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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Ostpreußen

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Ostpreußen (Bildungsanstalten etc.; Geschichte von Altpreußen).

sind diese Kulturzweige aber auf dem Landrücken und in der südlichen Grenzregion der Provinz. Flachsbau ist vorzüglich im Ermeland von Bedeutung. Vorzügliche Wiesen gibt es am Pregel bei Königsberg; umfangreich, obschon weniger gut, sind sie auch in mehreren Kreisen des Regierungsbezirk Gumbinnen, besonders in der Tilsiter Niederung. Die Waldungen sind im südlichen Teil der Provinz bedeutend; daselbst sind auf der Höhe des Landrückens die Osteroder Heide, die Waldungen an der obern Alle, der Forst von Napiwoda, die Romintische Heide und der Forst von Rothebude und in der südlichen Abdachung der Seenplatte die Johannisburger Wildnis mit der Ortelsburger Heide. Kiefer und Rottanne sind hier die vorherrschenden Waldbäume. Im nördlichen Teil der Provinz sind die Kapornsche Heide auf Samland und der Baumwald am Kurischen Haff bemerkenswert, wo in den sumpfigen Strichen die Erle dominiert. Die Buche erreicht in der Provinz mit der Linie von Tenkitten über Rastenburg bis zum Spirdingsee ihre Polargrenze. Die Waldungen sind überwiegend (56 Proz.) Staats- oder Krongut. Nach der Viehzählung von 1883 hatte die Provinz 383,555 Pferde, 824,944 Stück Rindvieh, 1,413,820 Schafe, 610,952 Schweine und 14,022 Ziegen. In keinem Teil des Deutschen Reichs erfreut sich die Pferdezucht einer solchen Sorgfalt wie in O.; sie blüht namentlich in den Kreisen zwischen dem Pregel und der Seenplatte und wird unterstützt durch das Hauptgestüt zu Trakehnen sowie die litauischen Landgestüte zu Trakehnen, Insterburg und Gudwallen. Auch die Rindviehzucht erfreut sich einer steigenden Bedeutung. Die Schafzucht ist am erheblichsten in den Kreisen der Mitte. Von wilden Tieren sind besonders hervorzuheben: der Edelhirsch, der hier fast seine Ostgrenze erreicht, und das Elentier, das noch in der Stärke von etwa 100 Stück im Ibenhorster Forst am Kurischen Haff gehegt wird; außerdem Rehe, Hasen und Füchse. Auch der Luchs, der Wolf und der Dachs finden sich noch in den größern Waldungen. Von großer Wichtigkeit ist die Zucht des Geflügels. Fischerei wird besonders auf Störe (Kaviar von Pillau), Lachse und Neunaugen emsig betrieben. Aus dem Mineralreich sind der Bernstein, ein echt ostpreußisches Produkt, das durch Graben und Schöpfen vorzüglich im Samland und im Kurischen Haff bei Memel gewonnen wird, und der Torf in erster Linie zu nennen; ferner gibt es vorzügliche Thone, Kalk, etwas Raseneisenerz und einige nicht gerade bedeutende Braunkohlenlager. Salz und eigentliche Mineralquellen fehlen. Die Industrie ist nur in einigen Orten (Königsberg, Memel, Tilsit, Insterburg) von Bedeutung, wo neben Schiffahrt und Schiffbau auch nicht unbedeutende Eisenwerke bestehen. Ferner gibt es in der Provinz zahlreiche Sägemühlen (bei Memel), mehrere große Papierfabriken, Glashütten, Bierbrauereien, Branntweinbrennereien etc. Auf dem Land wird die Leinweberei stark betrieben. Die Reederei der Provinz zählte zu Anfang 1885: 86 Seeschiffe und verteilte sich hauptsächlich auf die Seeplätze Memel und Königsberg (Hafen Pillau). Einer höhern industriellen und kommerziellen Entwickelung steht besonders die russische Grenzsperre entgegen. Den Binnenverkehr unterstützen die schiffbaren Gewässer, die Chausseen und Eisenbahnen (1265 km, meist Staatsbahnen). Letztere haben sich erst in neuester Zeit zu einem Netz entwickelt, das einigermaßen dem Bedürfnis der Provinz Rechnung trägt.

