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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1805-1809).

Viele Mitglieder des österreichischen Adels, auch des Kaiserhauses selbst, wie die Erzherzöge Karl und Johann, namentlich aber die zahlreichen "Reichsländer", die in österreichischen Diensten standen, hielten den Kampf gegen den corsischen Eroberer für eine zugleich sittliche wie patriotische Pflicht und drängten zu Reformen in dem Heerwesen und zu Rüstungen, damit Österreich in den Stand gesetzt werde, an der Spitze Deutschlands die verhaßte Fremdherrschaft abzuschütteln und das Deutsche Reich in seiner frühern Macht wieder aufzurichten. Wirklich trat Franz II. 1805 der dritten Koalition gegen Frankreich bei, aber von schwungvollen Gedanken und kräftigen Entschließungen war bei der Vorbereitung des Kriegs ebensowenig zu spüren wie von energischem, planvollem Handeln bei der Kriegführung selbst. Das größte Heer erhielt Erzherzog Karl in Italien, bekam aber nicht die Erlaubnis zu kräftiger Offensive. Den Hauptschlag wollte Mack als Oberbefehlshaber in Deutschland führen, hatte aber nicht die dazu erforderlichen Streitkräfte und wartete die russischen Truppen nicht ab. Statt Bayern zu besetzen, Württemberg und Baden in seine Botmäßigkeit zu bringen und den Franzosen am Rhein die Stirn zu bieten, war Mack in Ulm von dem Feind schon umstellt, als er denselben noch fern wähnte, und mußte 17. Okt. 1805 mit dem Rest seines Heers, 23,000 Mann, kapitulieren. Die bereits bis zum Inn vorgerückten Russen wichen nun nach Mähren zurück, und Napoleon konnte im November in Wien einziehen. Dennoch war seine Lage gefährdet, da Preußen die Räumung Deutschlands von ihm forderte, widrigenfalls es der Koalition beitreten werde, und die Erzherzöge Karl und Johann mit 90,000 Mann von Süden her heranzogen. Aber statt unter diesen Umständen eine Schlacht zu vermeiden, ließen sich die Russen unter Kutusow zur Schlacht bei Austerlitz (2. Dez. 1805) verlocken, in welcher die Verbündeten vollständig geschlagen wurden. Da die Reste der russischen Armee nach Rußland zurückgingen, blieb Österreich nur die unbedingte Unterwerfung unter den Willen des Siegers als Ausweg übrig. Der Friede von Preßburg (26. Dez. 1805) legte Österreich schwere Opfer auf: es mußte Venetien an Italien, Tirol und Vorarlberg an Bayern, im ganzen 66,000 qkm mit fast 3 Mill. Einw. abtreten und erhielt nur Salzburg. Noch erheblicher war die Einbuße an politischer Macht, indem Österreich von Italien und Deutschland abgeschnitten wurde, und diese Länder, die es als seinen Machtbereich anzusehen gewohnt gewesen, der Herrschaft Napoleons überlassen mußte. Daher verzichtete Franz II. nach der Stiftung des Rheinbundes (12. Juli 1806) auf den Titel eines römisch-deutschen Kaisers (6. Aug.) und führte fortan nur als Franz I. den eines Erbkaisers von Österreich.

