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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kunstgewerbe

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Kunstgewerbe (Entwickelung in der Gegenwart).

auf Tischlerei, Malerei, Tapeten, Teppiche und Stoffe erstreckt. In der Metallindustrie sind Schmiedeeisen und Messing kräftig entwickelt, Bronzeguß und Goldschmiedearbeit stehen noch zurück. Aus ähnlichen Motiven wie die Engländer gründete v. Eitelberger für Österreich 1864 das Museum für Kunst und Industrie in Wien, eine (jetzt 11,000 Nummern umfassende) Sammlung mustergültiger Gegenstände der Kunst und des Kunstgewerbes und eine damit verbundene Kunstgewerbeschule, welche aber noch ausgesprochener als das South Kensington-Museum eine bestimmte Kunstrichtung, nämlich die stilistische, kultiviert. Es betont gegenüber der französischen Willkür, die sich je nach Laune und Einfall alles erlaubt, die Gesetze und hat vor allem die Kenntnis und das Verständnis der Renaissanceformen durch zahlreiche Publikationen gefördert. Es ist besonders das Verdienst Jakob Falkes, des jetzigen Direktors, durch seine allgemein verständlichen Schriften über die Grundzüge des Geschmacks und des Stils in den Kunstgewerben aufgeklärt zu haben. Auf der Wiener Weltausstellung von 1873 waren die Erfolge dieser Arbeit glänzend vorgeführt. Die Glaswaren, die Teppiche, Stickereien, Möbel, feine Metallwaren standen in erster Reihe und bekundeten einen durchaus selbständigen und einheitlichen Geschmack, der sich bis jetzt auf gleicher Höhe erhalten, hier und da auch noch reicher und edler entwickelt hat. Durch die große Reihe von Fachschulen werden alle Teile der Monarchie gleichmäßig in die Bewegung hineingezogen.

In Preußen hatte man schon 1830-40 unter Schinkel und Beuth erhebliche Anstrengungen zur Hebung des Kunstgewerbes gemacht und Fachwerkstätten und Musterschulen errichtet. Aber die einseitige Herrschaft eines unfruchtbaren Klassizismus und die Bedürfnislosigkeit der Bevölkerung ließen wenig Früchte gedeihen. 1867 wurde in Berlin zunächst von Privaten das Kunstgewerbemuseum (in der ersten Zeit Deutsches Gewerbemuseum genannt) begründet, welches sich im allgemeinen der Anlage des Österreichischen Museums anschloß, den Stil, besonders auf Grund des Studiums der hellenischen Antike, übrigens noch mehr betonte und vorerst seinen Schwerpunkt in eine Schule legte; doch entwickelte sich auch eine unter der Leitung von J. ^[Julius] Lessing stehende Sammlung mustergültiger Gegenstände von kleinen Anfängen zu einem sehr bedeutenden Umfang (ca. 36,000 Nummern), so daß das Berliner Kunstgewerbemuseum zu einer Sammlung ersten Ranges geworden ist. Dieselbe erhielt nicht nur durch die letzten Ausstellungen, sondern auch durch die kunstgewerblichen Gegenstände, die man aus der Kunstkammer des königlichen Museums damit vereinigte, eine außerordentliche Bereicherung. Auch die Sammlungen Minutoli, v. Brandt, Rein, Riebeck und viele kleinere sind darin aufgegangen. Die mit dem Museum verbundene Unterrichtsanstalt hat eine große Ausdehnung (ca. 800 Schüler). Die Berliner Gewerbeausstellung von 1879 hat die Erfolge dieser Thätigkeit in überraschender Weise gezeigt. Mit einer festen Anlehnung an die edlen Formen der Renaissance verbinden sich architektonische Selbständigkeit und tüchtige malerische Wirkung. Auch unabhängig vom Museum hat sich das Berliner K. namentlich in der Metall- und Möbelindustrie im letzten Jahrzehnt zu hoher Blüte und größter Leistungsfähigkeit entwickelt. So nimmt die Berliner Silberwarenindustrie eine führende Stellung ein. Außerhalb Berlins sind in zahlreichen Provinzialstädten Kunstgewerbe- und Fachschulen errichtet worden, welch letztere besonders zur künstlerischen Veredelung lokaler Industriezweige bestimmt sind.

