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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Orientalisches Kaisertum; Orientalisten; Oriénte

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Orientalisches Kaisertum - Oriente.

veröffentlicht zu haben. Noch in der Gegenwart sind die Missionäre, besonders die englischen, an der Entwickelung der orientalische Philologie in hervorragender Weise beteiligt. Weitere Forderung brachten ihr der rasch zunehmende Handelsverkehr mit dem Orient, die Eroberung Ostindiens durch die Engländer, welche gegen Ende des 18. Jahrh. die reiche alte Sprache und Litteratur Indiens der europäischen Wissenschaft erschloß, Napoleons I. Feldzug nach Ägypten und wissenschaftliche Reisen, besonders in der neuesten Zeit die verschiedenen gelehrten Expeditionen nach Assyrien (s. Keilschrift). Das Studium des Sanskrits und die Entdeckung seiner Verwandtschaft mit den Kultursprachen Europas sowie mit dem Persischen und Zend führte im Anfang des 19. Jahrh. in Deutschland zur Begründung der vergleichenden Sprachwissenschaft (s. d.), welche dann ihrerseits auf alle orientalischen Studien erweiternd und vertiefend zurückwirkte. Bis in den Anfang des 19. Jahrh. noch ein bloßes Anhängsel der Theologie, sind dieselben jetzt an allen Universitäten, wenigstens in Deutschland, durch besondere Lehrstühle in den philosophischen Fakultäten vertreten; meistens tritt dabei noch eine weitere Teilung der Fächer ein, in je eine Professur für Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft und für die semitischen Sprachen, wozu manchmal noch Lehrstühle für Ägyptologie und Sinologie kommen, während mehrfach (in Berlin, Leipzig, Straßburg, Göttingen etc.) auch für Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft zwei getrennte Professuren bestehen. Außerdem lehrt ein Mitglied der theologischen Fakultät Hebräisch und Exegese des Alten Testaments. Mit dem Studium der semitischen Sprachen: Hebräisch, Syrisch, Arabisch, Äthiopisch, Chaldäisch, Assyrisch wird gewöhnlich das des Neupersischen sowie des Türkischen verbunden wegen der vielfachen Beziehungen dieser beiden Sprachen zu der arabischen; die Sanskritisten und Sprachvergleicher verbinden aus ähnlichen Gründen meistens mit ihrem eignen Studium das der ältern iranischen Sprachen, namentlich des Zend und Altpersischen. Mit den Forschungen über das alte Ägyptische geht das Studium des Koptischen und andrer neuern Sprachen Afrikas Hand in Hand. Ein viertes Zentrum bildet die Sinologie, die gegenwärtig besonders in Frankreich und England blüht; erst in neuester Zeit ist man im Anschluß daran auch der von China aus stark beeinflußten Sprache und Litteratur Japans näher getreten. Die finnisch-tatarischen, die malaiisch-polynesischen, die drawidischen Sprachen (im Dekhan), das Siamesische und Birmanische, das Tibetische und andre asiatische Sprachen ohne hervorragende Litteratur und Kultur sind noch am wenigsten untersucht. Am meisten und in der systematischten Weise werden seit Beginn des 19. Jahrh. die orientalischen Studien von deutschen Gelehrten getrieben; außerdem sind in der neuesten Zeit glänzend vertreten: Italien durch Amari, Ascoli, Gorresio u. a., Frankreich und England durch Lenormant, Ménant, Garcin de Tassy, Saint-Martin, Regnier, Maspero, Stanislas Julien, Palmer, Childers, R. P. Smith, Rawlinson, G. Smith, Sayce, Legge u. a., Holland durch Kern und de Goeje, Belgien durch de Harlez, Dänemark durch Westergaard, Ungarn durch Vambéry, Nordamerika durch Whitney etc. An der Erforschung des indischen Altertums nehmen jetzt auch geborne Hindu, wie Rajendralal Mitra, Bhandarkar, Swamy u. a., lebhaften Anteil. England besitzt die reichsten Sammlungen an Handschriften des Orients, namentlich diejenige des India Office in London und der Bodleiana in Oxford; das Britische Museum in London, welches ebenfalls reich an indischen, persischen etc. Handschriften ist, besitzt zugleich die größte Sammlung assyrischer Kunstwerke, die meist mit Keilschriften bedeckt sind. Die Pariser Bibliothek ist besonders reich an chinesischen, die Madrider des Escorial an arabischen Handschriften; in Deutschland sind die Bibliotheken von Berlin, München, Dresden, Gotha, Leipzig, Tübingen, in Österreich ist Wien reich an orientalischen Manuskripten. Höchst förderlich als Sammelpunkte dieser Studien wirken seit lange ^[richtig: langem] die Asiatischen Gesellschaften (s. d.), namentlich die Royal Asiatic Society in London, die Asiatic Society of Bengal in Kalkutta und die Deutsche Morgenländische Gesellschaft, deren höchst bedeutsame "Zeitschrift" bereits bis zum 42. Band vorgerückt ist. Nicht minder wichtig ist das "Journal Asiatique", das in Paris herauskommt, sowie die Veröffentlichungen der Asiatischen Gesellschaften in London, Kalkutta und Bombay. Besondere Lehranstalten für orientalische Sprachen gibt es in Rom, Paris, Wien (orientalische Akademie), Petersburg und Berlin (orientalische Seminar, seit 1887).

