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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kriegssanitätswesen

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Kriegssanitätswesen (Geschichtliches).

ritter-Marianer) bestehen, in ähnlicher Weise geregelt wie in Deutschland. Die von diesen Vereinen aufzustellenden 40 Blessierten-Transportkolonnen sind auf die 40 Feldspitäler derart verteilt, daß 30 auf die im Reichsrat vertretenen Länder, 10 auf die Länder der ungarischen Krone kommen. Ein Mitglied des Herrscherhauses ist Protektor-Stellvertreter, der im Krieg als Generalinspektor an die Spitze der freiwilligen Krankenpflege tritt. - In Frankreich, wo das Verhältnis der freiwilligen Hilfe zu Staat und Heer durch Dekret vom 3. Juli 1884 geregelt ist, kennt man die Stellung des Kommissars und Militärinspekteurs nicht, der Verein vom Roten Kreuz ist vielmehr direkt dem Kriegsministerium unterstellt und wird bei der Armee durch Delegierte vertreten, die der Kriegsminister bestätigt und entsendet. - In Rußland besteht eine gesetzliche Regelung der Hilfe des Vereins vom Roten Kreuz im Krieg nicht, sie erfolgt von Fall zu Fall. - In England besteht eine Organisation der freiwilligen Hilfe nicht; tritt sie in Thätigkeit, so steht sie selbständig neben dem militärischen Sanitätsdienst.

Geschichtliches.

