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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ostindien

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Ostindien (Heerwesen, Vasallenstaaten; Geschichte).

Münz- und Postwesen, Militärwesen, Strafrecht, auswärtige Angelegenheiten; doch kann der Minister für Indien in London diese Beschlüsse aufheben. Die englische Verwaltung hat sich den althergebrachten Zuständen zumeist anzupassen gewußt, namentlich hat sie bei der Erhebung der Grundsteuer sowohl das altindische als das mohammedanische Verfahren, wie sie es fand, angenommen. Mit den größern Aufwendungen für öffentliche Bauten, zur Milderung der Hungersnot u. a. haben sich auch die Lasten der Bevölkerung gesteigert; 1857 betrugen die Einnahmen 31,7 Mill., dagegen 1886: 74,5 Mill. Pfd. Sterl.; davon kamen auf Grundsteuer 22,6, Opium 8,9, Salz 6,3, Stempel 3,7 und Accise 4,1 Mill. Pfd. Sterl. Die Ausgaben betrugen dagegen 77,3 Mill. Pfd. Sterl., wovon 18,4 Mill. Pfd. Sterl. in England. Die Hauptposten waren Heer 20,1, Zivildepartement 12,2, Zinsen der Schuld 4,3, Eisenbahnen 14,4 Mill. Pfd. Sterl. Die öffentliche Schuld ist in den letzten 30 Jahren erstaunlich gestiegen infolge der Bewältigung des Aufstandes, der Anlage von Bewässerungswerken und Eisenbahnen, Bewältigung der Hungersnot, des afghanischen Kriegs u. a. Am 1. April 1886 betrug dieselbe 174,524,101 Pfd. Sterl., davon konsolidierte Schuld 166,510,603 Pfd. Sterl. und zwar in Indien zahlbar 92,703,982, in England 73,806,621 Pfd. Sterl., nicht konsolidierte Schuld 8,013,498 Pfd. Sterl.

Das Heer besteht zu einem Drittel aus Briten, zu zwei Dritteln aus Indern und wird eingeteilt in drei Korps nach der alten Einteilung Indiens in drei Präsidentschaften. Die drei Korps sind durch kein Band der Nationalität und der Sprache miteinander verbunden, und die Kasten sind so gruppiert, daß sie bei einem Ausbruch von Unruhen sich gegenseitig unschädlich machen. Den Soldaten ist gestattet, sich zu verheiraten, die Garnisonen bilden daher ausgedehnte Ortschaften (cantonments) aus Hütten, in denen eine jede Familie für sich lebt. Die Gesamtstärke der Armee war 1886: 188,786 Mann, wovon 62,829 Europäer und 125,957 Inder. Artillerie und Geniekorps sind gegenwärtig fast ganz von Europäern besetzt. Hierzu kommen dann noch die Truppen, welche die größern indischen Fürsten vertragsmäßig verpflichtet sind, im Kriegsfall zu stellen, diese zählen 314,625 Mann; andre Fürsten haben Subsidien zur Erhaltung der britischen Armee zu zahlen. Einige Fürsten halten auch noch besondere Korps, die meisten derselben sind aber sehr unvollkommen ausgerüstet.

Die indischen Vasallenstaaten, deren Areal und Bevölkerung, wie oben ausgeführt, sich auf 1,526,548 qkm (27,724 QM.) mit 56,997,784 Einw. beläuft, sind in Besitz und Rechten durch Patente (Sannads, ausgefertigt 11. März 1862) geschützt. Man zählt 153 Fürsten, von denen 28 Hindu sind. Die Erziehung der minderjährigen Fürsten geschieht jetzt in zu diesem Zweck gegründeten höhern Schulen. Die Machtbefugnisse dieser Herrscher sind sehr verschieden; der Nizam von Haidarabad kann die Todesstrafe über seine Unterthanen verhängen, darf Geld schlagen und Steuern erheben, wogegen den kleinen Häuptlingen von Kathiawar nur ein Schatten richterliche Autorität belassen ist. Die englische Regierung hat die Rangordnung und die Zahl der jedem Herrscher gebührenden Salutschüsse bestimmt, auch den Orden des Sterns von Indien für sie geschaffen, läßt den Fürsten in der Verwaltung ihren Unterthanen gegenüber auch ziemlich freie Hand, überwacht dieselben aber durch die für jeden Hof bestellten politischen Agenten. Die Staatseinkünfte, die man für alle Vasallenstaaten auf 12 Mill. Pfd. Sterl. veranschlagt, sind Privateinkommen der betreffenden Fürsten, und ihre Verwendung gibt zu den gröbsten Mißbräuchen Anlaß.