Abgesehen von der Begründung der Sprachwissenschaft im Beginn des 19. Jahrh., ist das Aufblühen der orientalischen Studien von besonderer Bedeutung für die vergleichende Religionswissenschaft geworden. Bei allen Litteraturen des Orients steht das religiöse Interesse im Vordergrund, und das Studium der heiligen Schriften des Morgenlandes, das von alters her der Schoß aller großen religiösen Bewegungen gewesen ist, namentlich die erst neuerdings angebahnte Kenntnis der Wedas, des Zendavesta, der buddhistischen und der chinesischen Religionsbücher, ermöglicht jetzt eine wahrhaft unbefangene, universalhistorische Auffassung vom Wesen der Religion. Auch für die Urgeschichte der Menschheit bildet die orientalische Litteratur die Hauptquelle, und die Leistungen der Völker des Ostens auf dem Gebiet der Philosophie, des Rechts, der Grammatik, der Dichtkunst sind nicht minder vom höchsten geschichtlichen Interesse. Die Methode, nach welcher das Studium der orientalischen Litteratur betrieben wird, ist die nämliche wie bei den ältern Zweigen der Philologie; namentlich wird die Aufgabe, kritisch sichere Texte der wichtigern Originalwerke herzustellen, mit derselben Genauigkeit gelöst wie bei den römischen und griechischen Autoren und durch Übersetzungen in europäische Sprachen (besonders ins Deutsche) ihr Verständnis den weitesten Kreisen erschlossen sowie durch gründliche grammatische und lexikalische Bearbeitung der Sprachen der Zugang zu den Quellen erleichtert. Weniger entwickelt ist bis jetzt die orientalische Altertumskunde. Vgl. Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland (Münch. 1869); E. Kuhn und A. Socin, Wissenschaftlicher Jahresbericht über die morgenländischen Studien vom Oktober 1876 bis Dezember 1877 (Leipz. 1879). Eine Sammlung von englischen Übersetzungen der wichtigsten Religionsbücher des Orients enthält das von Max Müller herausgegebene große Sammelwerk "Sacred books of the East" (Oxf. 1879 ff., 48 Bde.).

Orientalisches Kaisertum, s. Oströmisches Reich.

Orientalisten (neulat.), Gelehrte, welche irgend einen Zweig der orientalischen Philologie (s. d.) zu ihrem besondern Studium gemacht haben.

Oriénte ("Osten"), Provinz des südamerikan. Staats Ecuador (s. Karte "Peru etc."), das Hügelland am Ostfuß der Kordilleren und das ausgedehnte Tiefland im Becken des Amazonenflusses, hat