Für die geistige Bildung sorgen: eine Universität (Königsberg), 18 Gymnasien (darunter 2 Progymnasien), 5 Realgymnasien, 2 Realprogymnasien und eine höhere Bürgerschule, 8 Schullehrerseminare, 4 Taubstummenanstalten, eine Blindenanstalt etc. Die Provinz, deren Hauptstadt Königsberg ist, wird in zwei Regierungsbezirke geteilt: Königsberg mit 20 und Gumbinnen mit 16 Kreisen. Für die Justiz bestehen ein Oberlandesgericht zu Königsberg, 8 Landgerichte zu Allenstein, Bartenstein, Braunsberg, Insterburg, Königsberg, Lyck; Tilsit und Memel und 70 Amtsgerichte. Militärisch gehört die Provinz zum Bezirk des 1. Armeekorps. In den deutschen Reichstag entsendet O. 17, in das preußische Abgeordnetenhaus 32 Mitglieder. Von ältern Benennungen sind noch im Gebrauch: Litauen, der Regierungsbezirk Gumbinnen bis Goldap; Masuren, der südliche Teil dieses Regierungsbezirks Samland, die Jusel zwischen Deime, Pregel, Ostsee und den beiden Haffen; Ermeland, die Kreise Braunsberg, Heilsberg, Rößel und Allenstein vom Regierungsbezirk Königsberg. Altpreußen umfaßt das ehemalige Herzogtum Preußen, also O. ohne das Ermeland, und von Westpreußen die Kreise Rosenberg und Marienwerder, soweit dieser östlich von der Weichsel liegt. Vgl. Wiedemann, Die kommunale Verfassung und Verwaltung der Provinz O. (Königsb. 1880); Lemke, Volkstümliches in O. (Mohrungen 1884-86, 2 Bde.); Horn, Kulturbilder aus Altpreußen (Leipz. 1886).

Geschichte des Landes Preußen im allgemeinen und der Provinz Ostpreußen insbesondere.

Der an der Ostseeküste gefundene Bernstein machte Preußen frühzeitig zu einem des Handels wegen besuchten Lande. Der griechische Seefahrer Pytheas (um 320 v. Chr.) nennt die Guttonen (Gutten oder Gudden, ein Volk litauischen Stammes) als Einwohner. Tacitus nennt die Bewohner Ästier, d. h. Ostleute. Diese schickten um 500 n. Chr. eine Gesandtschaft mit Bernsteingeschenken an den Ostgotenkönig Theoderich d. Gr. nach Italien. Späterhin verschwand der gemeinsame Name Ästier oder Esthen und ging auf ein weiter ostwärts gelegenes Volk, die finnischen Bewohner Esthlands, über. Für die Stämme der alten Gutten oder Ästier kamen besondere Namen auf, wie Kuren, Semben und Pruzzen (die Klugen, die Wissenden), letzterer für die Bewohner Samlands und der Küste des Kurischen Haffs bis tief in das Binnenland hinein. Das Gebiet der Pruzzen zerfiel in elf Gaue: Kulm und Pomesanien an der Weichsel, Pogesanien, Warmien (Ermeland) und Natangen am Frischen Haff, Samland, Nadrauen und Schalauen am Kurischen Haff, Barten, Sudauen und Galinden im Binnenland. Die Pruzzen (Preußen) waren große, kräftige Menschen mit blonden oder hellbraunen Haaren und blauen Augen. Sie lebten in Dörfern und Höfen von Ackerbau und Viehzucht; an den Küsten trieben sie auch Handel und Schiffahrt. Ihre Genüsse waren Jagd, Krieg und Trinkgelage. Doch waren sie sittenrein und schlicht und einfach in ihrer Lebensweise. Ihre vor 200 Jahren ausgestorbene Sprache war eine Mundart des Litauischen. Als Gottheiten verehrten sie die Mächte der Natur; der Priesterstand war angesehen und mächtig. Sie waren tapfere wohlgeübte Krieger, grausam gegen ihre Feinde, aber gastfreundlich gegen fremde Besucher.

Der Bischof Adalbert von Prag versuchte zuerst das Christentum den heidnischen Bewohnern des Landes zu verkündigen, drang auch tief landeinwärts, bezahlte aber (23. April 997) seinen Eifer mit dem Leben. Herzog Boleslaw Chrobry von Polen machte seit 1015 die Preußen tributpflichtig, zerstörte den Hauptgöttersitz zu Romowe und nahm ihnen das Ver-^[folgende Seite]