Vgl. Mac Farlane, Our Indian empire (Lond. 1844, 2 Bde.); Kutzner, Reise des Prinzen Waldemar von Preußen nach Indien (Berl. 1857); Monier Williams, Modern India and the Indians (Lond. 1878); Temple, India in 1880 (das. 1880); Schlagintweit, Indien in Wort und Bild (Leipz. 1881, 2 Bde.); Reclus, L'Inde et l'Indochine (Bd. 8 der "Nouvelle géographie universelle", Par. 1883); Smith, Geography of British India (Lond. 1883); Balfour, Cyclopaedia of India (3. Aufl., das. 1885, 3 Bde.); Mantegazza, Indien (deutsch, Jena 1885); Hunter, Imperial Gazetteer of India (2. Aufl., Lond. 1885-87, 14 Bde.); Derselbe, The Indian empire, its history, people and products (2. Aufl., das. 1886); Werner, Das Kaiserreiche (Jena 1884); Dowson, Classical dictionary of Hindu mythology and religion, geography, history etc. (Lond. 1879).

Geschichte.

Vorderindien ward in ältester Zeit von wilden Volksstämmen schwarzer Farbe (Dasyu) bewohnt. Im 3. Jahrtausend v. Chr. wanderte ein Zweig des großen Völkerstammes der Indogermanen oder Arya von Nordwesten her in das Indusgebiet ein und nahm von diesem Strom den Namen Inder (Hindu) an. Über 1000 Jahre führten die arischen Inder im Lande der fünf Ströme in viele Stämme geteilt unter Häuptlingen und Königen ein seßhaftes Hirten- und Landleben, verehrten den Donner- und Regengott Indra und die übrigen Naturmächte mit Liedern und Opfern und breiteten ihre Herrschaft bis zur Mündung des Indus aus; die Ureinwohner des Landes wurden gänzlich von ihnen verdrängt. Von einer Verbindung mit Vorderasien gibt die Erzählung des Ktesias von dem Zug der Semiramis nach Indien Kunde, die wohl auf eine geschichtliche Thatsache zurückgehen mag, wie denn auch Handelsbeziehungen mit den Babyloniern und Phönikern bestanden haben mögen. Im 14. Jahrh. v. Chr. drangen die Inder nach Osten vor und eroberten in jahrhundertelangen Kämpfen, ihrer Heldenzeit, welche in den Nationalepen, Râmâyana und Mahâbhârata, verherrlicht wird, das Gangesland, das sie dann mit noch größerer Anstrengung gegen spätere Einwanderer verteidigen mußten. In diesen Kämpfen erschöpfte sich der kriegerische Geist des Volkes, wozu auch das erschlaffende Klima und die große Fruchtbarkeit Bengalens beitrugen, und so gewann der Priesterstand, die Brahmanen, die Herrschaft und gewöhnte das Volk durch Umbildung der Götterlehre und durch religiöse Gesetze an ein beschauliches Leben und bloß friedlichen Erwerb. Indra wurde zurückgedrängt, Brahma, die Weltseele, höchste Gottheit; die strenge Kastenordnung lähmte jede freie Kraftentfaltung des Volkes; die zahllosen kleinlichen Zeremonien und Ritualvorschriften, die Lehre von den Wiedergeburten und Höllenstrafen, die finstere Asketik ertöteten allen Lebensmut. Auch das Staats- und Rechtswesen brachten die Priester durch das angeblich von Mana herrührende Gesetzbuch unter ihre Herrschaft und unterwarfen das Volk einem königlichen Despotismus, der jede politische Selbständigkeit unterdrückte. Dagegen förderten sie nicht die Bildung eines oder mehrerer größerer Staaten. O. zerfiel vielmehr in eine Menge kleiner oder größerer Reiche ohne allen Zusammenhang miteinander, welche nicht die Kraft besaßen, die Eroberung Dekhans zu vollenden und fremden Eroberern erfolgreichen Widerstand entgegenzusetzen. Die Inder, abgestoßen