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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Norwegische Litteratur

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Norwegische Litteratur (wissenschaftliche).

erheben will und bereits eine ganze Anzahl von Büchern und Schriften im Dialekt veröffentlicht hat. Leider gewinnen diese übertriebenen nationalen Bestrebungen immer mehr Boden, wozu die seit Jahrzehnten in Norwegen herrschende schwedenfeindliche Strömung nicht wenig beiträgt. Der hauptsächlichste dichterische Vertreter der Maalsträver war lange Zeit hindurch A. O. Vinje (gest. 1870), der besonders durch seine lyrischen Gedichte und durch sein Epos "Storegut" berechtigtes Aufsehen erregte. Weniger Bedeutung kommt Kristoffer Janson (geb. 1841) mit seinen Erzählungen und lyrischen und dramatischen Gedichten zu. Bei weitem hoffnungsvoller ist dagegen die neuere Phase, welche Henr. Ibsen (geb. 1828) und Björnstjerne Björnson (geb. 1832) ungefähr seit 1855 in dem norwegischen Zweig der gemeinsamen Sprache eröffnet haben. Beide hochbegabte Dichter haben sich nicht bloß von dem Radikalismus der Maalsträver fern gehalten, sondern sie haben sogar kräftig dahin gewirkt, die geistige Verbindung zwischen den skandinavischen Völkern noch inniger zu gestalten. Was ihre Sprache anbetrifft, so bedienen sie sich derjenigen, welche man von gebildeten Norwegern überall im Land hört, also weder der dänischen noch der Bauernsprache. Besonders weicht die Ausdrucksweise Björnsons ziemlich stark von der dänischen ab, während Ibsen spezifisch norwegische Wörter und Redewendungen da, wo er es ohne Zwang thun kann, zu vermeiden sucht. Ibsen ist überhaupt weit mehr Kosmopolit als Björnson, der noch in mancher Beziehung übermäßig streng an den nationalen Eigentümlichkeiten seines Volkes festhält. Björnson ist auch als Journalist und republikanischer Wanderredner von mächtigem Einfluß. Neben diesen beiden Koryphäen stehen in erster Linie Jonas Lie (geb. 1833), Alexander Kielland und Arne Garborg. Ersterer hat besonders den Seeroman kultiviert, während Kielland in scharfer, satirischer Form die Schäden der heutigen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse angreift und Garborg, der zu der Partei der Maalsträver gehört, mit Erfolg für die intellektuelle Hebung der ländlichen und städtischen Bevölkerung eintritt. Ferner sind von den neuesten Dichtern und Dichterinnen namhaft zu machen: Kristian Elster, John Poulsen, Henrik Jäger, Magdalene Thoresen, Camilla Collett und Maria Colban. Sämtliche behandeln ausschließlich norwegische Stoffe.

