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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Nerven (botan.) - Nervenkrankheiten.

Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik (Leipz. 1875-77, 2 Bde.); Rosenthal, Physiologie der Muskeln und N. (das. 1877).

Nerven (Blattrippen), s. Blatt, S. 1014.

Nervenäther, s. Magnetische Kuren.

Nervendehnung (Distensio nervorum), ein 1873 von Nußbaum angegebenes und dann vielfach geübtes Verfahren, bei dem zur Heilung von Nervenleiden, namentlich Hüftweh und andrer Neuralgien, der Nerv der erkrankten Gegend mit stumpfen Instrumenten stark gedehnt wird. Der Dehnung folgt unmittelbar eine außerordentliche Besserung des Übels; allein der Erfolg ist nicht von langer Dauer, und namentlich sind die Hoffnungen, welche 1881 allseitig von der N. als Heilmittel gegen Rückenmarksschwindsucht (Tabes dorsalis) gehegt wurden, nicht in Erfüllung gegangen.

Nervenelektrizität, die Gesamtheit der am lebenden Nerv zu beobachtenden elektrischen Erscheinungen; s. Nerven, S. 58.

Nervenentzündung (Neuritis), entzündlicher Prozeß in der bindegewebigen Scheide (Perineurium) oder in den eigentlichen Nervenfasern, verläuft stets mit großer Schmerzhaftigkeit und später eintretenden Lähmungen mit folgendem Muskelschwund. Die eiterige Entzündung der Nervenscheide ist eine Wundinfektionskrankheit, welche sich namentlich an Quetschungen und Zerreißungen größerer Nervenstämme anschließt, wenn die Wunden unsauber gehalten werden und Bakterien sich in ihnen ansiedeln. Schmerzen, welche dem Verlauf der entzündeten Nerven folgen und sich bis in die peripherische Verbreitung derselben erstrecken, bilden das wichtigste und häufigste Symptom der N. Die Schmerzen vermehren sich bei einem auf den Nerv ausgeübten Druck, pflegen aber nicht anfallsweise aufzutreten, wie bei den Neuralgien, sondern sind mehr beständig vorhanden. Während des Bestehens dieser Schmerzen ist gewöhnlich der Tastsinn im Bereich derselben vermindert. Anfangs haben die Kranken an den betroffenen Stellen der Peripherie ein Gefühl von Taubheit; später, wenn sich die Entzündung nicht verteilt, entwickelt sich vollständige Unempfindlichkeit gegen äußere Reize, während die Schmerzen häufig noch fortbestehen. Enthält der entzündete Nerv auch Bewegungsfasern, so gesellen sich zu den Schmerzen Zuckungen und Kontrakturen, während das Vermögen der Kranken, die Muskeln willkürlich in Kontraktion zu versetzen, beeinträchtigt wird oder gänzlich verloren geht. Der Verlauf ist bald akut, bald chronisch. Der Nerv bleibt, auch wenn sich die Entzündung zerteilt, gewöhnlich für längere Zeit in gewissem Grad funktionsunfähig. Bei chronischen Verlauf der N. tritt, wenn der Nerv zerstört wird, gleichfalls Unempfindlichkeit und Lähmung ein; bleibt aber der Nerv erhalten, und erfährt er nur von seiten der angeschwollenen und verdickten Nervenscheide einen beständigen Druck, so leiden die Kranken oft jahrelang an Nervenschmerzen oder an krampfhaften Zufällen im Bereich des kranken Nervs. Die Behandlung hat die Aufgabe, etwa in den Nerv eingedrungene Fremdkörper zu entfernen, im übrigen geschieht sie nach den Regeln der Wundbehandlung: Reinigung, antiseptischer Verband. Die idiopathische N. führt ohne ein besonders erkennbares entzündliches Stadium zum Schwund von Nervenfasern und gleicht somit mehr den entzündlichen Prozessen, welche am Gehirn und Rückenmark vorkommen, mit denen sie auch in den klinischen Symptomen Ähnlichkeit hat, zumal mit der aufsteigenden Rückenmarkslähmung. Die Krankheit beginnt plötzlich unter heftigen Fiebererscheinungen, Frost, Hitze, Appetitmangel, Schmerzen im Rücken und Kreuz und den Beinen, zuweilen mit Anschwellung der Gelenke. Bald darauf stellen sich Lähmungen in den Beinen ein, die schon in wenig Tagen hohe Grade erreichen können und zuweilen durch Übergang auf die Atmungsmuskeln tödlich werden. Auch in den leichtern Fällen folgt auf die Lähmungen ein Muskelschwund, welcher bis zu voller Heilung, selbst wenn die Schmerzen und die mangelhafte Erregbarkeit des Nervs gehoben sind, oft noch monatelanger Behandlung mit Hautreizen, elektrischem Strom etc. bedarf. Über die Ursachen dieser N. ist nichts bekannt; es gilt jetzt für ausgemacht, daß die epidemisch in Ostasien auftretende Beriberi oder in Japan als Kak-ke benannte Krankheit mit der primären N. gleichartig ist.

