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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Nervenkristall; Nervenmittel

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Nervenkristall - Nervenmittel.

marks (Rückenmarksschwindsucht, Tabes dorsalis) ihren Ausgang nimmt. Die Erscheinungen beginnen mit dem leichtesten Taubsein und können sich zur vollen Gefühllosigkeit, zuweilen mit Ameisenkribbeln, oft verbunden mit heftigen Schmerzen, Ernährungsstörungen der gefühllosen Teile, steigern. Sofern man die Behandlung gegen ein örtliches Leiden oder gegen eine mit dem Beruf zusammenhängende Störung der Haut richten kann, wie bei der Anästhesie der Wäscherinnen, nach Karbolgebrauch, Frostschaden, ist eine Aussicht auf völlige Heilung vorhanden, während bei den zentralen Ursachen das Grundleiden kaum je direkt in Angriff genommen werden kann; der Arzt ist alsdann genötigt, sich auf örtliche Reizungen der Haut, namentlich mit dem elektrischen Pinsel, sowie auf Hebung des Ernährungszustandes zu beschränken. 2) Nervenschmerzen (s. d.), welche meist mit Unterbrechungen auftreten, sehr heftig, bohrend, stechend, reißend sind und sich genau auf den Verbreitungsbezirk eines ganz bestimmten Nervs beschränken und wegen dieser Abgrenzung zum Unterschied von andern allgemeinen Schmerzen bei Verletzungen, Entzündungen etc. als Neuralgien bezeichnet werden. Die bekanntesten Formen dieses Leidens sind der Gesichtsschmerz (s. d., Tic douloureux), welcher aus einer Neuralgie im Nervus trigeminus beruht, die Ischias oder das Hüftweh (s. d.), der habituelle Kopfschmerz (s. d.), und in neuerer Zeit hat man beobachtet, daß eine Gruppe von Gelenkleiden, welche man früher für entzündliche hielt, gleichfalls als N. aufzufassen ist (s. Gelenkneurose). Die Behandlung der sämtlichen Neuralgien erfordert gute Ernährung, zuweilen den Gebrauch von Luftkuren, von Chinin, Eisen etc.; am erkrankten Nerv wirken häufig Ableitungen durch Blasenpflaster oder Veratrinsalbe, Einspritzungen von Morphium oder 3proz. Karbolsäure an oder in den kranken Nerven, Elektrizität und innerlicher Gebrauch von Bromkalium oder Arsen. 3) Lähmung, welche entweder nur den Verbreitungsbezirk eines einzigen Bewegungsnervs betrifft (Monoplegie), oder halbseitig ist (Hemiplegie), oder beide Seiten betrifft (Paraplegie). Auch diese Form der N. ist nur als ein Symptom anzusehen, welches nur in einer gewissen Anzahl von Fällen, namentlich der Monoplegien, auf eine Erkrankung oder Verletzung im Lauf des Nervenstammes selbst zu beziehen ist, während die Ursache der halbseitigen Lähmungen, z. B. des Gesichtsnervs (Nervus facialis), im Gehirn, diejenige der doppelseitigen im Rückenmark zu liegen pflegt. Namentlich die letzte Gruppe der reinen Rückenmarkslähmungen ist oft von einem auffallenden Muskelschwund begleitet, ein Umstand, aus welchem man auf einen eigentümlichen Einfluß der grauen Rückenmarkshörner auf die Ernährung der Muskeln schließt. Ist der gelähmte Teil leicht beweglich durch den untersuchenden Arzt, so liegt eine schlaffe Lähmung vor; wenn der gelähmte Muskel einen gewissen Widerstand entgegensetzt, so ist die Lähmung eine spastische. Über die von der neuern Nervenheilkunde aufgestellten typisch wiederkehrenden Krankheitsbilder vgl. Lähmung. 