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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Milzbrand

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Milzbrand.

wurden, gedüngt wird. Durch das Wasser kann das Gift von den Grabstellen in Tränken, Brunnen und auch wieder in tiefer liegende Ställe geführt werden. Neuerdings ist nachgewiesen worden, daß auch im Erdboden eine Neubildung des Bacillus stattfindet. Erfahrungsmäßig kommt der M. vorzugsweise in warmen, dabei aber nicht allzu trocknen Jahren vor, während er in nassen und kalten sowie in recht trocknen Jahren seltener ist. Die Bodenbeschaffenheit und die Witterung haben auf die Entstehung des Milzbrandes nur insofern Einfluß, als davon die Feuchtigkeit und die Wärme des Erdbodens abhängt.

Der Bacillus anthracis (s. Tafel "Bakterien", Fig. 3) wurde von Davaine, Brauel und Pollender entdeckt, seine Lebensgeschichte aber von Koch nachgewiesen. Bollinger führt die Wirksamkeit des Bacillus darauf zurück; daß derselbe den roten Blutkörperchen den Sauerstoff entzieht. Der Ausbruch der Krankheit erfolgt mitunter sehr schnell, in andern Fällen erst 3-4 Tage nach der Einverleibung des Bacillus. Die pathologischen Veränderungen beim M. zeigen sich hauptsächlich im Blute. Dieses ist nämlich dunkel, gallert- oder teerartig, gerinnt entweder gar nicht oder nur unvollkommen und zeigt bei mikroskopischer Untersuchung sehr zahlreiche, äußerst feine, stäbchen- oder fadenförmige, unbewegliche Körper. Die Leichen milzbrandiger Tiere gehen außerordentlich schnell in Fäulnis und Verwesung über. Nächst dem Blut zeigen sich in der Milz die auffallendsten Veränderungen, indem dieselbe vergrößert und zwar oft in sehr bedeutendem Grad, sehr blutreich und von brüchiger, breiig zerfließender Beschaffenheit ist und infolge der Zersetzung des in ihr enthaltenen Bluts kurze Zeit nach dem Tode des Tiers von Luft erfüllt und aufgetrieben erscheint. Ähnliche Veränderungen zeigen häufig auch Leber, Nieren und Lungen. Das lockere Bindegewebe unter der Haut, zwischen den Muskeln und in der Umgebung der Eingeweide ist zu einer gelben, sulzigen Masse entartet (sogen. gelbsulzige Ergießungen). Die Krankheit tritt in sehr verschiedenen Formen auf, die aber häufig ineinander übergehen und sich in zwei Gruppen bringen lassen: M. ohne äußeres, lokales Leiden und M. mit lokalem Leiden. Erstere Form ist die des Milzbrandfiebers. Dasselbe hat oft einen höchst akuten Verlauf, so daß der Tod schon nach wenigen Stunden erfolgt. Es befällt vorzüglich die kräftigsten Stücke der Herde und beginnt gewöhnlich mit einem heftigen Fieberschauer, worauf bald eine brennende Hitze folgt. Die weitern Symptome sind heftiger Herzschlag, schnelles, krampfhaftes Atmen, schneller und undeutlicher Puls, Zittern und Zucken in einzelnen Muskeln und Gliedern, mitunter Krämpfe, Schaumkauen, blutiger Ausfluß aus Maul, Nase und After, dunkel gefärbte, trockne, oft mit Blutklümpchen untermischte Exkremente. Die Tiere zeigen entweder große Mattigkeit und stehen teilnahmlos, mit gesenktem Haupte, da, oder sie sind aufgeregt und unruhig, bis ein Zustand der Lähmung eintritt. In manchen Fällen dauert die Krankheit 2-3 Tage, ausnahmsweise 5-6 Tage. Bei mehrtägiger Dauer der Krankheit treten in der Regel abwechselnd Besserungen und dann wieder Verschlimmerungen ein, und der Tod erfolgt nicht selten plötzlich, nachdem der Zustand sich scheinbar bedeutend gebessert hatte. Bei Pferden werden neben den genannten Symptomen sehr häufig Kolikschmerzen, die mitunter sehr heftig, in andern Fällen aber nur gelind sind, beobachtet. Die akuteste Form, der Milzbrandblutschlag (Anthraxapoplexie), kommt am häufigsten beim Schaf, oft auch beim Rindvieh, seltener beim Pferd vor und befällt vornehmlich wohlgenährte, kräftige Tiere von jüngerm Alter. Die Tiere fangen dabei, oft während des Fressens, der Arbeit etc. plötzlich an zu taumeln, stürzen zur Erde und sterben schon nach 5-10 Minuten unter Krämpfen und Zuckungen. Manchmal geht dem schlagflußartigen Tod ein kurzer Tobanfall voraus. In andern Fällen verläuft auch diese Form der Krankheit weniger rasch. Die Tiere zeigen einige Stunden vor dem schlagartigen Anfall Mattigkeit, Mangel an Freßlust, Zittern am ganzen Körper, schwankenden, taumelnden Gang, beschleunigtes, unregelmäßiges Atmen, unmerkbaren oder pochenden Herzschlag, erhöhte und zugleich verteilte Körperwärme, bekommen dann Zuckungen, taumeln, stürzen zur Erde nieder und verenden unter Krämpfen. Der M. mit lokalem Leiden (Karbunkel) tritt ebenfalls in verschiedenen Formen auf. Es bilden sich dabei leicht brandig werdende Anschwellungen oder Geschwülste an dem einen oder dem andern Körperteil, am Hals, am Rumpf, an den äußern Geschlechtsteilen, an den Gliedmaßen, an der Zunge oder auch im Mastdarm. Diese Karbunkel bilden entweder die erste Erscheinung der Krankheit, oder sie erscheinen gleichzeitig mit dem Allgemeinleiden, oder sie treten erst zu letzterm hinzu. Je nach ihrem Sitz rufen die Karbunkel noch besondere Symptome hervor, nämlich Erscheinungen der Bräune beim Sitz am Hals (Milzbrandbräune), Ausfluß von mißfarbigem und übelriechendem Schleim aus dem Maul beim Sitz an der Zunge (Zungenanthrax, Glossanthrax), Abgang von zersetztem Blut aus dem After beim Sitz im Mastdarm (Rücken- oder Lendenblut), Lahmgehen beim Sitz an einer Gliedmaße. Die äußerlich am Körper vorkommenden Karbunkel sind anfangs klein, vergrößern sich aber bald bedeutend; sie sind zuerst gewöhnlich heiß und schmerzhaft, werden aber bald kalt und unempfindlich, brechen gewöhnlich nach ein- oder zweitägigem Bestehen auf und entleeren eine blutige, jauchige Flüssigkeit. Danach bessert sich zuweilen das Allgemeinleiden, und es erfolgt Genesung; meist ist die Besserung aber nur von kurzer Dauer und der Ausgang ein tödlicher.

