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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Paris

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Paris (Industrie).

des letzten Menschenalters eines gewaltsamen Todes gestorben, obwohl die Masse der Bevölkerung, namentlich die Frauen, der Priesterschaft ergeben und nur ein Bruchteil, der dann aber von um so intensiverm Haß beherrscht wird, derselben feindlich ist.

Man kann darüber rechten, ob P. den stolzen Beinamen der Hauptstadt der Welt verdient, den es sich selbst so gern beilegt, und welchen ihm seine Schmeichler, mit Victor Hugo an der Spitze, bei jeder Gelegenheit und nicht ohne die lächerlichsten Variationen (P.-Lumière, P.-Monde etc.) als schwache Huldigung darzubringen pflegten. Nach der Einwohnerzahl und als Weltemporium steht ihm London weit voran; an historischer und kulturgeschichtlicher Bedeutsamkeit kann es sich nicht mit Rom, an natürlicher Schönheit nicht mit Neapel, Lissabon oder Stockholm messen; in bunter Völker- und Rassenmischung wird es von Konstantinopel, Wien und New York übertroffen. Gleichwohl übt P. noch heute auf die Eingebornen wie auf die Fremden aller Nationen, ohne Unterschied des Ranges und Bildungsgrades, einen Zauber, welchen selbst die schroffsten politischen, religiösen und sozialen Gegensätze nicht brechen, die von andern Hauptstädten im Lauf unsers Jahrhunderts erzielten riesenhaften Fortschritte nicht entkräften konnten. Zu diesem für jedermann unwiderstehlichen Reiz der französischen Metropole wirken verschiedene Faktoren zusammen: P. ist der Sitz einer vielhundertjährigen Zivilisation, der Brennpunkt der Kultur einer hochbegabten, von der Natur reich gesegneten, auf den verschiedensten Gebieten geistiger Thätigkeit hervorragenden, auf dem des Geschmacks und der Mode bis auf den heutigen Tag tonangebenden Nation, deren ganzes öffentliches Leben sich vermöge der straffsten politischen Zentralisation durch tausend Kanäle in dieser einzigen und wahren Hauptstadt zusammendrängt. Sinnliche und geistige Genußsucht, Frivolität und ernstes Streben, das Bedürfnis nach eitler Zerstreuung und das Verlangen, recht unmittelbar am "sausenden Webstuhl der Zeit" zu stehen, der gröbste und der raffinierteste Geschmack finden in P. ihre Rechnung. Keine andre Stadt ist durch langjährige Übung besser darauf eingerichtet, die Fremden aller Nationen zu empfangen und es ihnen bei sich heimisch zu machen, keine Stadt besitzt so viele Theater und Vergnügungslokale, keine Stadt hat aber auch einen solchen Fremdenverkehr aufzuweisen wie P. Endlich ist das Verdienst der Stadtverwaltung um den unvergleichlichen Universalerfolg der Stadt P. nicht zu unterschätzen: von jeher haben sich die Regierungen Frankreichs in dem Bestreben, P. zu verschönern, zu vervollkommnen, mit Sehenswürdigkeiten aller Art zu bereichern, überboten, und wenn dies häufig nur mit Hilfe einer unverhältnismäßigen Belastung der öffentlichen und städtischen Steuerlast geschah, so blieben die Resultate für die Stadt selbst darum nicht minder gewonnen. Von allen großen Städten Europas ist P. die gesündeste; seine Einrichtungen für die öffentliche Verpflegung, für Licht, Wasser, Luft, freie Zirkulation, Reinlichkeit, kurz, für alle materiellen Bedürfnisse eines großen Bevölkerungszentrums sind mustergültig und haben in der denkwürdigen 133tägigen Belagerung, vom 18. Sept. 1870 bis 29. Jan. 1871, die furchtbarste und entscheidendste aller Proben bestanden. Dabei ist die Bevölkerung dichter zusammengedrängt als irgendwo anders: auf das QKilometer entfallen nicht weniger als 30,050 Seelen. Am dichtesten ist die Bevölkerung im Stadtteil Börse, am wenigsten in Popincourt zusammengedrängt. Besonders staunenswert ist die Verproviantierung, welcher die in zwölf Pavillons zerfallenden Zentralhallen nebst zahlreichen auf die einzelnen Stadtviertel verteilten Märkten, die alte, aus dem Jahr 1763 datierende Getreidehalle, der Viehmarkt und die Schlachthäuser von La Villette und das große, an den Jardin des Plantes grenzende Weinentrepot, dessen Keller 1 Mill. hl Wein fassen können, als Mittelpunkte dienen. In umfassender Weise ist auch ganz P. mit einem Kloakennetz versehen, welches mittels eines großen Sammelkanals unterhalb Asnières in die Seine mündet.

