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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1860-1864).

gewählt werden sollten. Die Ministerien des Innern, der Justiz und des Kultus wurden aufgehoben, die ungarische und siebenbürgische Hofkanzlei wiederhergestellt und die oberste Leitung der administrativ-politischen Angelegenheiten einem Staatsminister, wozu Goluchowski ernannt wurde, übertragen. Ungarischer Hofkanzler wurde Baron Vay, ein Protestant.

Indes die neue Verfassung hatte keinen langen Bestand. Die liberale Bevölkerung sah in ihr nur eine Befestigung des Feudalwesens und des Föderalismus, namentlich als Goluchowski bei der Zusammensetzung der Landtage der Alpenländer dem Adel und Klerus einen unverhältnismäßigen Anteil an der Vertretung einräumte. Die Ungarn wurden nicht versöhnt, sondern beharrten bei ihrer Forderung der Gesetze von 1848, die vielfach ohne weiteres in Wirksamkeit gesetzt wurden. Die allgemeine Unzufriedenheit bewog endlich den Kaiser, 13. Dez. 1860 den als liberal und deutsch gesinnt bekannten Schmerling an die Spitze eines neuen Ministeriums zu berufen, welchem als bedeutendste Mitglieder Lasser für das Innere und Plener für die Finanzen angehörten. Das Programm Schmerlings verkündete 23. Dez., daß die Landtage nicht eine Vertretung der Stände, sondern der Interessen, besonders des Grundbesitzes bilden, ihnen und dem Reichsrat die Initiative und Öffentlichkeit eingeräumt, die Mitglieder des Reichsrats vermehrt und direkt durch die Landtage gewählt werden sollten. Das Programm erhielt seine Ausführung durch die Verkündigung einer Verfassung (Februarverfassung) für den Gesamtstaat und von Landesstatuten für jedes einzelne Kronland der Monarchie, jedoch mit Ausschluß der Länder der ungarischen Krone und Venetiens (26. Febr. 1861); die Vertretung des Gesamtstaats wurde einem aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden, jährlich zusammenzuberufenden Reichsrat übertragen; das Herrenhaus bestand aus erblichen und lebenslänglichen, vom Kaiser ernannten, das Abgeordnetenhaus aus 343 aus direkten Wahlen der Landtage hervorgehenden Mitgliedern. An demselben Tag (26. Febr.) erfolgte die Auflösung des verstärkten Reichsrats und die Einsetzung eines Staatsrats. Österreich trat hiermit in die Reihe der konstitutionellen Staaten ein.

Die Durchführung der neuen Verfassung stieß auf vielen Seiten auf hartnäckigen Widerstand. Die Anhänger des Absolutismus im Heer und in der Büreaukratie, die Verfechter der feudalen und klerikalen Anschauungen weissagten den Untergang des alten Österreich, und der Tiroler Landtag protestierte entschieden gegen die liberalen Grundsätze der Verfassung, besonders gegen die Gleichberechtigung der Protestanten. In Böhmen, Galizien und andern Ländern erhoben sich die nichtdeutschen Elemente und bewirkten, daß die Wahlen zum Reichsrat nur unvollständig und unter Verwahrungen vorgenommen wurden. In Ungarn äußerte sich die Abneigung gegen jede Gesamtstaatsverfassung trotz der Mahnungen einiger gemäßigter Magnaten in so heftiger Weise, daß man der Regierung auch die Steuern und die Aushebung zum Militär verweigerte. Im Landtag siegte zwar die gemäßigtere "Adreßpartei" unter Deák über die radikalere "Beschlußpartei" unter Tisza, forderte aber auch die Wiederherstellung der Gesetze von 1848 und nahm keine Wahlen zum Reichsrat vor. In Venetien wurde überhaupt die Einführung der Verfassung einem geeignetern Zeitpunkt vorbehalten. Als der neue Reichsrat 1. Mai 1861 eröffnet wurde, waren Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien, Istrien und Venetien nicht in demselben vertreten. Dennoch enthielt die Thronrede des Kaisers die feierliche Versicherung, "daß er als seine im Angesicht aller seiner Völker übernommene und bekräftigte Regentenpflicht erkenne, die Gesamtverfassung als das unantastbare Fundament seines einigen und unteilbaren Kaiserreichs mit seiner kaiserlichen Macht zu stützen", und verkündete den festen Entschluß, jede Verletzung der Gesamtverfassung als einen Angriff auf den Bestand der Monarchie und auf die Rechte aller seiner Völker und Länder nachdrücklich zurückzuweisen. Doch wurde den thatsächlichen Verhältnissen insofern Rechnung getragen, als man den versammelten Reichsrat als bloße Vertretung der deutsch-slawischen Länder den engern nannte, der weitere das durch den Beitritt der ungarischen Vertreter vervollständigte Reichsparlament sein solle. Aber auch im engern Reichsrat war die Stimmung der Tschechen und Polen eine oppositionelle, so daß das ganze Verfassungswerk auf den Deutschen beruhte. Dennoch ward der Zusammentritt des Reichsrats mit Freude begrüßt, und sein Zusammenwirken mit der Regierung hatte auch die Wirkung, daß Ersparungen im Budget vorgenommen wurden, die Finanzlage sich besserte, die Valuta sich hob. Ein erheblicher Erfolg der Regierung war, daß 1863 der siebenbürgische Landtag die Februarverfassung annahm und die Wahlen zum Reichsrat vollzog.

