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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kurland

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Kurland (Geschichte).

ein erstrecken und der Schiffahrt sehr hinderlich sind. In geognostischer Hinsicht gehört K. der devonischen Formation an. Die untern Schichten bestehen aus Sandstein (oft Höhlen bildend, wie die Davidhöhle bei Dondangen) mit versteinerten Fischüberresten, die obern aus Mergel und Kalkstein mit sehr viel versteinerten Muscheln. Die Juraformation findet sich am untern Lauf der Aa und Windau. Die ältern Schichten sind oft nur von einer ganz dünnen Ackerkrume, an andern Stellen wieder von einer bis fast 20 m hohen Schicht Schwemmland und Gerölle bedeckt, welche viele silurische Versteinerungen enthält. Erratische Blöcke finden sich überall zerstreut. Die bedeutendsten Flüsse sind: die Kurische Aa, die Windau und die Düna, welche Grenzfluß gegen Witebsk und Livland ist. Von Kanälen sind nennenswert: der Jakobskanal bei Mitau, nach dem Frieden von Oliva zwischen 1660-81 angelegt, verbindet die Schwite mit der Drixe bei Mitau; der Libausche Kanal, verbindet den gleichnamigen See mit der Ostsee und bildet zugleich einen Hafen, und der Windaukanal, welcher die Flüsse Windau und Dubissa verbindet. Die bedeutenden der sehr zahlreichen Seen sind: der Libausche (40 qkm), der Usmaitensche (42 qkm) und der Papensee (18 qkm). Von den Mineralquellen Kurlands sind die schwefelhaltigen bei Baldohn und Barbern und die eisenhaltigen bei Buschhoff und Dondangen am bekanntesten. Das Klima ist gesund, aber veränderlich und oft nebelig. Die mittlere Jahrestemperatur beträgt in Mitau +5,8° C.; im kältesten Monat (Januar) -13° C., im wärmsten (Juli) +22° C. Die Zahl der Regentage beläuft sich auf 145, mit einem Niederschlag von 52,5 cm.