Industrie, Handel und Verkehr.

Die Industrie ist in P. in allen ihren Zweigen vertreten. Als Industriezentrum wird es höchstens London nachstehen, denn es zählt nicht weniger als 1,100,000 bei der Industrie beschäftigte Personen. Mit Einschluß des in gewerblicher Beziehung von P. schwer zu trennenden übrigen Departements Seine zählte man 1881 bei der Fabrikindustrie 6654 Unternehmer, 13,539 Beamte, 146,784 Arbeiter und 121,232 Familienmitglieder; dagegen beim Kleingewerbe 70,157 Unternehmer, 52,272 Beamte, 564,042 Arbeiter und 372,596 Familienglieder. Die Pariser Industrie charakterisiert sich hauptsächlich durch kleine Werkstätten, außerdem aber durch weitestgehende Arbeitsteilung. Große Etablissements zählt vor allem die metallurgische Industrie und zwar für Eisenbahnmaterial und Reparaturen, für Bronzen und Lampen, Messing- und Tombakwaren, Maschinen und Apparate, neben welchen sich zahlreiche kleine Unternehmungen für die verschiedensten Werkzeuge, Apparate und mechanischen Vorrichtungen, Maschinen- und Uhrenbestandteile vorfinden. Außerdem bestehen geschlossene Fabriken für chemische Produkte, Seife, Kerzen, Farbewaren, Gas, Zuckerraffinerie, für Schokolade, konservierte Früchte und Gemüse, Likör, in neuerer Zeit auch Bierbrauerei, Zündhölzchen, Porzellan, Fayence und Majolika, Eisenbahnwagen und Kutschen, Leder, Sattler- und Riemerwaren, Kautschuk- und Guttaperchawaren, Typographie, Kunsttischlerei, für Shawls, Teppiche, Tapeten, Hüte, Schuhwaren, Kleider und Wäsche. Kleinere Unternehmungen dagegen stehen hauptsächlich im Dienste der Kunstindustrie; sie liefern Gold- und Silberwaren, echten und falschen Schmuck, Gravüren, Bronzen, Garnituren, typographische und lithographische Arbeiten, Buntpapier, Stickereien, Posamentierwaren u. a. Einen großen Umfang hat ferner (und zwar gleichfalls im kleinern Betrieb) die Präzisionsmechanik, insbesondere die Erzeugung von optischen und chirurgischen Instrumenten und Apparaten, Uhren, Musikinstrumenten, anatomischen Präparaten, Wagen und Jagdwaffen, sowie das vielverzweigte Baugewerbe. In eigentlichen Luxusartikeln endlich liefert P. jährlich für den Weltmarkt außerordentliche Quantitäten von Drechsler- und Kinderspielwaren, Necessaires, Korbwaren, Buchbinder- und Kartonagearbeiten, Objekten in Stahl und Aluminium, Agraffen, künstlichen Blumen, Modewaren, Parfümerien, Schmuckfedern, Fächern, Knöpfen, Handschuhen etc. In vielen Artikeln ist P. nur das geschäftliche Zentrum, von welchem die Aufträge und Muster ausgehen, und wo die Verfeinerung zur vollendeten Handelsware vorgenommen wird. So steht denn auch die Industrie des Departements Seine außerhalb der Bannmeile der Hauptstadt fast ganz im Dienste der Pariser Industrieunternehmungen. Am hervorragendsten sind hier die Fabrikation von chemischen Produkten, Kerzen, Seife, Farbewaren, Firnissen und Lacken, Maschinen und Eisenwaren, Leder und Glas, die Färberei, Druckerei