Ein zuverlässiges Heilmittel ist noch nicht gefunden. Die prophylaktischen Maßregeln sind Abstellung oder Minderung der die Krankheit erzeugenden Ursachen durch Futter- oder Weideveränderung, durch Vermeidung des mit dem Infektionsstoff verunreinigten Wassers oder durch gründliche Reinigung und Desinfektion des Stalles. Die kranken Tiere sind von den gesunden zu sondern, auch besondern Wärtern zur Pflege zu übergeben. Die Wärter haben sich durch sorgfältige Vermeidung der Besudelung mit Milzbrandstoff vor Ansteckung zu hüten und sich fleißig mit lauem Seifenwasser zu waschen. Blut und sonstige Abgänge von kranken Tieren sind tief zu verscharren, damit nicht Schweine, Hunde, Geflügel dadurch angesteckt werden. Die Kadaver der gefallenen Tiere sind nach vorheriger kreuzweiser Durchschneidung der Haut an einem entlegenen Ort wenigstens 1,5 m tief zu verscharren oder auf chemischem Weg zu zerstören. Die von den kranken Tieren oder von den Kadavern verunreinigten Orte sind gründlich zu reinigen und zu desinfizieren, ebenso die Stallutensilien, Instrumente etc., die bei den kranken Tieren oder bei der Beseitigung der Kadaver benutzt worden sind. Das Schlachten milzbrandkranker Tiere oder auch nur der Krankheit verdächtiger sowie der Verkauf der Milch von solchen ist aufs strengste zu verbieten. Durch Toussaint und Pasteur wurde 1881 aus experimentellem Weg ermittelt, daß das Milzbrandkontagium