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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Mensch

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Mensch (Sprache, Rassen, Verbreitung).

Australiens, Polynesiens und Amerikas. Allein wie diese, so verstanden die Menschen in frühster Zeit gewiß schon so manche einfache Künste, durch welche sie sich ihren Lebensunterhalt verschafften und gegen Klima und Witterung schützten; sie lernten das Hüttenbauen sowie das Feueranmachen durch Reiben zweier Hölzer aneinander; sie fertigten sich Waffen, Geschirre und Kleidung, machten Jagd auf Tiere. Doch scheinen sie auch, wie man aus gewissen, allerdings noch ziemlich zweifelhaften Erscheinungen bei Höhlenfunden in Belgien schloß, ebenso wie die jetzigen Anthropophagen (s. Anthropophagie) Menschenfleisch verzehrt zu haben. Allmählich erlernten sie primitiven Ackerbau, züchteten Haustiere, trieben Weberei etc.; sie traten in Handel und Verkehr mit Nachbarvölkern. Aus dem einfachen patriarchalischen Familienleben schritten sie durch die Stammesgenossenschaften zur Staatenbildung vor; aus dem ursprünglichen Naturdienst bildeten sich mythologische Anschauungen. Wie noch jetzt bei Urvölkern mochten Zauberer als weise Männer gegolten haben; doch später gelangte die Priesterschaft zu höherm Ansehen und gründete eine hierarchische Verfassung. Für die Hebung der Industrie war die Teilung der Arbeit, bessere Erkenntnis der Eigenschaften des Materials und die Handelsverbindungen mit immer fernern Erdteilen von größtem Einfluß. Mit dem Aufblühen der Wissenschaft und Kunst tritt die menschliche Gesellschaft in eine weitere Kultursphäre ein. Für die vergleichende Völkerpsychologie, die sich auf umfassende Studien über physische und kulturhistorische Zustände jetzt lebender Urvölker stützt, war vor allen das Werk von Waitz: "Anthropologie der Naturvölker" (Leipz. 1859-71, 6 Bde., Bd. 5 u. 6 von Gerland) epochemachend. Vgl. Kulturgeschichte.

Zu einem ganz besondern Gegenstand der Forschung wurde in neuerer Zeit die Sprache des Menschen erhoben, indem teils die Frage der Lautbildung mittels der Sprachwerkzeuge, teils die Frage, wie sich die Sprache aus Urlauten entwickelt habe, teils die Frage über Verschiedenheit und Verwandtschaft der Sprachen der Völker in den Vordergrund trat. Man gruppierte die Sprachen je nach ihrer Verwandtschaft und nach der vermuteten Ableitung von gemeinschaftlichen Sprachstämmen; allein die Sprache eines Volkes darf man keineswegs als hauptsächliches Merkmal bei der Rasseneinteilung benutzen, denn viele Völker haben ihre ursprüngliche Sprache mit einer andern vertauscht. Dagegen machte die Sprachwissenschaft die Erklärung einer Menge alter Ausdrücke und dunkler Gebräuche sowie mythologischer Vorstellungen möglich. Auch kann man aus gewissen einer Sprache eigentümlichen Benennungen und Bezeichnungen von Gegenständen schließen, inwieweit das betreffende Volk mit diesen Gegenständen schon in der Urheimat bekannt war oder erst später mit denselben durch andre Völker bekannt wurde. So eröffnet die Sprachwissenschaft weite Fernblicke in die Urgeschichte der Menschheit. Schließlich begründet sich durch sie eine Gesetzlichkeit in der Entwickelung von Dialekten und neuen Sprachformen (Lautverschiebungsgesetz); man hat auch in dieser Hinsicht auf eine Analogie mit der Evolutionstheorie Darwins hingewiesen (s. Sprache und Menschenrassen). - An die Geschichte, Entwickelung und Verbreitung der Sprache schließt sich die Erfindung und der Gebrauch der Schrift (s. d.) eng an, denn sie ist ein wesentliches Moment für den geistigen Fortschritt der Menschheit. Durch Mythe und Sage äußert sich ein wichtiger Teil im Geistesleben der Menschheit. Schon bei unentwickelten Völkern kommen religiöse Regungen zu Tage in einem Kultus der Naturkräfte, in der Verehrung des Wassers und der Sonne, im Stein-, Baum- und Tierdienst, im Fetischkultus, dann im Heroenkultus. Der Schamanismus, der Buddhismus, die dualistischen Religionen, die Lehre des Moses, der Islam, die christliche Lehre sind von höchster Bedeutung für die Kulturentwickelung des Menschen.

