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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lufttemperatur

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Lufttemperatur (Isotheren, Isochimenen, Isanomalen, Isametralen).

richtiges Bild von den klimatischen Verhältnissen eines Ortes zu geben, weil diese auch von der Verteilung der Wärme im Lauf des Jahrs abhängig sind. Edinburg und Tübingen haben z. B. beinahe dieselbe mittlere Jahreswärme, 8,4 und 8,2°, und unterscheiden sich doch sehr wesentlich durch ihre Temperaturverhältnisse im Sommer und im Winter. In Edinburg ist die Mitteltemperatur des Sommers 14,1° und die des Winters 3,6°, während die entsprechenden Werte für Tübingen 17,1 und 0,2° sind. Will man auch die Verteilung der Wärme bildlich darstellen, so genügen dazu die Jahresisothermen nicht, und daher verbindet man entweder die Orte mit gleicher mittlerer Sommertemperatur und die mit gleicher mittlerer Wintertemperatur und erhält dadurch im ersten Fall die Isotheren und im zweiten die Isochimenen, oder man entwirft Karten mit Monatsisothermen, von denen die Karte die Isothermen für den Januar und die für den Juli angibt.

Die Monatsisothermen sind besonders gut dazu geeignet, die verschiedenen Formen des Klimas sowie den Unterschied zwischen Land- und Seeklima (Kontinental- und ozeanisches oder Insel- oder Küstenklima) zu erkennen. In der Nähe des Meers findet man kühle Sommer und verhältnismäßig warme Winter, während im Innern der großen Kontinente heiße Sommer und strenge Winter vorherrschen. Daß diese Temperaturverteilung einen wesentlichen Einfluß auf die Vegetation ausüben muß, liegt auf der Hand. In Sibirien, z. B. in Jakutsk, wo die mittlere Jahrestemperatur -10,3° und die mittlere Januartemperatur -43,0° beträgt, gelangt während des kurzen, aber heißen Sommers (die Mitteltemperatur des Juli ist 17,7°) Getreide zur Reife, trotzdem der Boden in einer Tiefe von 1 m beständig gefroren bleibt. Dagegen ist in Island bei einer höhern Jahrestemperatur und bei einer unbedeutenden Winterkälte an Getreidebau nicht mehr zu denken, weil die niedrige Sommerwärme nicht ausreicht, dasselbe zur Reife zu bringen. Ebenso gedeiht in Ungarn vorzüglicher Wein, obgleich seine Winter kälter sind als im nördlichen Schottland, wo selbst kein Obstbau mehr möglich ist.

Mit Berücksichtigung der Thatsache, daß die Mitteltemperaturen an den verschiedenen Orten desselben Breitenkreises sehr verschieden sind, kann man die normale Mitteltemperatur der einzelnen Breitenkreise berechnen, indem man das Mittel aus den Temperaturen nimmt, welche die auf demselben Breitenkreis liegenden Orte besitzen, und kann durch Vergleichung feststellen, ob die Mitteltemperatur des Jahrs oder der einzelnen Monate für einen Ort höher oder niedriger ist, als sie nach seiner geographischen Breite sein sollte. Die Größe, um welche die Temperatur zu hoch oder zu niedrig ist, wird nach Dove die thermische Anomalie genannt, und dem entsprechend heißen die Kurven, welche die Orte mit gleicher thermischer Anomalie verbinden, thermische Isanomalen (s. Karte). Diese geben ein sehr anschauliches Bild über die Wärmeverhältnisse eines Ortes. So ersieht man aus den thermischen Isanomalen des Jahrs, daß die mittlere Jahreswärme von ganz Europa, Kleinasien, Arabien, Persien, Ostindien und dem größten Teil von Afrika und Australien höher ist als die Normaltemperatur der entsprechenden Breitenkreise, und daß der größte Teil von Asien und Nordamerika eine zu geringe mittlere Jahrestemperatur besitzt. Welche Unterschiede dabei gegen die normale mittlere Jahrestemperatur vorkommen, kann dadurch kenntlich gemacht werden, daß man die Größe der thermischen Anomalie an die Isanomalen heranschreibt. Noch wichtiger als die Isanomalen des Jahrs sind die für die einzelnen Monate, indem aus diesen darauf geschlossen werden kann, ob ein Ort mehr dem Kontinentalklima oder mehr dem Seeklima angehört. So zeigen die Isanomalen des Januars, daß die Mitteltemperatur dieses Monats an den Nordwestküsten von Nordamerika und an den Westküsten von Europa viel zu hoch ist, daß sie dagegen im Innern und an den Ostküsten von Nordamerika sowie auf dem Kontinent von Asien zu niedrig ist. Im Juli ist die Mitteltemperatur im nördlichen und mittlern Asien zu hoch, liegt in Europa etwas über der normalen und ist an den Ostküsten von Nordamerika zu niedrig.

