957
Mysteriös - Mystisch.
(1322 zu Eisenach aufgeführt) und das "Spiel von St. Katharina". Im 15. und 16. Jahrh. fand die Aufführung in Frankreich von einer privilegierten Gesellschaft, der "Confrérie de la Passion" (s. d.), welche von Ort zu Ort zog, und zwar im Freien auf Spielwagen (pageants) statt. Die Bühnen der Wagen waren in drei Stockwerke, zur Darstellung des Himmels, der Erde und der Hölle, geteilt und mit Teppichen behängt; der unterste Teil des Raums diente als Ankleidezimmer. In England unterschied man Darstellungen der göttlichen Geheimnisse (mysteries), solche der Wunder der Heiligen (miracles) und solche moralischer, lehrhafter Handlungen aus der biblischen Geschichte (moralities). Überbleibsel der M. sind die Passionsspiele (s. d.) in Oberammergau und in Tirol. Sammlungen französischer M. veranstalteten Monmerqué und Michel ("Théâtre français du moyen-âge", Par. 1839) und Jubinal ("Mystères inédits du XV. siècle", das. 1837, 2 Bde.); deutsche M. veröffentlichen Mone ("Altdeutsche Schauspiele", Quedlinburg 1841, und "Schauspiele des Mittelalters", Karlsr. 1846, 2 Bde.) und Kummer ("Erlauer Spiele. Sechs altdeutsche M.", Wien 1882). Vgl. Wright, Early English mysteries (Lond. 1838); Devrient, Geschichte der deutschen Schauspielkunst, Bd. 1 (Leipz. 1848); Pichler, Über das Drama des Mittelalters in Tirol (Innsbr. 1850); Hase, Das geistliche Schauspiel (Leipz. 1858); Ebert, Die englischen M. (im "Jahrbuch für roman. und engl. Litteratur", Bd. 1, das. 1859); Derselbe, Die ältesten italienischen M. (ebenda, Bd. 5, 1863); Reidt, Das geistliche Schauspiel des Mittelalters in Deutschland (Frankf. 1868); Wilken, Geschichte der geistlichen Spiele in Deutschland (Götting. 1872); Petit de Juleville, Histoire du théâtre en France. Les mystères (Par. 1880, 2 Bde.).
Mysterĭös (griech.), geheimnisvoll, in geheimnisvolles Dunkel gehüllt.
Mysterĭum (griech.), Geheimnis (s. Mysterien); auch s. v. w. Arcanum, Geheimmittel.
Mystifizieren (franz.), hinters Licht führen, d. h. jemand durch Benutzung seiner Leichtgläubigkeit zum besten haben, foppen; daher Mystifikation.
Mystik und Mystizismus (griech., verwandt mit Mysterium) bezeichnet nach herrschendem theologischen Sprachgebrauch zunächst eine Richtung des religiösen Lebens, welche ihre bestimmtere Ausprägung zwar erst im Gegensatz zur scholastischen Theologie des Mittelalters gefunden hat, aber schon in den dem Dionysios Areopagita zugeschriebenen Schriften Vertretung findet und durch sie mit dem Neuplatonismus zusammenhängt. Der Name Mystik an sich führt nicht weiter als auf eine Geheimlehre, in welche nur Auserwählte eingeweiht werden; erst die Geschichte der christlichen Theologie hat den Begriff abgerundet. Wie aber unmittelbare Vereinigung mit Gott das letzte Ziel schon der heidnischen Mysterien (s. d.) gebildet hatte, so heißt Mystik auch im christlichen Sinn vornehmlich die durch den Areopagitischen Gottesbegriff geleitete Andacht, in welcher die Überschreitung aller verstandesmäßigen Vermittelungen bis zum Aufgeben des bestimmten Bewußtseins in das unterschiedslose Wesen Gottes als etwas schon in der irdischen Gegenwart Erreichbares erstrebt wird, während die Scholastik dasselbe Ziel alles christlichen Strebens erst im jenseitigen Leben für erreichbar erachtete. Wenn daher die Scholastik auf eine Weltanschauung der Transcendenz in Form eines dialektischen Verstandesformalismus hinausläuft, sucht die Mystik die Immanenz des Unendlichen im Endlichen zugleich praktisch zu erfahren und theoretisch festzustellen. Dieses