Die deutsche Frage und der Ausgleich mit Ungarn.

In Deutschland hatte die Verleihung einer konstitutionellen Verfassung Österreich von neuem Sympathien erweckt, um so mehr als gleichzeitig in Preußen der Verfassungskonflikt ausbrach. Diese Sympathien waren um so wertvoller, als sie das Übergewicht der Deutschen in Österreich verstärken mußten, und Schmerling hielt es für möglich, sie für eine Bundesreform in großdeutschem Sinn auszubeuten, die Österreich die Hegemonie in Deutschland, Deutsch-Österreich aber die Herrschaft im Gesamtstaat verschafft hätte. Zu diesem Zweck lud Kaiser Franz Joseph 1863 die deutschen Fürsten und Freien Städte zu dem Fürstentag in Frankfurt (August) ein. Die Eingeladenen erschienen auch alle außer dem König von Preußen, der auf Rat Bismarcks seine Beteiligung standhaft ablehnte und damit den ganzen Bundesreformplan vereitelte. Trotzdem vereinigte sich Österreich 1864 in der schleswig-holsteinischen Frage mit Preußen zum gemeinsamen Vorgehen gegen Dänemark und nach Ablehnung der Vorschläge der deutschen Großmächte zum Krieg, in welchem die österreichischen Truppen unter Gablenz sich durch ihre stürmische Tapferkeit auszeichneten. Die Eroberung Schleswig-Holsteins, welches Dänemark im Wiener Frieden an Preußen und Österreich abtrat, war für letzteres ohne Wert, wenn es nicht ein dauerndes enges Bündnis mit Preußen einzugehen entschlossen war, und die schleswig-holsteinische Politik Rechbergs daher ein Fehler, da die Nichtanerkennung des augustenburgischen Erbrechts Österreich die Sympathien des deutschen Volkes und das Vertrauen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten raubte. Graf Rechberg erhielt deshalb im Oktober 1864 seine Entlassung und wurde durch den Grafen Mensdorff-Pouilly ersetzt.

Auch im Innern vollzog sich bald ein Umschwung. Das Scheitern der deutschen Bundesreformpläne untergrub auch Schmerlings Ansehen bei Hofe; noch mehr that dies die Haltung des Reichsrats. Noch in der Session von 1863 bis 1864 hatte derselbe die Geldforderungen der Regierung fast unverkürzt bewilligt, darunter auch zwei Anleihen im Belauf von 109 Mill. Gulden. Aber man hatte hierbei einen Blick in die völlige Zerrüttung der Finanzen gethan und die drin-^[folgende Seite]