Die Einteilung des Menschengeschlechts durch eine systematische Gruppierung geschieht nach verschiedenen Gesichtspunkten, je nachdem man die körperliche Beschaffenheit, die geistige Begabung oder die Kulturzustände in den Vordergrund stellt. Man konnte dabei nicht stehen bleiben, einfach die Völker als solche voneinander zu unterscheiden und sie etwa nach dem Grad ihrer Zivilisation in Ur- oder Naturvölker (Wilde) und Kulturvölker, vielleicht auch je nach ihrer Beschäftigung in Jäger-, Fischer-, Ackerbau-, Industrie- und Handelsvölker einzuteilen. Vielmehr stellte sich mehr und mehr heraus, daß viele Völker in mehr oder weniger naher verwandtschaftlicher Beziehung zu einander stehen. Die Forschungen nach dieser Richtung hin sind besonders Aufgabe der Ethnologie oder Ethnographie (s. d.). Allein die großen Gruppen, die sich bei solcher Untersuchung der Völker auf ihre Verwandtschaft, auf ihren ethnischen Zusammenhang aufstellen lassen, werden von der Anthropologie (s. d.) als Menschenarten oder Rassen bezeichnet. Wenn nun auch die ethnologischen Grenzen vielfach mit den geographischen zusammenfallen, so zeigen sich doch überall große Schwierigkeiten bei Bestimmung der Verwandtschaftsgrade und der Zusammengehörigkeit der Völker nach Rassen. Denn einesteils kamen in geschichtlicher und vorgeschichtlicher Zeit ausgedehnte Wanderungen und Übersiedelungen der Völker vor, so daß verwandte Völker und Stämme nunmehr weit entfernt voneinander wohnen; andernteils schwanden körperliche Merkmale durch Vermischung, Kreuzung und Einfluß des Klimas; schließlich änderten sich Sitten und Sprachen durch fremde Eindringlinge und Nachbarvölker. Unter diesen Verhältnissen bleiben immerhin die körperlichen Charaktere der verschiedenen Völker und Stämme die sichersten Anhaltspunkte für die Bestimmung der Rassen. Deshalb haben Schädel- und Skelettbau, die Proportion der Gliedmaßen, die Farbe und Beschaffenheit der Haut, der Haare und der Regenbogenhaut der Augen das höchste Interesse für die Rassenlehre. Vgl. Menschenrassen.

Die Verbreitung des Menschen über die Erde ist eine sehr ausgedehnte. Das Gedeihen gewisser Rassen ist allerdings von einem bestimmten Klima abhängig; allein bis zu einem gewissen Grad ist es dem Menschen möglich, sich verschiedenen Lokalitäten zu akklimatisieren (vgl. Bevölkerung). Die Bevölkerungszahl der Erde schätzt man auf 1495 Mill., davon kommen auf die einzelnen Erdteile:

Bewohner auf 1 qkm

Europa 338 Mill. 34

Asien 835 " 19

Afrika 212 " 7

Australien und Ozeanien 5 " 0,6

Amerika 105 " 2,5

Ausführlicheres darüber s. unter Bevölkerung (mit Karten und Tabellen). Die Statistik ermittelte ferner die Durchschnittszahlen der Dimensionen, welche die einzelnen Teile des menschlichen Körpers zeigen. Die Proportionslehre der menschlichen Gestalt wurde auch in ästhetischer Hinsicht schon von A. Dürer, dann von K. G. Carus, Fechner u. a. kultiviert. In