in allen Wesen gleichmäßig vorhandene Allgemeine kann ebendarum nichts Bestimmtes, Persönliches sein, weshalb alle ausgeprägte Mystik mit dem Pantheismus wahlverwandt ist. An sich beruht sie auf einer besondern Virtuosität einseitig und exzentrisch religiöser Naturen, welche nicht jedermanns Sache ist. Es liegt ihr auch nahe, weil Gott "alles in allem" ist, ebendarum auch phantastische und überschwengliche Regungen des Gemütslebens direkt auf Gott als die erste Ursache zurückzuführen, daher der moderne Sprachgebrauch mit dem Namen Mystizismus gewöhnlich allerlei frucht- und ziellose Gelüste bezeichnet, mit übersinnlichen Wesen in geheimnisvolle Berührung zu treten. Nachdem die griechische Philosophie im letzten Stadium ihrer Entwickelung derartigen Tendenzen Raum gegeben, mußte sie notwendig in den neuplatonischen Mystizismus auslaufen, der sich von dem echten Platonismus grundsätzlich durch Aufnahme eines ekstatischen Erkenntnisprinzips unterscheidet. Während aber die daran anknüpfende morgenländisch-christliche Mystik des Areopagiten die Frage nach der Erkenntnis Gottes und der Idealwelt in den Vordergrund stellt, weist die abendländische Mystik zunächst wieder mehr praktischen Gehalt auf; sie strebt nach unmittelbarer Vereinigung mit Gott. Aber auch hier unterscheiden sich wieder sehr bestimmt die romanische Mystik, die durch Johannes Scotus Erigena mit dem Areopagiten zusammenhängt, in Bernhard von Clairvaux, den Viktorinern und in Bonaventura, überhaupt zum Teil in denselben Männern, welche gleichzeitig die Scholastik kultivieren, ihre Hauptträger besitzt und mehr nur eine psychologische Theorie der mystischen Andacht repräsentiert, und die germanische Mystik, welche, von Meister Eckard, Tauler, Suso, Ruysbroek u. a. vertreten, durchaus spekulativ verfahrend, denselben Prozeß, welchen jene nur nach seiner subjektiven Seite auffaßte, objektivierte, in das Wesen Gottes verlegte und so jene Anschauungen von demselben gewann, welche dann wieder von Jakob Böhme, Schelling und andern Theosophen und Philosophen der Neuzeit aufgenommen wurden. In naturalistischer Färbung fand der neuere Mystizismus Vertretung durch Paracelsus, Bruno, Campanella u. a., in katholisch gläubigem Sinn durch Franz von Sales, Angelus Silesius und den Quietisten Molinos. Vgl. Tholuck, Blütensammlung aus der morgenländischen Mystik (Berl. 1825); Heinroth, Geschichte und Kritik des Mystizismus (Leipz. 1830); Görres, Die christliche Mystik (2. Aufl., Regensb. 1879, 5 Bde.); Helfferich, Die christliche Mystik in ihrer Entwickelung und ihren Denkmalen (Hamb. 1842, 2 Bde.); Pfeiffer, Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts (Leipz. 1845-57, 2 Bde.); Noack, Die christliche Mystik (Königsb. 1853, 2 Bde.); Hamberger, Stimmen aus dem Heiligtum der Mystik (Stuttg. 1857, 2 Bde.); Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter (Leipz. 1874-81, 2 Bde.); Heppe, Geschichte der quietistischen Mystik in der katholischen Kirche (Berl. 1875); Derselbe, Geschichte des Pietismus und der M. in der reformierten Kirche (Leiden 1879); Denifle, Das geistliche Leben. Blumenlese aus den deutschen Mystikern des 14. Jahrhunderts (2. Aufl., Graz 1878).
Mystisch (griech.), s. v. w. geheimnisvoll, durch geheimen Sinn dunkel; der Mystik (s. d.) angehörig, huldigend. Mystisches Testament, eine letztwillige Verfügung, in welcher der Erbe nicht genannt oder eine sonstige wesentliche Bestimmung nicht enthalten, sondern statt dessen auf eine andre Urkunde verwiesen ist, wo sich dieselbe vorfinden soll.