Ausnahmen von der Wärmeverteilung, wie sie aus den vieljährigen Mitteln folgt, kommen häufig vor, doch treten größere Abweichungen nicht lokal auf, sondern sind gleichzeitig über größere Gebiete der Erdoberfläche verbreitet. Eine zu große Kälte oder zu große Wärme ist nie gleichzeitig auf der ganzen Erde vorhanden, sondern jedes in einer Gegend auftretende Extrem findet sein Gegengewicht in einer entgegengesetzten Abweichung in andern Gegenden. Gleichartige Witterungsverhältnisse sind häufiger in der Richtung von N. nach S. als von W. nach O., und oft steht die Witterung in Europa im Gegensatz zu der in Nordamerika oder in Sibirien, was seinen Grund darin hat, daß der Charakter der Witterung davon abhängt, ob die südwestliche oder nordöstliche Windrichtung vorherrscht. Da aber dieselbe Windrichtung nicht gleichzeitig über der ganzen Hemisphäre herrschen kann und die entgegengesetzten Luftströme nebeneinander herlaufen, so werden auf demselben Breitenkreis abwechselnd positive und negative Abweichungen häufiger vorkommen als auf demselben Meridian. Die Abweichungen der Temperaturverhältnisse von den aus vieljährigen Beobachtungen gewonnenen Mitteln nennt man ihre absolute Veränderlichkeit. Diese ist unter den Tropen am geringsten und wächst in den gemäßigten Zonen mit der Annäherung an die kalten Zonen. Die Nähe bedeutender Gebirge erhöht die Veränderlichkeit besonders in den Sommermonaten. Im Seeklima ist die Veränderlichkeit gering und nimmt mit der Entfernung von den Küsten nach dem Innern der großen Kontinente anfangs zu und dann wieder ab. Ein Bild von außergewöhnlichen Witterungsverhältnissen einzelner Jahre kann ebenfalls durch Kurven gegeben werden, die man nach Dove thermische Isametralen nennt, und welche die Punkte gleicher Abweichung miteinander verbinden. Dove hat dieselben dazu benutzt, um die Wärmeverteilung in Europa im Lauf einiger ungewöhnlicher Winter darzustellen.

Die Frage, ob die gegenwärtigen Wärmeverhältnisse auf der Erde in historischen Zeiten eine wesentliche Veränderung erfahren haben, kann nur aus etwanigen Veränderungen in der Flora und Fauna der verschiedenen Länder entschieden werden, denn regelmäßige Thermometerbeobachtungen werden erst während einer zu kurzen Zeit angestellt. Wie wenig entscheidend aber derartige Untersuchungen sind, ist daraus ersichtlich, daß dabei eine Reihe der verschiedenartigsten Einflüsse zur Geltung kommt und Veränderungen in der Vegetation oft nur eine Folge veränderter Feuchtigkeits- oder sonstiger lokaler Verhältnisse sind. Aus der Thatsache, daß in Palästina heute noch der Weinstock und die Dattelpalme nebeneinander gedeihen, wie es in den biblischen Zeiten der Fall war, schließt Arago, daß sich das Klima von