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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lufttemperatur

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Lufttemperatur (jährliche Periode, Jahresisothermen, Kältepol).

liche Amplitude im Sommer 10-14°, im Winter 3-5°. - Die zweite Hauptperiode im Gang der L. ist die jährliche. Sie ist eine Folge der Bewegung der Erde um die Sonne und der Stellung der Erdachse gegen die Ebene der Ekliptik. Trotzdem daß jeder Punkt der Erdoberfläche während der Zeit eines Jahrs in der Hälfte der Zeit der Einwirkung der Sonnenstrahlen ausgesetzt ist und in der andern Hälfte von der Sonne nicht beschienen wird, so ist doch die Verteilung der Wärme auf der Erdoberfläche sehr verschieden, weil die Zeiten, in welchen die Erde von den Sonnenstrahlen getroffen wird, für die verschiedenen Breiten sehr verschieden verteilt sind. An den beiden Polen dauert die Einwirkung der Sonnenstrahlen ununterbrochen ein halbes Jahr und fällt dann im nächsten halben Jahr fort, während sich am Äquator das Jahr in ungefähr gleich lange Perioden von je 12 Stunden Tag und Nacht teilt. In den dazwischenliegenden Breiten unterscheiden sich die Tageslängen durch ihre verschiedene Dauer, der längste Tag ist in höhern Breiten länger als in niedrigern und der kürzeste Tag in nördlichern Breiten kürzer als in südlichern. Diese Verhältnisse bewirken eine sehr verschiedene Wärmeverteilung in der Zeit eines Jahrs und haben dazu geführt, die Erdoberfläche in fünf Zonen, zwei kalte, zwei gemäßigte und eine heiße, zu teilen.

Aus der Verschiedenheit der Tageslängen und der Sonnenhöhen im Lauf eines Jahrs ergibt sich die jährliche Periode der L. Am 20. oder 21. März, dem Frühlingsanfang, wird zum erstenmal im Jahr Tag und Nacht gleich lang, die größte Sonnenhöhe ist dann gleich dem Komplement der geographischen Breite, schwankt also für Deutschland, dessen Breite zwischen 47° 20' und 55° 50' liegt, zwischen 42° 40' und 34° 10'. Darauf findet ein rasches Zunehmen der Mittagshöhe der Sonne und der Tagesdauer statt und daher sowohl wegen der längern Einwirkung der Sonnenstrahlen als auch wegen ihres mehr senkrechten Auffallens eine Steigerung in der Temperatur des Erdbodens u. der Luft. Am 21. Juni erreicht die Sonne die größte Mittagshöhe, welche für Deutschland zwischen 66° 10' und 58° 40' wie die größte Tageslänge zwischen 15 Stund. 51 Min. und 17 Stund. 25 Min. schwankt.

Das Maximum der Jahrestemperatur fällt nicht mit der größten Sonnenhöhe und dem längsten Tag zusammen, sondern tritt erst im Juli ein, weil die Erde noch eine Zeitlang nach dem längsten Tag mehr Wärme empfängt, als sie durch Ausstrahlung verliert. Die Mittagshöhe der Sonne wird darauf niedriger, die Tageslänge kürzer, und deshalb nimmt dann auch die L. ab. Am 22. oder 23. Sept. beginnt der Herbst mit der zweiten Tag- und Nachtgleiche, die Tage werden immer kürzer, die Sonnenhöhen immer niedriger und die Luft immer kälter. Am 21. oder 22. Dez. beginnt der Winter, die Mittagshöhe der Sonne schwankt für Deutschland zwischen 19° 10' und 14° 40' und die Tageslänge zwischen 8 Stund. 22 Min. und 6 Stund. 50 Min. Das Minimum der Jahrestemperatur tritt erst nach dem kürzesten Tag im Januar ein, weil sie anfangs noch mehr Wärme ausstrahlt, als sie von der Sonne empfängt, indem die Mittagshöhe der Sonne noch gering, also die Tageslänge noch kurz ist und die Sonnenstrahlen die Erdoberfläche schräg treffen.

