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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Opium

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Opium.

Narkotingehalt beträgt 2-4 Proz., bisweilen 10 Proz. und mehr. Kodein und Thebain erreichen jedes kaum 1 Proz., und die übrigen Alkaloide finden sich noch sehr viel spärlicher. Das O. schafft, richtig angewandt, als Arzneimittel mehr Segen, gemißbraucht aber, als Berauschungsmittel, mehr Elend als irgend eine andre Drogue. Es wirkt in geringen Gaben zunächst erregend, dann beruhigend; schmerz- und krampfstillend, schweißtreibend, schlafmachend, die Absonderungen mäßigend und verringernd; in größern Gaben erregend, erhitzend, betäubend; es stört, in großen Gaben verabreicht, die Sinnesthätigkeit, schwächt die Nerven, verwirrt den Geist, verursacht anhaltenden, oft mit den angenehmsten Träumen erfüllten Schlaf und führt schließlich den Tod herbei. Tödlich können wirken für Kinder schon 0,01 g, für Erwachsene 0,25-0,75 g; manche Tiere, besonders Affen, vertragen sehr große Gaben. Gegengifte bei Opiumvergiftung sind starker Kaffee, Gerbsäure, größere Gaben Bittermandelwasser. Man benutzt das O. als Arzneimittel äußerlich und innerlich in sehr vielen Fällen, sowohl als O. wie als Extrakt oder Tinktur; letztere enthält in 100 Teilen die löslichen Bestandteile von etwa 10 Teilen O. Große Mengen O. werden verbraucht zur Darstellung von Morphium und andern Alkaloiden, die größte Menge aber als Berauschungsmittel, als welches es sowohl gekaut als geraucht wird. Dieser Mißbrauch des Opiums ist besonders im Orient, bei den Türken, Griechen, Persern, vorzüglich aber bei den Chinesen und in immerhin bedenklichem Grad auch in Nordamerika und England herrschend. Die Opiumesser sind bei den Türken verachtet und heißen Theriakides, sie finden sich in Konstantinopel auf dem sogen. Theriakmarkt ein und bringen ihr O. mit. Es sind blasse, abgezehrte Gestalten mit gestrecktem Hals und gereckten Gliedern, erstorbenen Augen und stammelnder Zunge, wandelnden Leichnamen gleich. Sie setzen sich auf Sofas längs einer hölzernen Galerie, und es verschluckt jeder die ihm zusagende Zahl von Pillen, die stärksten deren vier, größer als Oliven, mit einem Glas frischen Wassers; binnen einer Stunde sind sie dem beseligenden Rausch des Opiums hingegeben, der jedem die Wünsche seiner Einbildungskraft als erfüllt vorzaubert. Die Opiumesser beginnen mit 0,03 g O. und steigen bis auf 7,5 g und darüber, die Wirkungen beginnen nach einer Stunde und dauern je nach den Individualitätsverhältnissen 5-6 Stunden. Die wenigsten Opiumesser sollen ein hohes Alter erreichen. In China und Java wird das O. behufs des Rauchens durch Kochen in Wasser gelöst, die Lösung wird filtriert und verdampft. Wollen die Chinesen rauchen, so legen sie ihren Kopf auf ein Kissen, nehmen mit einem nadelartigen Instrument etwas O., halten es an die Flamme eines Lichts, stecken es in den kleinen Kopf der Opiumpfeife, bringen das Licht während des Einziehens an den Pfeifenkopf und ziehen mittels eines Zugs oder zweier Züge den Rauch in die Lunge; habituelle Raucher wiederholen dies mehreremal. Nach Berichten englischer Ärzte sind die Opiumraucher anfangs aufgeweckt, gesprächig und heiter, oft aber auch jähzornig und zanksüchtig. Man bemerkt Röte des Gesichts, funkelnde Augen, beschleunigte Respiration und Zirkulation, Wärmegefühl, allgemeines Wohlbehagen, größere Lebhaftigkeit der Empfindungen und der Phantasie etc. Später tritt dann Abspannung ein. Ein höchst unangenehmes Gefühl am nächsten Morgen treibt zu neuem Opiumgenuß an. Wird dieser versagt so erleiden namentlich habituelle Raucher eine Plage, welche nicht zu beschreiben ist. Plötzliche Unterlassung des Opiumrauchens, wenn es vorher stark und anhaltend betrieben wurde, hat die übelsten Folgen und kann den Tod herbeiführen.

