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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Lyrĭker; Lyrisch; Lyrūrus; Lys; Lysándros

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Lyriker - Lysandros.

Mit dem Verfall des Rittertums erstarrte durch einseitige Nachahmung der äußern metrischen Form der ritterliche Minnegesang in Deutschland zum handwerksmäßigen Meistergesang (Tabulatur; die Meistersinger), in Italien zum technisch gekünstelten Klinggesang (Sonett, Kanzone, Sestine, Triolett, Madrigal etc.; die Improvisatoren); jenem hauchte das Volkslied des Reformationszeitalters (Landsknechtslieder, Lieder der fahrenden Schüler, Studentenlieder etc.), diesem der Humanismus der Renaissanceperiode (Petrarcas Laura-Sonette und patriotische Kanzonen; Michelangelos, Raffaels Sonette etc.) frisches (volkstümliches und antikes) Leben ein. Aus jenem erwuchs durch Luther im protestantischen Europa das (unübertroffene deutsche) evangelische Kirchenlied, durch Goethe im goldenen Zeitalter der deutschen Litteratur das klassische weltliche Lied; dieser legte den Grund zu der formvollendeten, aber innerlich kühlen rhetorischen Kunstlyrik, wie sie bei den romanischen Völkern bis auf die neuere Zeit, zum Teil (Spanier, Portugiesen, Italiener) bis auf die Gegenwart sich erhalten hat, und welcher, dem Stammescharakter derselben entsprechend, die römischen Lyriker (insbesondere Horaz) zum Vorbild gedient haben. Neben derselben haben in Frankreich vor der Revolution Ronsard, der Hauptdichter der sogen. Plejade, J. B. ^[Jean Baptiste] Rousseau u. a. nach römischem, André Chénier nach griechischem Muster als Odendichter, Boileau nach dem Muster des Horaz als Satiriker und Epistolograph, Voltaire als Meister in der sogen. poésie fugitive Ruf erlangt; seit der Revolution gelten der "Vater des Chansons", Béranger, die Romantiker: Lamartine, V. Hugo, die "Gottlosen": A. de Musset, A. de Vigny, die Nihilisten der "Bohême": Sully-Prudhomme, F. Coppée, die Propheten der sozialen Reformation: H. Murger, Louise Ackermann (die "Sängerin des Positivismus") u. a. als dessen bedeutendste Lyriker. Unter den Italienern haben sich außer Metastasio V. Monti, I. ^[Ippolito] Pindemonte, der schwermütige Leopardi, Giusti u. a. ausgezeichnet. Die aus französischer Schule entsprossenen englischen Lyriker des 18. Jahrh. (Pope, Gay, Thomson, der "englische Boileau", Jonson, u. a.) werden durch die sogen. Seedichter (Southey, Wordsworth, Coleridge u. a.), diese sämtlich durch die sogen. satanische Schule (Lord Byron, Shelley) und die unvergleichlichen Liederdichter des schottischen und des irischen Volkes (Robert Burns und Thomas Moore) in Schatten gestellt, denen sich die modernen Lyriker Englands (Tennyson, Swinburne u. a.) und Amerikas (Longfellow, Edgar Poe u. a.) sowie die radikalen Poeten der sogen. Chartistenschule (Th. Hood u. a.) anreihen. In Deutschland sind auf die frommen Liederdichter des 16. und 17. Jahrh. (P. Gerhardt, S. Dach, P. Fleming u. a.) die barocken Pegnitzschäfer, die schlesischen Dichter (Opitz, der talentvolle Liederdichter Günther, der Epigrammatiker Logan), die Didaktiker (Brockes, Haller), Satiriker (Canitz) und moralischen Fabeldichter (Gellert), die Seraphiker (Klopstock) und Anakreontiker (Gleim, J. G. ^[Johann Georg] Jacobi), die patriotischen und realistischen Dichter (Göttinger Dichterbund: Bürgers Molly-Lieder), Goethe und Schiller, jener als klassisches Muster in allen Gattungen der niedern, dieser als unerreichter Meister im weltlich-kontemplativen Genre der höhern L., gefolgt. Nach ihnen haben sich die Romantiker vorzüglich als Übersetzer und Nachahmer romanischer L., Mystiker, wie Novalis-Hardenberg, als geistliche Liederdichter, Patrioten, wie Körner, Arndt, Schenkendorf, Follen, Rückert u. a., als politische, der (wie Rückert) sprachgewaltige Platen als Odendichter hervorgethan, während die schwäbischen Poeten (Uhland, Kerner), W. Müller u. a. sich als Sänger der Liebe und des Frühlings auszeichneten. Der Einfluß Lord Byrons und der französischen Julirevolution brachte auch in der deutschen L. eine Umwälzung hervor, indem die humoristische L. (Heine und dessen Schule) und die politische L. (A. Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh u. a.) in den Vordergrund traten, während E. Geibel u. a. zu dem Goetheschen Lied zurückstrebten, V. Scheffel, R. Baumbach u. a. aus dem humoristisch angehauchten Volksgesang eine neue L. des "fahrenden Spielmanns" zurückriefen. Die skandinavischen Völker haben in dem Dänen Öhlenschläger, den Schweden E. Tegnér und Atterbom, die slawischen Völker in dem Russen Puschkin, den Polen Mickiewicz und Krasinski, die Tschechen in Czelakowsky, Kollar u. Macha, die Südslawen in Gaj, von den finnischen Völkern die Magyaren in Alexander Petöfi bedeutende lyrische Talente aufzuweisen. Vgl. über L. die Werke über Ästhetik von Carriere, Vischer, Zimmermann; über die Geschichte der L. Carriere, Die Kunst im Zusammenhang der Kulturentwickelung (3. Aufl., Leipz. 1876-86, 5 Bde.).