Die Bevölkerung ist (1882) 642,570 (24 Einw. pro QKilometer), darunter sind 74 Proz. Protestanten, 18 Proz. Griechisch- und Römisch-Katholische und ca. 8 Proz. Juden. Der Nationalität nach sind am meisten die Letten vertreten, welche die Klasse der Bauern bilden. Dem Deutschtum gehört der Adel und ein großer Teil der städtischen Bevölkerung an, 8,2 Proz.; Russen sind mit 1,7, Polen und Litauer mit 1 Proz. vertreten. Die lutherische Kirche steht unter einem Provinzialkonsistorium, das seinen Sitz in Mitau hat. Die Zahl der Eheschließungen war 1885: 5064, der Gebornen 19,705, der Gestorbenen 13,358. Die fast einzige Beschäftigung der Einwohner bildet der Ackerbau. Man baut Roggen, Hafer, Weizen, Gerste, Turnips und Futterkräuter, weniger Kartoffeln, Lein, Hanf und Buchweizen. Die Ernte war 1884 pro Hektar der betreffenden Ackerfläche bei Roggen 14,2, bei Winterweizen 15,6, bei Sommerweizen 9,6, bei Hafer 14,5, bei Gerste 15,1, bei Kartoffeln 120,9 hl. Das Obst gedeiht vorzüglich, ebenso auch Gemüse. Die Viehzucht hebt sich von Jahr zu Jahr, namentlich was Veredelung der Rassen betrifft. 1883 betrug der Viehbestand: 173,530 Stück Hornvieh, 165,788 Schafe, 86,835 Schweine und 122,692 Pferde. Im nördlichen und östlichen Teil ist Nadelwald vorherrschend, während der südliche und westliche Teil reicher an Laubwald ist. Von den Wäldern gehört fast die Hälfte der Krone. Die Jagd wird gepflegt; Bären kommen selten vor, häufiger wilde Schweine, Elentiere und Wölfe, allgemein Rehe, Füchse, Hasen, verschiedene wilde Hühner und Schnepfen. Das Mineralreich liefert Gips, Lehm, Kalk, Torf, Bernstein, namentlich beim Angarnschen See und am Meeresstrand, Sandstein, Mergel, Sumpfeisen und Braunkohle. Die Industrie ist, mit Ausnahme der Branntweinbrennerei, die jedoch im Rückgang begriffen ist (Zahl der Brennereien seit 1864 von 180 auf 89 gesunken), nicht von Belang. Ansehnlich sind Draht- und Blechfabrikation, Mahl- u. Sägemühlen, Bierbrauerei, Fabrikation von Leder, Tabak, Hefe, mechanischen Werkzeugen, Lichten und Glas, Ziegeleien, Ölschlägereien und Färbereien. Der gesamte Produktionswert wird (1885) auf 13,2 Mill. Rubel angegeben. Der Handel, namentlich über Libau, nimmt bedeutenden Aufschwung. Die Ausfuhr besteht hauptsächlich in Spiritus (1884: 57 Mill. Grad), Getreide, Lein, Häuten und Holz, die Einfuhr in Manufaktur- und Kolonialwaren, Wein, Salz und Früchten. Der Landhandel ist in den Händen der Juden. Die Petersburg-Warschauer Eisenbahn durchschneidet die äußerste südöstliche Ecke des Gouvernements; außerdem führt längs der nördlichen Grenze eine Bahn von Dünaburg nach Riga, welche Stadt wiederum über Mitau mit Libau und Kowno durch Bahnen verbunden ist. An Schulen hat K. (1885) 3 klassische Gymnasien mit 1857 Schülern, 5 höhere Bildungsanstalten für die weibliche Jugend, 2 Realschulen, 24 Kreisschulen, Kleinkinderbewahranstalten und Waisenhausschulen, 2 Stadtschulen, 136 Privatlehranstalten, 418 Elementarschulen, 3 Taubstummenschulen, 5 Navigationsschulen, ein Volkslehrerseminar, eine Ackerbauschule. Die Zahl aller Lernenden beträgt 44,029, darunter 17,310 weiblichen Geschlechts. Auf dem Land kommt auf 1290 Menschen eine Schule und auf 15 Einw. ein Schüler. K. wird von einem Gouverneur verwaltet, der nach der Aufhebung des Generalgouvernements der Ostseeprovinzen (1876) unter dem Ministerium des Innern steht. In militärischer Hinsicht ist K. nach wie vor dem Generalgouvernement von Wilna unterworfen. Das Gouvernement wird in zehn Kreise geteilt: Bauske, Friedrichstadt, Goldingen, Grobin, Hasenpoth, Jeletz, Mitau, Talsen, Tuckum und Windau. Bis jetzt hat sich K. noch seine eigne gerichtliche Organisation erhalten sowie seine Landtage und Kreisstände und die Einteilung in fünf den Kreisen entsprechende Oberhauptmannschaften, von denen jede in zwei Hauptmannschaften zerfällt. Vgl. Possart, Statistik und Geographie des Gouvernements K. (Stuttg. 1843); v. Heyking, Statistische Studien über K. (Mitau 1862); "Archiv für Naturkunde Liv-, Esth- und Kurlands" (Dorpat, seit 1854); "Statistisches Jahrbuch für K." (1881-85).

[Geschichte.] Seit den frühsten Zeiten war K. von Kuren und Wenden (lettisch-litauischen Stammes) bewohnt, kam 1245 an Livland und teilte mit diesem bis ins 16. Jahrh. alle Schicksale (s. Livland). 1561 wurde der letzte Ordensmeister der Schwertritter, Gotthard Ketteler, als Herzog mit K. und Semgallen von dem König von Polen, Siegmund August, belehnt. Die lutherische Lehre, 1526-56 in K. eingeführt, wurde von Herzog Gotthard zur alleinigen Landesreligion erhoben und 1570 eine Kirchenordnung gegeben. 1587 folgten Gotthards Söhne Friedrich und Wilhelm und herrschten gemeinsam, indem sie nur die Güter und Schlösser behufs Erhebung der Einkünfte teilten. Wilhelm, eine lebhafte, gewaltsame Natur, geriet wegen des Stifts Pilten mit den Brüdern Nolde, welche die polnische Lehnshoheit an Stelle der herzoglichen setzen wollten, in Zwist, ließ seine Gegner ermorden, wurde dann aber auf Betreiben des unzufriedenen Adels 1616 abgesetzt. Friedrich, der 1617 in der sogen. Regimentsformel eine neue Verfassung für K. gab, regierte seitdem allein. Als er 1642 kinderlos starb, folgte sein Neffe Jakob. Dieser suchte während der Kriege Polens mit Rußland und dann mit Schweden Neutra-^[folgende Seite]