Der Mohn gehört zu den ältesten Arzneipflanzen, und für die Bekanntschaft mit seiner schlafmachenden Wirkung sprechen viele Zeugnisse. Schon zu Homers Zeiten muß er in Kleinasien angebaut worden sein. Theophrast kannte das O. unter dem Namen Mekonion, Dioskorides und Plinius beschrieben auch die Gewinnung, und man unterschied das Opos, den eingetrockneten Milchsaft der Kapsel, von dem minder wirksamen Extrakt der ganzen Pflanze, dem Mekoneion. Im europäischen Mittelalter wurde O. wenig gebraucht und war längere Zeit eine seltene Drogue. Als Theriaka oder Turiaga bezeichnete man opiumreiche Latwergen oder das O. selbst. In reichlicher Menge wurde O. in der oberägyptischen Landschaft Thebais gewonnen und sehr lange von dort ausgeführt, doch kam auch indisches O. nach Europa. In Persien scheint die Unsitte der Benutzung des Opiums als Erregungsmittel zuerst aufgekommen zu sein, und erst in einer verhältnismäßig späten Zeit dürfte sie sich über Asien verbreitet haben. Im Sanskrit fehlt wenigstens ein Name für O., während im ganzen Orient aus dem griechischen opos oder opios abgeleitete Bezeichnungen vorkommen. Offenbar hängt diese Erscheinung mit der Verbreitung des Islam zusammen, dessen Bekenner in dem Genuß des Opiums Mut und Todesverachtung erlangten und auf keine Weise besser in ihrem rauschähnlichen Fanatismus erhalten werden konnten. Gewiß hat das Verbot des Weins dazu beigetragen, den Mißbrauch des Opiums zu steigern. In Indien setzte sich die Mohnkultur zunächst in Malwa fest, sicher im Zusammenhang mit dem Einzug mohammedanischer Herrscher im 16. Jahrh. 1511 war O. ein wichtiger Einfuhrartikel des Hafens von Kalikat in Vorderindien, doch war es so teuer, daß nur die Reichen dem Genuß frönen konnten. Die Chinesen holten damals viel O. aus Indien als Arzneimittel, während das Rauchen daselbst erst nach der Mitte des 17. Jahrh. trotz vieler Verbote der Regierung gebräuchlich wurde. Die englische Ostindische Kompanie begann die Opiumkultur in Bengalen, monopolisierte dieselbe und führte seit 1773 O. in immer steigenden Quantitäten in China ein. 1820 verbot die chinesische Regierung die Opiumeinfuhr, bewirkte dadurch aber nur die Organisation eines Schmuggelhandels, der endlich zu dem "Opiumkrieg" mit England führte. Dieser kam 1842 zum Abschluß, und 1858 erfolgte im Vertrag von Tiëntsin von chinesische Seite die Zulassung des Opiums, welche weiterhin 1876 durch die Tschifukonvention geregelt werden sollte. Im Finanzjahr 1873-74 wurden in Indien 6,358,495 kg O. produziert und davon nach China und den Ländern mit chinesischen Ansiedlern 6,144,132 kg exportiert. Für 1875 wird die Einfuhr von O. in China auf 3,805,479 kg angegeben. Zwei Drittel der Produktion entfallen auf Bengalen, der Rest auf Bombay und Malwa. Seit 1853 wird in China selbst O. gewonnen und die jährliche Produktion auf 20-30,000 Kisten geschätzt.

Die Verbreitung des Opiumgenusses in England fällt in das 4. Jahrzehnt unsers Jahrhunderts, in dieselbe Zeit mit der Ausbreitung der Bestrebungen des Temperenzsystems. In Nordamerika erreichte das Opiumrauchen, abgesehen von dem bei den Chinesen üblichen Mißbrauch, erst in den 70er Jahren größere Verbreitung; erst 1876 gelangte es in die größern Städte des Ostens, Chicago, St. Louis und New