Den ersten Anfängen einer Kriegskrankenpflege begegnen wir bei den Griechen des Altertums, bei denen die Pfeilzieher als Wundärzte wirkten durch das Ausziehen von Pfeilen, Stillen von Blutungen und Anlegen von Verbänden. Xenophon hatte bei dem Rückzug der Zehntausend Wundärzte mit; auch die ägyptischen Heere wurden von heilkundigen Männern, meist Priestern, begleitet, bei ihnen finden sich auch die ersten Spuren von Kriegslazaretten, die bei den Griechen ganz fehlen, obgleich auch den Heeren Philipps und Alexanders d. Gr. Ärzte folgten. In den ältern Zeiten der römischen Republik war die Fürsorge für die Verwundeten und Kranken sehr gering, später wurden diese nach Rom zur Pflege zurückgeschickt und dort auf die Bürger verteilt; für schmachvoll galt es, sie schutzlos zu verlassen. Die Armeen Cäsars hatten zwar Ärzte, ihre Wirksamkeit war aber beschränkt. Erst unter Augustus trat ein geordneter Feldsanitätsdienst ins Leben; Ärzte und Krankenträger waren auf die Truppen verteilt, stehende und Feldlazarette, in den Lagern Zeltlazarette, waren im Gebrauch. Während der Kreuzzüge versahen Johanniter und Geistliche das Amt der Ärzte. Aber erst mit der Bildung stehender Heere beginnen auch die Anfänge einer Kriegskrankenpflege. Heinrich IV. soll 1597 vor Amiens das erste Feldlazarett errichtet haben. In Deutschland finden wir bei den Fähnlein der Landsknechtheere einen Feldscher und bei einem Heer einen "Obrist-Feldarzt", ein Spittelmeister sorgte für die Verwundeten und Kranken, doch gab es keine eigentlichen Lazarette. Der Große Kurfürst begann zwar mit der Einrichtung einer bessern Kriegskrankenpflege, doch erst der polnische Edelmann Janus Abraham a Gehema wurde, nachdem er Medizin studiert und in elf Feldzügen Erfahrungen gesammelt, der eigentliche Reformator auf diesem Gebiet. König Friedrich I. gründete die ersten Feldlazarette und Friedrich Wilhelm I. 1713 die Charitee und die Anatomie in Berlin; hiermit wurde er der Schöpfer der militärärztlichen Organisation in Preußen. 1725 folgten das Medizinaledikt und die Instruktion für die Regimentsfeldschere, 1734 das erste Feldlazarettreglement. Unter Friedrich II., der 1743 ein neues Reglement erließ, fand das Feldsanitätswesen weitere Entwickelung, er schied die Hauptlazarette von den mobilen oder fliegenden Ambulanzen. Am 16. Sept. 1787 erschien ein neues Feldlazarettreglement. Grundlegend für die künftige Gestaltung des Kriegslazarettwesens wurde die 1793 auf Görckes Vorschlag erfolgte Errichtung eines beweglichen Feldlazaretts für 1000 Verwundete sowie das auf seine Anregung 1795 zu Berlin gegründete medizinisch-chirurgische Friedrich Wilhelms-Institut (Pepinière). Er organisierte das Krankentransportwesen (Krankenträgerkompanien) während der Befreiungskriege; es wurden Evakuationslinien für den Rücktransport der Verwundeten aus Frankreich festgesetzt, in welchen man die Anfänge der heutigen Krankenverteilung zu suchen hat. Der erste Gedanke, besondere Krankenträger (brancardiers) zu bilden, ging von dem französischen Arzt Percy 1800 aus; sie bilden die Grundlage für die erste Hilfe, die in der Gefechtslinie beginnt und die Fortschaffung der Verwundeten durch Ambulanzen nach rückwärtigen Feldlazaretten notwendig macht. In dieser Organisation liegt der Schwerpunkt des Kriegssanitätswesens, da von der baldigen ersten Hilfe die Erhaltung vieler Menschenleben abhängt. An ihrer Vervollkommnung ist, zumal sie ausschließlich militärisch sein muß, unablässig gearbeitet worden. Die 1834 organisierten leichten und schweren Feldlazarette in Verbindung mit Krankenträgerkompanien waren 1869 in Sanitätsdetachements umgewandelt worden. Jeder neue Krieg hatte eine Vermehrung und Verbesserung dieser Einrichtungen zur Folge. Welche Anforderungen an sie gestellt wurden, ist daraus ersichtlich, daß bei Königgrätz außer den 13,731 Verwundeten der preußischen Armee noch gegen 13,000 österreichische Schwerverwundete in ärztliche Behandlung genommen werden mußten; in der Schlacht bei Colombey-Nouilly 14. Aug. 1870 fielen 4780, am 16. bei Mars la Tour 14,832 und am 18. bei St.-Privat 19,680, in den drei Schlachten bei Metz innerhalb fünf Tagen betrug mithin der Verlust der deutschen Armee 39,292 Mann, von diesen sind am Schlachttag gestorben 6360, es blieben mithin in ärztlicher Behandlung 32,932 Mann; trotz dieser ungeheuern Verluste war bereits 19. Aug. mittags sämtlichen Verwundeten die erste Hilfe gebracht und der ärztliche Dienst auf dem Schlachtfeld selbst beendet. Welche schrecklichen Folgen würde die wenn auch nur kurz dauernde Anhäufung so vieler Kranken auf kleinem Bereich gehabt haben! Der Rücktransport und die Krankenzerstreuung ist daher notwendige Bedingung eines wohlorganisierten Kriegssanitätswesens, trotzdem hat dieselbe erst in der Neuzeit feste Grundlage und einheitliche Organisation gefunden, welche auf ausgiebigster Benutzung der Eisenbahn beruht. Der österreichische Oberstabsarzt Dr. Kraus war einer der ersten, der Ende der 50er Jahre auf die geregelte Krankenzerstreuung hinwies. Durch Esmarch wurde 1860 die Einrichtung von Lazarettzügen angeregt; sie kamen im amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65 zuerst in Anwendung, noch großartiger und wirksamer waren in Amerika die Hospitalschiffe, auf denen im Mai 1864: 26,191, täglich 1500, Verwundete transportiert wurden. Preußen fehlten 1866 noch ausreichende Mittel zum Eisenbahnkrankentransport, der deshalb wenig befriedigte. Nach dem Krieg begannen die Vorbereitungen für die Sanitätszüge, die dann während des Kriegs 1870/71 eine treffliche Entwickelung erlangten. Es bestanden 21 Sanitätszüge für durchschnittlich 200 Verwundete, die in 163 Fahrten 36,295 meist Schwerverwundete nach Deutschland brachten. Außerdem wurden in 305 Krankenzügen (s. d.) 127,582 Leichtkranke und Leichtverwundete befördert. Immerhin sind auch in Frankreich eine große Zahl Verwundeter und Kranker in den dort eingerichteten La-^[folgende Seite]