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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Müller

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Müller (Dichter).

derben Realismus machen die Hauptcharakterzüge seiner Poesie aus. Von seinen dramatischen Versuchen ist das lyrische Drama "Niobe" (Mannh. 1778) das mindest gelungene; "Fausts Leben, dramatisiert" (1. Teil, das. 1778; neu hrsg. von Seuffert, Heilbr. 1881) zeigt mehr stürmischen Drang als dichterisches Vermögen. Am höchsten steht "Golo und Genoveva" (1781; bruchstückweise zuerst gedruckt in der "Zeitung für Einsiedler" 1808). Das Stück vermag sich allerdings, obschon in den Einzelszenen und in der Charakteristik von einem nicht selten energischen Naturalismus, nicht zu einer Totalwirkung zu erheben, weil es jeder künstlerischen Komposition entbehrt; immerhin aber wirkte es mit seiner phantasievollen Versenkung in vergangenes deutsches Leben mächtig auf die spätere Entwickelung des historischen Dramas und Romans ein und war eine der besten Nachahmungen, die durch Goethes "Götz" hervorgerufen wurden. Viel Anerkennung hat M. als Idyllendichter erfahren, unter andern durch Tieck. Seine Darstellungen aus dem pfälzischen Landleben: "Die Schafschur" (Mannh. 1775) und "Das Nußkernen", zeigen, gegen Geßners unnatürliche Machwerke gehalten, unvergleichlich mehr Lebendigkeit und Naturwahrheit, auch einen gewissen Kernhumor und einzelne sehr glückliche Züge von Volksmäßigkeit. Auch seine sonstigen, biblische, griechische und altdeutsche Stoffe behandelnden Idylle ("Der erschlagene Abel", "Adams erstes Erwachen und selige Nächte", "Der Satyr Mopsus", "Bacchidon und Milon", "Ulrich von Koßheim") zeigen ergreifende, lebendige, echt idyllische Züge, daneben freilich auch noch die dithyrambische Überschwenglichkeit und sentimentale Weichmütigkeit, die in der Sturm- und Drangperiode leicht mit echter Empfindung verwechselt wurde. Das Gleiche gilt von Müllers lyrischen Produkten mit Ausnahme des zum Volkslied gewordenen "Soldatenabschieds". Eine Ausgabe von Müllers Werken erschien in 3 Bänden (Heidelb. 1811 u. 1825); ausgewählte Dichtungen veröffentlichten H. Hettner (Leipz. 1868, 2 Bde.) und Sauer (in Kürschners "Deutscher Nationallitteratur", Bd. 81); eine Nachlese Hans Graf Yorck (Jena 1873). Vgl. Hettner, Bilder aus der deutschen Sturm- und Drangperiode (in Westermanns "Monatsheften" 1867); Seuffert, Maler M. (Berl. 1877).

20) Wilhelm, Dichter, geb. 7. Okt. 1794 zu Dessau, erhielt eine sehr sorgfältige Erziehung, besuchte 1812 behufs philologischer und geschichtlicher Studien die Berliner Universität, machte 1813 und 1814 als Freiwilliger die Befreiungskriege mit und setzte dann seine Studien in Berlin fort. Im Kreis einiger poetisch begabter Freunde fand sein Talent zuerst bedeutendere Anregung; die mit ihnen gemeinsam herausgegebenen "Bundesblüten" (Berl. 1815) enthalten die Erstlinge seiner Muse. 1817 unternahm er als Begleiter des Grafen Sack eine Reise nach Italien, als deren litterarische Frucht das lebendig und anschaulich geschriebene Werk "Rom, Römer und Römerinnen" (Berl. 1820, 2 Bde.) zu nennen ist. Bald nach seiner Rückkehr (1819) wurde er als Lehrer der lateinischen und griechischen Sprache an die Gelehrtenschule zu Dessau berufen und erhielt hier wenig später auch die Stelle eines Bibliothekars an der soeben gebildeten herzoglichen Bibliothek. Er starb 1. Okt. 1827 in Dessau. Als Dichter machte er sich besonders durch die "Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten" (Dess. 1821-27, 2 Bdchn.; 2. Aufl. 1826) und die "Lieder der Griechen" (das. u. Leipz. 1821-24, 5 Hefte; neue Aufl., Leipz. 1844) in weitern Kreisen bekannt. Ihnen reihten sich "Neugriechische Volkslieder" (Leipz. 1825, 2 Bde.) und "Lyrische Reisen und epigrammatische Spaziergänge" (das. 1827) würdig an. Außerdem schrieb er die Novelle "Der Dreizehnte" und eine "Homerische Vorschule" (Leipz. 1824, 2. Aufl. 1836), worin er sich als tüchtigen Schüler F. A. Wolfs bekundete, nebst zahlreichen kritischen Abhandlungen. Ein verdienstliches Werk Müllers ist auch die Herausgabe einer "Bibliothek der Dichtungen des 17. Jahrhunderts" (Leipz. 1822-27, 10 Bde.; fortgesetzt von K. Förster, das. 1828-38, Bd. 11-14). M. gehört zu den frischesten deutschen Liederdichtern; eine helle, innige Naturfreude singt und klingt in seinen Liedern, die auch zu den sangbarsten gehören und daher sehr häufig komponiert sind (am schönsten von Franz Schubert). Den begeistertsten Schwung nahm seine Muse in den "Griechenliedern". Seine "Vermischten Schriften" mit biographischem Vorwort gab G. Schwab (Leipz. 1830, 5 Bde.) heraus; seine "Gedichte" erschienen in neuester Ausgabe, eingeleitet von seinem Sohn Max (s. oben, M. 8), Leipzig 1869 u. (mit Illustrationen von Hailmair u. a.) Berlin 1874.