4) Krämpfe, d. h. Reizerscheinungen im Gebiet der Bewegungsnerven, welche sich in Bewegungen der Muskeln kundgeben, die ohne den Einfluß des Willens, ja gegen denselben zu stande kommen (s. Schreibkrampf). Unter mannigfachen technischen Bezeichnungen unterscheidet man: a) epileptiforme Konvulsionen, bei welchen der ganze Körper in stoßende oder schüttelnde Krämpfe gerät (s. Epilepsie); b) rhythmische Zuckungen in einzelnen Muskelgebieten, welche in regelmäßigem Tempo erfolgen, z. B. nach Gehirnschlag; c) Zitterbewegungen, wie sie bei chronischem Alkoholismus (s. Trunksucht), bei der Paralysis agitans vorkommen (s. Lähmung); d) einzelne Zuckungen, welche vom Rückenmark ausgehen; e) fibrilläre Muskelzuckungen, welche keine Bewegungen auslösen, sondern nur in kleinen Gruppen von Muskelfasern sich abspielen und in atrophierenden Muskeln beobachtet werden; f) choreatische Bewegungen (s. Veitstanz); g) athetose ("gesetzlose") Bewegungen, d. h. langsam ablaufende, meist an den Händen vorkommende Spreizungen mit nachfolgendem krampfartigen Zusammen- oder Übereinanderlegen der Finger, welche zuweilen bei Kindern neben halbseitigen Lähmungen vorkommen; h) Zwangsbewegungen, welche sich als Lachkrämpfe, Schreikrämpfe, Weinkrämpfe, in Fällen schwerer Erkrankungen oder Verletzungen der Gehirnrinde auch in drehenden, wälzenden, überschlagenden Bewegungen des ganzen Körpers äußern; i) tonische Krämpfe (s. Krampf u. Wundstarrkrampf); k) kataleptische Starre, ein Zustand, bei welchem die Muskeln nicht dem Willen unterliegen und in der Stellung, in welche sie durch einen andern gebracht werden, verharren. 5) Störungen der Koordination der Bewegungen (Ataxie), wobei die Muskeln zwar ihre volle Kraft noch besitzen, aber ihr harmonisches Zusammenwirken gestört ist. Die Ataxie wird besonders bei Krankheiten des Kleinhirns und der Rückenmarksschwindsucht beobachtet. 6) Störungen der Reflexerregbarkeit, welche im Verschwinden der Reflexerscheinungen sich äußert, so daß z. B. beim Kitzeln der Fußsohlen, Stechen mit einer Nadel keine reflektorischen Bewegungen erfolgen, wie man es bei Lähmungen des Rückenmarks an Haut und Sehnen (Sehnenreflexe, s. Kniephänomen) antrifft. 7) Als vasomotorische oder trophische Neurosen faßt man eine Gruppe von N. zusammen, welche in ihrem Wesen noch wenig bekannt sind, wahrscheinlich aber in besonders naher Beziehung zum sympathischen Nervengeflecht stehen. Hierhin gehört die Migräne (s. d.), ferner die erst in letzter Zeit näher beobachtete halbseitige Gesichtsatrophie (Hemiatrophia facialis) und die Basedowsche Krankheit (s. d.). Die Bezeichnung Neurose ist für alle N. im Gebrauch, vor allem für solche N., bei denen anatomische Veränderungen nicht nachgewiesen werden können, welche wir demnach als funktionelle N. anzusehen pflegen (s. Nervenentzündung). Vgl. Romberg, Lehrbuch der N. (3. Aufl., Berl. 1857); Pierson, Kompendium der Krankheiten des Nervensystems (Leipz. 1876); Strümpell, Krankheiten des Nervensystems (das. 1884).

Nervenkristall, s. Menthol.

Nervenmittel (Nervina), Arzneimittel, welche vorzugsweise auf die Nerven wirken und zwar reizend, eine gesteigerte Thätigkeit hervorrufend, wie Wein und andre Spirituosen, Ätherarten, ätherische Öle etc., oder herabstimmend, beruhigend, lähmend, betäubend, wie namentlich die narkotischen, betäubenden Mittel, oder umstimmend, die Ernährung und die Thätigkeit des Nervensystems abändernd, wie die giftigen Metallsalze. Die N. lassen sich in dieser Weise nicht streng klassifizieren. Viele betäubende Mittel (wie das Opium) wirken in geringen Mengen stark aufregend, die Reizmittel (wie Wein, Äther, Kampfer) wirken in großen Dosen betäubend, und manche Metallgifte (wie Blei, Arsen, Kupfer) wirken lähmend. Gewisse Stoffe, wie das Curarin, die sogen. Nerven-^[folgende Seite]