Weil der Gang der L. durch die verschiedenen Stellungen der Sonne bestimmt ist, diese aber für dieselbe geographische Breite unverändert sind und sich nur in verschiedenen Breiten verschieden gestalten, so müßten auch die Verschiedenheiten der L. lediglich von der geographischen Breite abhängig sein, und es müßte die L. an den Orten desselben Breitenkreises einen gleichartigen Verlauf haben. Das ist aber nicht der Fall, und zwar treten sehr bedeutende Abweichungen von den normalen Temperaturverhältnissen auf, welche eine Folge der verschiedenen Beschaffenheit der Erdoberfläche, der wechselnden Bewölkung und der Luft- und Meeresströmungen sind. Um über diese Abweichungen ein Urteil zu gewinnen, ist es notwendig, längere Zeit hindurch die mittlere Tagestemperatur sowie die Mitteltemperaturen der einzelnen Monate und des Jahrs zu bestimmen. Die erstere erhält man als Mittel der 24 Temperaturen, welche während eines Tags stündlich abgelesen oder durch ein Registrierthermometer aufgezeichnet sind. Statt dessen hat man dasselbe meistens aus dreimal täglichen Beobachtungen abgeleitet, und sind für diese Beobachtungen die gewöhnlichsten Zeiten 7, 2, 9 oder 6, 2, 8 oder 6, 2, 10; auch hat man die Mitteltemperatur zuweilen als Mittel der täglichen Extreme, d. h. des täglichen Maximums und Minimums, gebildet. Aus den Mitteltemperaturen der Tage eines Monats erhält man die mittlere Monatstemperatur und aus den 12 mittlern Monatstemperaturen die mittlere Jahrestemperatur. Je länger diese Beobachtungen fortgesetzt sind, desto weniger werden die erhaltenen Resultate durch die in einzelnen Jahren auftretenden Unregelmäßigkeiten beeinflußt sein, und desto mehr werden sie die wahren Mitteltemperaturen angeben. Derartige Beobachtungen liegen für eine große Anzahl von Orten vor; eine Reihe der interessantesten enthält die auf beifolgender Karte abgedruckte Temperaturtafel.

Um die wahre Verteilung der Wärme auf der Erdoberfläche bildlich darzustellen, hat bereits Alex. v. Humboldt alle Orte mit gleicher mittlerer Jahreswärme miteinander durch Linien verbunden, und später ist es namentlich durch die Arbeiten von Dove möglich geworden, dieselben den wirklichen Temperaturverhältnissen der Erdoberfläche genau anzupassen. Diese Linien, welche man Jahresisothermen nennt, sind auf der Karte dargestellt.

Aus dem Gang der Jahresisothermen ist ersichtlich, daß sie wesentlich von den Breitenkreisen abweichen. So liegt z. B. New York ungefähr 1° südlicher als Rom, und doch ist seine mittlere Jahrestemperatur um 5° niedriger. Überhaupt findet man, daß es bei gleicher geographischer Breite in Nordamerika stets kälter ist als in Europa, ebenso wie sich dasselbe Verhältnis auch bei einer Vergleichung zwischen Europa und dem nördlichen Asien herausstellt. Ferner zeigt der Verlauf der Jahresisothermen, daß die mittlere Jahrestemperatur auf dem Festland viel rascher gegen den Pol abnimmt als über den Meeren, und daß daher die Kurven über den Kontinenten näher aneinander gerückt sind. Besonders auffallend verlaufen die Jahresisothermen im nördlichen Teil des Atlantischen Ozeans, wo sie infolge der Einwirkung des Golfstroms weit nach Norden vorspringen. Endlich sieht man auch, daß das kälteste Gebiet der Erde nicht mit dem Nordpol zusammenfällt, sondern nördlich von Nordamerika zu suchen ist. Die niedrigste Jahresisotherme, die man nach den bisherigen Beobachtungen hat ziehen können, ist die für -20°; sie bildet eine geschlossene Kurve, innerhalb welcher der kälteste Punkt der nördlichen Halbkugel, ihr Kältepol, liegt. Der geographische Nordpol liegt außerhalb dieser Kurve und ist daher nicht der kälteste Punkt der Erde.

So wichtig die Kenntnis der mittlern Jahrestemperatur ist, so ist sie doch nicht genügend, um ein