Die Bedingungen des Preßburger Friedens waren viel zu hart und demütigend, als daß sie auf die Dauer hätten ertragen werden können. Auch der Kaiser war zur baldigen Wiederaufnahme des Kampfes und zu einer Änderung der bisherigen Politik entschlossen. Cobenzl wurde entlassen und Graf Philipp Stadion an die Spitze der Regierung gestellt. Derselbe, von Gesinnung und Bildung ein aufgeklärter, patriotischer Deutscher, beschloß in der Erkenntnis, daß nur durch Mitwirkung des gesamten Volkes ein glücklicher Krieg zu führen sei, durch Reformen die geistigen und sittlichen Kräfte des Volkes zu entfesseln, den Unterricht zu heben, die Presse zu befreien, dem Bürger- und Bauernstand freiere Bewegung und Erleichterung zu gewähren und hierdurch auf die Vaterlandsliebe einzuwirken. Die Reform des Heers wurde dem Erzherzog Karl übertragen und 12. Mai 1808 durch ein kaiserliche Patent die Errichtung der Landwehr, die Einreihung aller waffenfähigen Mannschaften in die Armee befohlen. Die Reformen konnten nun freilich nicht in dem gewünschten Umfang durchgeführt werden, da Ungarn seine Sonderstellung hartnäckig festhielt, die Verwaltungsmaschine zu schwerfällig und ungenügend war und entgegengesetzte Einflüsse beim Kaiser vorübergehend den Sieg davontrugen. So unterwarf sich Österreich 1808 der Kontinentalsperre, wodurch der Hafen von Triest verödete und eine Handelskrisis ausbrach, die den schon ohnehin tief gesunkenen Kredit heftig erschütterte. Man verzögerte die Kriegserklärung bis zum Frühjahr 1809, obwohl die Erhebung der Spanier im Sommer 1808 und die Aufforderung Napoleons an den Wiener Hof (30. Juli 1808), die Rüstungen einzustellen, Österreich zu größerer Eile hätten antreiben sollen. Dennoch versprach der Krieg diesmal siegreich zu enden. Eine herrliche Begeisterung erfüllte Wien und die deutschen Provinzen. Freiwillige aller Stände strömten zu den Fahnen, und mit Vertrauen blickte man auf die Männer, die an der Spitze standen, die Erzherzöge Karl und Johann und die Mitglieder der höchsten Aristokratie. Auch die patriotischen Kreise Deutschlands richteten auf Österreich hoffnungsvoll ihre Blicke, von dem allein noch Rettung vom fremden Joch kommen konnte. Die Freiheit Europas, die Erlösung der deutschen Brüder war nach dem Kriegsmanifest vom 15. April 1809 das Ziel des Kampfes.

Wiederum wurde die Langsamkeit der österreichischen Kriegführung verhängnisvoll. Erzherzog Karl hatte mit der Hauptarmee erst Niederbayern erreicht und seine Armeekorps zwischen Regensburg und München verteilt, als der mit ungeahnter Schnelligkeit herbeieilende Kaiser Napoleon ihn angriff, und in fünftägigen Gefechten (19.-23. April) die Österreicher zersprengte. Durch Böhmen zog sich Erzherzog Karl nach Niederösterreich zurück, während die Franzosen 13. Mai Wien zum zweitenmal besetzten. Noch war nichts verloren. Erzherzog Johann hatte in Italien über den Vizekönig Eugen 16. April bei Sacile gesiegt, Tirol hatte sich erhoben, und in der Schlacht bei Aspern (21. und 22. Mai) wurde nach blutigem Ringen Napoleons Angriff unter furchtbaren Verlusten zurückgeschlagen. Aber die unbegreifliche Unthätigkeit des Erzherzogs, der, statt seinen Sieg zu benutzen, dem Gegner 6 Wochen Zeit ließ, sein Heer zu verstärken und sich auf einen neuen Kampf vorzubereiten, entschied den Ausgang des Kriegs. In der Schlacht bei Wagram wurden die Österreicher besiegt und schlossen 12. Juli den Waffenstillstand von Znaim, dem am 14. Okt. der Friede von Wien folgte. Österreich verlor über 100,000 qkm mit mehr als 3 Mill. Einw.; es trat Salzburg, Krain, den Villacher Kreis, Görz, Triest, einen Teil von Kroatien und das ungarische Dalmatien, endlich Westgalizien und einen Teil von Ostgalizien ab und mußte außerdem eine Kriegskontribution von 85 Mill. Gulden zahlen; seine jährlichen Einkünfte wurden um 11 Mill. gekürzt, sein Handel teils durch die von neuem übernommene Kontinentalsperre, teils dadurch gelähmt, daß es nun ganz vom Meer abgeschnitten war; die Industrie erlitt harte Verluste durch die Überlassung der Hälfte der Salzbergwerke von Wieliczka an Rußland, der Quecksilberbergwerke von Idria und der großen Eisen- und Stahlhämmer im Villacher Kreis an Frankreich. Eine Schmach für Österreich war es auch,