Neben dem regen poetischen Leben, das sich besonders in den letzten Jahrzehnten in Norwegen entfaltet hat und in immer neu hinzukommenden Talenten sich fort erhält, hat die junge n. L. auch auf dem Gebiet der Wissenschaften zahlreiche und gediegene Leistungen aufzuweisen. Von den einzelnen Zweigen derselben ist besonders die Geschichte mit Fleiß und Erfolg bearbeitet worden. Den ersten Rang behaupten hier Peter Andreas Munch (1810-63) und Rudolf Keyser (1803-64), die in zahlreichen und zum Teil umfangreichen Werken die ältere norwegische Geschichte beleuchteten und so die Gründer einer eignen norwegischen historischen Schule wurden. Die derselben speziell eigentümliche Theorie von der Bevölkerung des Nordens in der Vorzeit, welche von verschiedenen Seiten Widerspruch erfahren hat und jetzt als aufgegeben betrachtet werden muß, wurde bisweilen mit großer Einseitigkeit verfochten; die Untersuchungen aber, zu denen sie Anlaß gaben, haben zur Klärung wichtiger Fragen nicht wenig beigetragen. Nach Munch und Keyser ist J. ^[Johan] Ernst Sars (geb. 1835) der bedeutendste Historiker Norwegens, dessen Arbeiten (besonders die "Udsigt over Norges Historie") sich durch scharfsinnige, geistvolle Auffassung des Stoffes wie durch geschmackvolle Darstellung gleich sehr auszeichnen. N. Nicolaysen hat die architektonischen Monumente des Mittelalters erforscht, Bernt Moe, A. Faye und L. Daae die Personalgeschichte gefördert; andre historische Arbeiten lieferten G. P. Blom, M. Birkeland, Nielsen, O. Rygh, Yngvar u. a. Eine ganz eigentümliche Stellung nimmt Eilart Lund Sundt (gest. 1875) ein, der seine Untersuchungen über zahlreiche wichtige soziale und ökonomische Verhältnisse, wie über die Sitten und die Lage der arbeitenden Klasse, über die öffentliche Sittlichkeit, über das "Fante Folk" (zigeunerhafte Landstreicher), in einer Reihe von Schriften niedergelegt hat, die zunächst wohl einen statistischen Charakter haben, in denen aber die Statistik in einer ungewöhnlich geistvollen Weise behandelt ist. In der Staatswissenschaft sind Stang, Schweigaard, P. Lassen, T. Aschehoug, F. Brandt, F. Hallager, M. Räder und L. K. Daa die bekanntesten Namen. Die Philosophie hat als bedeutenden Vertreter zunächst Niels Treschow (1751-1833) aufzuweisen, dessen frühste Thätigkeit noch in die Zeit der gemeinsamen dänisch-norwegischen Litteratur fällt. Von einem teilweise eklektischen Standpunkt aus hat er in klarem, populärem Vortrag mehrere Zweige der Wissenschaft behandelt und zuletzt in einem sogen. "Philosophisk Testament" eine Art von Identitätssystem aufgestellt. Neben ihm ist nur noch Markus Jakob Monrad (geb. 1816) zu nennen, der sich zunächst der Hegelschen Schule angeschlossen hat, und dessen zahlreiche Schriften auf verschiedenen Gebieten durch ihre klare, streng logische Abfassung viele Anregung zu schärferm Denken gegeben haben. Die hervorragendsten Theologen der alten Schule sind: Stener Johan Stenersen (gest. 1838) und W. Andreas Wexels (gest. 1866), während die neuere Richtung besonders durch C. Poul Caspari (geb. 1814) vertreten ist. Auch G. Johnsen und Jörgen Hansen sind als theologische Schriftsteller zu erwähnen. Großes Aufsehen machte seiner Zeit der Streit zwischen Wexels und dem Philosophen Treschow, veranlaßt durch das Buch des letztern: "Geist des Christentums". Über die höhere Pädagogik schrieb F. M. Bugge ein ausführlicheres Werk; im übrigen rief auf diesem Boden der Streit zwischen den Humanisten und Realisten eine Menge kleiner Streitschriften hervor. Die Sprachwissenschaft hat sich besonders mit dem Altnorwegischen beschäftigt, und hier sind es vornehmlich wieder die oben genannten Historiker Munch und Keyser, welche sich sowohl durch Herausgabe norwegischer und isländischer alter Schriften als auf dem Gebiet der eigentlichen Sprachforschung verdient gemacht haben. Einen tüchtigen Nachfolger ihrer Thätigkeit in ersterer Richtung fanden sie in K. Richard Unger (geb. 1817), während Joh. Fritzner (geb. 1812), der Verfasser eines vortrefflichen altnordischen Lexikons, und Sophus Bugge, der Erklärer der nordischen Runendenkmäler, nach ihnen die Sprachwissenschaft am bedeutendsten gefördert haben. Auf dem Felde der Naturwissenschaften ist Kristoffer Hansteen (1784-1873), dessen Untersuchungen über den Erdmagnetismus ihn weit über sein Vaterland hinaus berühmt gemacht haben, als hervorragender Forscher zu nennen. Vorzügliche Arbeiten in den einzelnen Zweigen der Naturwissenschaften haben außerdem Sjurd Aamundsen Sexe (geb. 1805), Michael Sars (geb. 1805), Matthias Numsen Blytt (gest. 1862) u. a. geliefert. Als ein