In Bayern hat das Nationalmuseum in München, begründet 1867 von Aretin, jetzt geleitet von W. H. v. Riehl, mit seinen reichen kulturhistorischen Sammlungen den Sinn für die Kunst und Pracht der Vorzeit mächtig geweckt. Die alten Reichsstädte mit ihren Schätzen, besonders Nürnberg, führten schon früh zu einer Industrie, welche das Alte direkt nachahmte und allmählich für modernen Gebrauch umgestaltete. Etwas später wurde das Bayrische Gewerbemuseum in Nürnberg gegründet. Es legte ein besonderes Gewicht auf die Vorbildersammlung, richtete auch öffentliche Vorträge und eine permanente Ausstellung für Fabrikanten und Kaufleute ein und statt der Kunstgewerbeschule, welche in Nürnberg schon bestand, gesonderte Fachschulen für seinen Metallguß, Buchbinderei, Schlosserei etc. Um dieselbe Zeit wurden ähnliche Institute auch zu Hamburg, Leipzig, Dresden, Kaiserslautern, Frankfurt a. M. etc. gegründet. Die Zentralstelle in Stuttgart und die Gewerbehalle in Karlsruhe waren ursprünglich mehr auf Vervollkommnung der technischen Gebiete gerichtet, sind aber später mit Fachkursen, resp. mit der Kunstgewerbeschule in Verbindung gebracht worden. Die Zahl der Kunstgewerbe- und gewerblichen Fachschulen in Deutschland, die zum Teil auch eigne Museen oder Vorbildersammlungen besitzen, beträgt ca. 60. Einen ersprießlichen Einfluß auf die Förderung des deutschen Kunsthandwerks haben auch die zahlreichen (ca. 40) Kunstgewerbevereine geübt. Eine sehr erfreuliche Übersicht der Leistungen Deutschlands gab die Münchener kunstgewerbliche Ausstellung von 1876, in welcher sich besonders München durch malerisch kecke Behandlung des Materials auszeichnete. Dort gaben auch die Arbeiten der deutschen Vorzeit in glänzender Entfaltung einen Anhalt für die Arbeit, welche zur Wiedererlangung der verlornen Kunstfertigkeit noch zu leisten ist. Ähnliche Ausstellungen alter Kunstarbeiten boten Berlin 1872, Dresden 1875, Köln 1876, Münster und Lübeck 1879, Düsseldorf 1880, Nürnberg 1885, Augsburg 1886. Über die Ausstellungen von Erzeugnissen der modernen K. s. Ausstellungen.

In Italien war die Pflege des Kunstgewerbes nie ganz erloschen, zum mindesten wurde es als Fälschergewerbe zur Herstellung nachgeahmter Antiquitäten betrieben. Die hohe künstlerische Begabung des Volkes, verbunden mit dieser Tradition, hat in neuester Zeit eine glänzende Entfaltung des Kunstgewerbes gezeitigt, allerdings in Formen, die ganz von dem Alten abhängig sind. Majolika, Glas, Bronze, Goldschmuck, Intarsia, Mosaik, Spitzenarbeit wird dort handwerksmäßig von fast ungeschulten Kräften mit vollendeter Kunst, Holzschnitzerei auch von berufsmäßigen Künstlern ausgeführt. - In Spanien sind ebenfalls noch einige Traditionen aus altspanisch-maurischer Zeit lebendig, besonders in tauschiertem Eisen und in Lederarbeit. - In Rußland, Schweden, Norwegen und Dänemark sucht man die nationalen nordischen Elemente zu stärken, wie sich solche in den bäuerlichen Arbeiten erhalten haben (Ausstellung in Moskau 1872 und Kopenhagen 1879). In Rußland hat man auf derartige Holz- und Leinenarbeiten einen eignen Nationalstil gegründet. - In Belgien, Holland und der Schweiz geht die Bewegung im wesentlichen parallel der in England und Deutschland, nur daß in den Niederlanden mehr die Glanzperiode des 17. Jahrh. zum Ausgangspunkt der Stilerneuerung genommen wird (Ausstellung in