten, welche in Entwickelungsperioden fallen, und zu deren Ausbruch die Entwickelung oft den letzten Anstoß gibt, großenteils sich eigentümlich gestalten und daher auch eine besondere, im allgemeinen eine exspektative Behandlung nötig machen.

Die Krankheiten geben sich durch Symptome zu erkennen, und zwar sind diese zum Teil nur den Patienten allein erkennbar (subjektive Symptome), wie Schmerz u. dgl., oder sie können auch von andern Personen erkannt werden (objektive Symptome), wie das Fieber, gewisse Veränderungen in der Lunge und in andern Organen. Über die Symptome belehrt den Arzt ein Bericht, die Anamnese, und die Untersuchung, welche durch die Erfindung der Auskultation und Perkussion, durch Anwendung des Thermometers, gewisser Spiegel und Beleuchtungsapparate, durch chemische und mikroskopische Untersuchung von Krankheitsprodukten außerordentlich gefördert worden ist. Auf Grund dieser Untersuchung stellt der Arzt die Diagnose, welche ihm nebst der weitern Beobachtung die Maßregeln zur Bekämpfung der Krankheiten, die Behandlung (Therapie), vorschreibt und ihn zu einem Urteil über den vermutlichen Ausgang der K. (Prognose) befähigt. Stirbt der Kranke, so belehrt oft erst die Leichenöffnung (Sektion, Autopsie) über die wahre Natur der K. Die Darstellung des ganzen Krankheitsverlaufs bildet die Krankengeschichte. Nächst der Heilung der K. hat der Arzt die noch wichtigere Aufgabe, den Ausbruch einer K. zu verhüten. Diese Prophylaxe basiert wesentlich auf den Lehren der Gesundheitspflege (Hygieine), welcher man jetzt die erfreulichsten Erfolge verdankt, während eine andre Disziplin, die Nosophthorie oder die Lehre von der Vertilgung der Krankheiten, bis jetzt über die ersten Anläufe nicht hinausgekommen ist. Thatsächlich sind Krankheiten verschwunden, welche früher die größten Verheerungen angerichtet haben, und die genaue Erkenntnis der Natur der Ansteckungsstoffe, welche die neueste Zeit gebracht hat, läßt vielleicht hoffen, daß es möglich sein wird, die Bedingungen für die Entstehung gewisser Krankheiten völlig zu beseitigen.

