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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Paris

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Paris (Geschichte bis 1871).

vaignac niedergeworfen wurde. Die Reaktion der Provinz gegen P. erleichterte Napoleon III. die Errichtung des zweiten Kaiserreichs, welches durch großartige Straßendurchbrüche und Anlagen P. gesünder und schöner, zugleich die Revolutionen schwieriger machen wollte. Unter Haußmanns, des Seinepräfekten, energischer, wenngleich verschwenderischer Leitung wurde das Bois de Boulogne zu einem glänzenden Park umgeschaffen, die äußern Boulevards angelegt, die Verbindung des Louvre mit den Tuilerien vollendet. Am 30. März 1856 ward zu P. der Friede zwischen Frankreich, England, Sardinien und der Türkei einer- und Rußland anderseits geschlossen. 1860 wurde das Weichbild bis zur Enceinte erweitert. 1855 fand zu P. die erste, 1867 die zweite, weit großartigere Weltausstellung statt.

Trotzdem zeigte sich die Bevölkerung dem Kaisertum nicht geneigt, und die Wahlen in P. waren stets oppositionell, 1869 sogar radikal. Nach dem Tag von Sedan wurde daher 4. Sept. 1870 das Kaiserreich ohne Widerstand beseitigt und auf dem Stadthaus die Regierung der nationalen Verteidigung eingesetzt, welche ihren Ursprung und die anmaßende Stellung von P. dadurch kennzeichnete, daß sie aus den Deputierten von P. im Gesetzgebenden Körper gebildet war. Am 19. Sept. 1870 zernierten die dritte und vierte deutsche Armee die Stadt (Belagerung von P., s. Deutsch-französischer Krieg, S. 795 ff.), und es begann nun ein gewaltiger Kampf zwischen dem weit ausgedehnten, nur dünnen, aber festen Einschließungsring des Belagerers und den großen Massen der unter General Trochus Oberbefehl stehenden bunt gemischten Truppen des Belagerten. Dieser Kampf ward deutscherseits gewissermaßen passiv, in der Absicht, die Stadt auszuhungern, geführt, während zahlreiche Ausfälle der Franzosen die Durchbrechung der Zernierung zum Zweck hatten. Das große Heer in P., zusammen 580,000 Mann zählend, war in drei Armeen geteilt worden, welche verschiedene Bestimmung hatten. Der Nationalgarde, welche die erste Armee bildete, ward die Verteidigung der Enceinte und die Sicherung der öffentlichen Ruhe übergeben. Eine zweite Armee ward aus den regulären Truppen und Matrosen gebildet, um Ausfälle zu machen, und eine dritte Armee aus Mobilgarden zur Verteidigung der Forts organisiert. Die Verteidigung leitete der Gouverneur General Trochu, der besonders in der Organisation der Truppen, der Beschaffung des Geschützmaterials und der Verstärkung der Befestigungen Großes leistete. Unter den zahlreichen Ausfällen sind bemerkenswert die gegen Villejuif 23. und 30. Sept. gegen das deutsche 6. Korps, 13. Okt. gegen Clamart, während dessen durch die Granaten des Mont Valérien das Schloß von St.-Cloud in Brand gesteckt wurde, 21. Okt. gegen Malmaison, 28. Okt. gegen Le Bourget, das der preußischen Garde entrissen, aber 31. Okt. von dieser wiedererobert wurde. Dieser Verlust, verbunden mit der Nachricht von der vom 27. Okt. erfolgten Kapitulation von Metz und der Ankunft von Thiers mit Waffenstillstandsanträgen, veranlaßte in der Nacht vom 31. Okt. auf den 1. Nov. einen Aufstand der Sozialisten. Unter Führung von Flourens, Félix Pyat, Delescluze u. a. umringten aufrührerische Bataillone der Nationalgarde das Hôtel de Ville, bedrohten die Regierungsmitglieder und wurden nur durch den glücklichen Zufall der Ankunft treu gebliebener Truppen an Errichtung der "Kommune" verhindert; doch wagte man nicht, die Urheber der Revolte zu bestrafen. Am 30. Nov. begann der größte Ausfall. Derselbe richtete sich nach Südosten und hatte den Zweck, einen Durchbruch zu bewirken, um mit der von Süden herandringenden Loirearmee in Verbindung zu treten. Der Kampf dauerte mehrere Tage hindurch (s. Villiers, Schlacht bei), und erst 3. Dez. zog Ducrot seine durch Waffen und strenge Kälte stark gelichteten Heerhaufen wieder in die Stadt zurück.