Nervenfasern, s. Nervensystem.

Nervenfieber, s. Typhus und Fieber, S. 250.

Nervengeflecht, s. Nerven, S. 57, und Plexus.

Nervengeschwulst (Neuroma) wurde früher jede an Nerven vorkommende Geschwulst genannt. Die Nervengeschwülste sind meist weich und bestehen aus losem Bindegewebe, oder sie sind wirkliche aus Nervenfasern bestehende Knoten, wie solche an Amputationsstümpfen am häufigsten vorkommen. Jede N. ist sehr schmerzhaft, die Schmerzen sind periodisch. Ein leiser Druck auf die Geschwulst steigert die Schmerzen zu unerträglicher Höhe. Die Leitungsfähigkeit der Nerven kann durch die Neurome leiden, so daß sich zu den Schmerzen das Gefühl von Taubheit und eine mehr oder weniger vollständige Empfindungslosigkeit der Haut im Bereich des kranken Nervs gesellen. Selten kommen durch Beeinträchtigung motorischer Fasern Zuckungen und Kontrakturen und im weitern Verlauf Lähmungen vor. Die Behandlung einer N. besteht in operativer Entfernung. Vgl. Courvoisier, Die Neurome (Basel 1885).

Nervengewebe, s. Nervensystem.

Nervengifte, s. Nervenmittel.

Nervenknoten, s. Ganglien.

Nervenkrankheiten im weitesten Sinn umfassen alle Krankheiten des Gehirns, des Rückenmarks, des Sympathikus und der peripherischen Nerven, von denen nur die Geisteskrankheiten (s. d.) auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch ausgenommen sind. Im engern Sinn versteht man unter N. oder Neurosen nur die Anomalien der Empfindungs- und Bewegungsnerven; allein da die Symptome, z. B. Schmerz, Krampf (s. d.), Lähmung (s. d.), sowohl bei Erkrankung der Zentralorgane als auch bei örtlichen Leiden der Nerven selbst vorkommen, so kann nur ein wissenschaftlich gebildeter Nervenarzt entscheiden, ob im gegebenen Fall eine Nervenkrankheit im engern oder weitern Sinn vorliegt. Erkrankte Empfindungsnerven zeigen nun die folgenden Symptome: 1) Abnahme der Gefühlswahrnehmung (Anästhesie), und zwar hat der Arzt zu prüfen, ob diese Unempfindlichkeit die empfindenden Endapparate betrifft, d. h. den Tastsinn, oder den Drucksinn, welcher uns über die Schwere der Körper unterrichtet, oder den Muskelsinn, der uns die Lage und Haltung unsers Körpers zum Bewußtsein bringt und die Kraft abschätzt, mit welcher wir zu den verschiedenen Zwecken unsre Hände und Füße in Thätigkeit zu setzen haben, oder ob die Anästhesie im Verlauf der Nervenbahn, z. B. in einer Geschwulst oder in einem Druck, zu suchen ist, welcher den Nervenstamm betroffen hat, oder ob sie endlich zentralen Ursprungs ist, d. h. von einem Leiden des Gehirns (Hysterie, Blutungen etc.) oder des Rücken-^[folgende Seite]