Lyrĭker (griech.), s. v. w. lyrischer Dichter.

Lyrisch (griech.) wird von derjenigen erhöhten Gemütsstimmung gebraucht, deren Bewegung von selbst in Laut (artikulierten: Wort, oder unartikulierten: Ton) ausbricht. Die Nachahmung derselben in Worten ist Gegenstand der poetischen, ihre Nachahmung in Tönen der musikalischen Lyrik; beide fließen um dieser Verwandtschaft ihres Ursprungs willen im lyrischen Wortgesang (Lied) in eins zusammen. S. Lyrik.

Lyrūrus, Birkhuhn.

Lys (spr. līs, Leye), kanalisierter Fluß in Frankreich und Belgien, entspringt bei Lisbourg im franz. Departement Pas de Calais, wird bei Aire schiffbar, bildet eine Strecke die Grenze zwischen Frankreich (Departement du Nord) und Belgien (Provinz Westflandern), tritt dann nach Belgien über, durchfließt Westflandern und Ostflandern, nimmt die Deule und den Mandel auf und mündet nach einem Laufe von 209 km bei Gent in die Schelde. Das Wasser der L. eignet sich besonders zur Flachsbereitung, und ihm hauptsächlich verdankt der belgische Flachs seine ausgezeichnete Qualität. An ihren Ufern 12. und 13. Sept. 1793 siegreiche Gefechte der Holländer unter dem Erbprinzen von Oranien gegen die Franzosen unter General Houchard. Vgl. Beghin, Le pays de la L. (Par. 1876).

Lysándros (Lysander), Sohn des Aristokritos, berühmter spartan. Feldherr, aus Heraklidischem Geschlecht, aber Sohn einer Helotin (Mothake) und in Armut aufgewachsen, erhielt 408 v. Chr. den Oberbefehl über die peloponnesische Flotte in Kleinasien. Seitdem war er rastlos bemüht, durch energische Kriegführung und schlaue Politik für Sparta die unbestrittene Herrschaft über Griechenland, namentlich über Athen, für sich selbst aber, nach Umsturz der alten Lykurgischen Verfassung, die höchste Macht in seinem Vaterland zu erlangen. 407 schlug er die Flotte der Athener bei dem Vorgebirge Notion, eroberte Anfang 405 Lampsakos und überfiel an der Mündung des Ägospotamoi die letzte athenische Flotte von 180 Schiffen, deren er sich bemächtigte; 3000 Gefangene ließ er hinrichten und versagte ihnen die Bestattung. Nachdem er sich der von den Athenern abhängigen thrakischen und kleinasiatischen Städte und Inseln bemächtigt und überall unter dem Schutz spartanischer