Durch so anhaltendes schweres Mißgeschick war bei allen einsichtigen Militärs in der Stadt jede Hoffnung auf das endliche Gelingen eines Ausfalls zerstört worden. Aber es gab eine große Partei in der Stadt, welche, ohne jedes Verständnis für militärische Verhältnisse, den Gouverneur zu immer neuen Versuchen drängte. Besonders die Nationalgarde, wohl damit zufrieden, daß sie selbst ruhig außer Schußweite bleiben durfte und dafür jeder 1½ Frank täglich erhielt, verlangte beständig neue Ausfälle der übrigen Truppen. Die höhern und mittlern Schichten der Bevölkerung begannen zwar schon unter dem zunehmenden Mangel an Lebensmittel zu leiden, ertrugen aber diese Entbehrungen mit heroischer Entsagung und traten aus gesteigertem Patriotismus und Nationalstolz dem Drängen auf fortgesetzten Kampf nicht entgegen. So opferte Trochu denn wiederholt Tausende, um den Beweis zu führen, daß es nicht seine Schuld sei, wenn schließlich doch kapituliert werden mußte. Am 21. Dez. geschah ein größerer, doch erfolgloser Ausfall auf der ganzen Nordfronte. Ende Dezember begann nun, nachdem die großen Schwierigkeiten beim Transport der Geschütze und der Munition überwunden worden waren, deutscherseits der Artillerieangriff, zunächst gegen den Mont Avron, vom 5. Jan. 1871 an aus einer Reihe von Batterien auf den Höhen südwestlich von P. gegen die Forts der Südfronte und auf die Stadt selbst. Die Wirkung der deutschen Artillerie sollte der Berechnung nach eine vorwiegend moralische sein und war es auch, wenngleich in nicht erwünschtem Sinn. Während die in der Stadt angerichtete Zerstörung im Verhältnis zur Größe der Stadt nur ganz unbedeutend war und auch das Feuer der am meisten beschädigten Forts, Issy und Vanves, nicht andauernd zum Schweigen gebracht werden konnte, erzeugte die Beschießung in den Gemütern der Pariser mehr Erbitterung als Niedergeschlagenheit. Und unter diesem Eindruck ward 19. Jan. 1871 noch einmal vor dem vollständigen Sieg des Hungers über die große Bevölkerung ein bedeutender Ausfall auf der Westfronte vom Mont Valérien aus versucht, zu dem auch die bis jetzt geschonte Nationalgarde mit verwandt wurde. 100,000 Mann unter Trochu selbst gingen in drei Kolonnen auf Versailles vor; jedoch die Verspätung des rechten Flügels unter General Ducrot brachte den Angriff ins Schwanken, der infolge des tapfern Widerstandes des 5. deutschen Korps mit dem Rückzug der Franzosen nach einem Verlust von etwa 7000 Mann endete. Mit dieser neuen Niederlage erlosch die Hoffnung auch der hartnäckigsten Verteidiger. Nur der Pöbel schrie über Verrat, und eine neue Revolte 22.-23. Jan. bedrohte die Regierung mit völligem Umsturz. Die Not in der Stadt war auf einen hohen Grad gestiegen. Brot und Pferdefleisch, ersteres zu 300, letzteres zu 30 g für die Person berechnet, wurden seit Wochen schon von der Regierung in Rationen ausgegeben, und dazu war das Brot von einer sehr schlechten Beschaffenheit. So entschloß sich die Regierung endlich zur Kapitulation. Am 23. Jan. begannen zwischen Jules Favre und dem Grafen Bismarck zu Versailles Unterhandlun-^[folgende Seite]