21) Wolfgang (genannt M. von Königswinter), Dichter, geb. 5. März 1816 zu Königswinter a. Rh., studierte in Bonn Medizin, ließ sich 1842 als praktischer Arzt in Düsseldorf nieder, von wo er 1848 ins Parlament gesendet wurde, zog sich jedoch bald gänzlich von der Politik zurück und nahm 1853 seinen Wohnsitz in Köln, wo er bald nachher die ärztliche Praxis aufgab, um sich ganz der schriftstellerischen Thätigkeit zu widmen. 1869 ließ er sich in Wiesbaden nieder und starb 29. Juni 1873 im Bad Neuenahr. Von seinen Dichtungen und Schriften, großenteils mit rheinischem Lebenshintergrund, sind hervorzuheben: "Junge Lieder" (Düsseld. 1841); "Balladen und Romanzen" (das. 1842); "Rheinfahrt" (Frankf. 1846, 2. Aufl. 1871); "Gedichte" (Frankf. 1847; 3. Aufl., Hannov. 1868, 2 Bde.); "Germania, ein satirisches Märchen" (Frankf. 1848); "Lorelei", eine Sammlung der schönsten Rheinsagen in Balladenform (Köln 1851, 4. Aufl. 1873); "Die Maikönigin", eine Dorfgeschichte in Versen (Stuttg. 1852); "Prinz Minnewin" (Köln 1854, 2. Aufl. 1856); "Das Rheinbuch" (Brüssel 1855); "Der Rattenfänger von St. Goar" (Köln 1856); "Mein Herz ist am Rhein", eine Liederauswahl aus den "Gedichten" (Hannov. 1857; 4. Aufl., Leipz. 1871); "Johann von Werth" (das. 1858); "Erzählungen eines rheinischen Chronisten" (Bd. 1: "Karl Immermann und sein Kreis", Bd. 2: "Aus Jacobis Garten. Furioso, aus Beethovens Jugend", das. 1860-61); "Aschenbrödel", episches Gedicht (Frankf. 1863); "Vier Burgen" (Leipz. 1862, 2 Bde.); "Von drei Mühlen", ländliche Geschichten (das. 1865); "Zum stillen Vergnügen", Künstlergeschichten (das. 1865, 2 Bde.); "Märchenbuch für meine Kinder" (das. 1866); "Der Pilger in Italien", Sonette (das. 1868); "Der Zauberer Merlin", Gedicht (Berl. 1871); "Durch Kampf zum Sieg", Zeitgedichte (das. 1870); "Im Rittersaal", rheinische Historien (Leipz. 1874). Unter vielen dramatischen Versuchen gewann nur das Lustspiel "Sie hat ihr Herz entdeckt" einigen Bühnenerfolg. Von Müllers kunsthistorischen Schriften erschienen selbständig: "Düsseldorfer Künstler aus den letzten 25 Jahren" (Leipz. 1854); "Münchener Skizzenbuch" (das. 1856); "Alfred Rethel" (das. 1861) und der "Katalog des Museums Wallraf-Richartz" (Köln 1864, 2 Bde.). Eine Auswahl aus seinen Dichtungen erschien unter dem Titel: "Dichtungen eines rheinischen Poeten" (Leipz. 1871-76, 6 Bde.).