Die Lehre von der geographischen und klimatischen Verbreitung der Krankheiten (Nosogeographie) ist ein von der Medizinalstatistik unzertrennlicher Zweig der Medizin, welcher lehrt, welche Krankheiten in den verschiedenen Ländern vorkommen, durch welcherlei geographische und klimatische Einflüsse ihre Häufigkeit gegenüber andern Krankheiten bedingt wird, wie sich die Widerstandsfähigkeit der Eingebornen gegenüber der von fremden Einwanderern verhält, bis zu welchem Grad eine Akklimatisation stattfinden kann, und wovon diese abhängig ist. Zur bequemern Übersicht teilt man wohl ein in Nosogeographie der Tropenländer, der subtropischen Zonen, der gemäßigten, der höhern Breiten und der arktischen Gegenden; allein da viele endemische Krankheiten, namentlich das gelbe Fieber und andre Formen der schweren Malariafieber, nicht sowohl von der Entfernung der Länder vom Äquator, sondern wesentlich von der Feuchtigkeit, von der Höhenlage, von der Bodenbeschaffenheit und der herrschenden Windrichtung abhängig sind, so hat jedes Land seine eigne Nosogeographie, und wiederum innerhalb jedes Landes sind oft recht bedeutende Verschiedenheiten im Auftreten und Verlauf von Krankheiten festzustellen. Bekanntlich sind die Höhen des Camerungebirges völlig frei von den gefährlichen Fiebern, denen in der Ebene und an den Flußmündungen schon so viele Forschungsreisende erlegen sind; die ungesunde Zone erstreckt sich in der Ebene noch eine Strecke weit ins Meer hinaus, über diese Grenze weg hört der Einfluß auf, die Eingebornen sind ihm überhaupt nicht unterworfen. In manchen Küstenstädten, San Francisco u. a., sind nur die tief gelegenen Stadtteile dem gelben Fieber ausgesetzt, während die Straßen auf den Anhöhen frei bleiben. In Italien ist die Schädlichkeit der Pontinischen Sümpfe schon im Altertum gekannt und gefürchtet gewesen, und die Nosogeographie hat gelehrt, wie segensreich, abgesehen von dem wirtschaftlichen Nutzen, die Trockenlegung des Netze- und Warthebruchs und der Schutz der Weichselniederungen durch Dämme auch für die Gesundheit der Anwohner gewirkt hat. Diese aus der Erfahrung hergenommenen Kenntnisse müssen vorhergehen, bevor die genaue Erforschung der einzelnen Krankheitsursachen beginnt, und so hat z. B. die Nosogeographie seit langem gewußt, daß der Brutherd der Cholera in den Gangesniederungen Indiens, in Kalkutta und Bombay zu suchen sei, bevor der Kommabacillus durch die hierher gesandte Cholerakommission 1883 entdeckt wurde. Es ist Aufgabe der Nosogeographie, zu ermitteln, welche besondern Pilze den Madurafuß hervorbringen, welche klimatischen und sozialem Mißstände der Beriberikrankheit im japanischen Archipel zu Grunde liegen, durch welchen Umstand die fortschreitende Kultur den Aussatz in die norwegischen Hochlande einerseits und in den fernen Orient anderseits zurückgedrängt hat, was der schwarze Tod des 15. Jahrh., was die Beulenpest für Seuchen gewesen sind, und wodurch wir von ihrer Wiederkehr verschont bleiben. Die Entstehung der ägyptischen Augenkrankheit, Vorkommen und Verlauf eigenartiger Hautkrankheiten in den Tropen, die Pfeilgifte wilder Völkerstämme und die Entzündungen und Vergiftungen nach Schlangenbiß, die Frage nach der Verwandtschaft der Kotschinchina-Diarrhöe mit der Cholera asiatica, die Kretinsfrage in den Alpen und Pyrenäenthälern, die Natur des Weichselzopfs in Podolien, die Ursachen der Fischschuppenkrankheit auf Borneo: alle diese Arbeiten gehören in das Gebiet der Nosogeographie, und jeder deutsche Arzt, welcher im Vaterland die einheimischen Krankheiten kennt, ihren Verlauf und die Stärke der Heilmittel zu beurteilen weiß, muß unter fremden Himmelsstrichen zuerst damit beginnen, die Nosogeographie seiner neuen Umgebung kennen zu lernen. Litteratur s. bei Pathologie.

Kranrecht (Jus geranii), ehedem das von manchen Landesherren, aber auch von manchen Städten in Anspruch genommene und ausgeübte Recht, den Schiffer zu zwingen, an einem bestimmten Orte die Ladung zu verzollen; dann das Recht, in Häfen und an Ausladestellen einen Kran öffentlich zu halten, für dessen Benutzung eine bestimmte Gebühr (Krangeld) zu entrichten ist.

Kranz, kreisförmiges Gewinde von Blättern oder Blumen, bereits im Altertum als festlicher Kopfschmuck bei Opfern und Gelagen, als Ehrenpreis und Siegeszeichen in den Kampfspielen sowie im Krieg etc. (vgl. Corona) gebräuchlich; im Mittelalter auch fürstliches Abzeichen (an Stelle der Krone, die wahrscheinlich erst aus dem K. entstanden ist), jetzt noch allgemein als Symbol der Jungfräulichkeit und Ehrenzeichen der Braut verwendet (s. Brautkranz); wird dann auch von Dingen, die in Kranzgestalt erscheinen, von etwas Kreisförmigem, in sich Abgeschlossenem überhaupt gebraucht; daher z. B. Kränzchen, s. v. w.