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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Pervers - Pesaro.

einen entscheidenden Einfluß auf den Bau üben konnte. Nach der Plünderung Roms (1527) ging er nach Siena, wo er eine Zeitlang als Baumeister der Republik und Architekt des Doms thätig war, und wo ihm verschiedene Kirchen und Paläste zugeschrieben werden. Auch hat er dort ein Fresko (Kaiser Augustus und die Sibylle von Tibur) in der Kirche Fontegiusta und ein Paris-Urteil in der Villa Belarco gemalt. Als Architekt zeichnete er sich durch edle Formen und reizende Perspektivwirkung aus. Sein letztes architektonisches Werk in Rom war der Palazzo Massimi alle Colonne (s. Massimi), welchen er selbst nicht mehr vollenden konnte. Er starb 6. Jan. 1536 und wurde im Panthéon neben Raffael beigesetzt. P. war einer der Großmeister der italienischen Renaissance. - Auch sein Sohn Giovanni Sallustio P. hat sich als Architekt bekannt gemacht.

2) Ubaldino, ital. Staatsmann, aus altem Florentiner Geschlecht, geb. 2. April 1822 zu Florenz, studierte in Siena die Rechte, besuchte die École des mines zu Paris und die Bergakademie zu Freiberg und machte sodann während mehrerer Jahre Reisen. 1848 ernannte ihn das Ministerium Guerrazzi-Montanelli zum Bürgermeister (Gonfaloniere) von Florenz. Als Anhänger der konstitutionellen Partei ward er 1850 von der Regierung abgesetzt, zählte aber seitdem zu den gefeiertsten Führern der liberalen Patrioten. 1859 war er Mitglied der Ende April gebildeten provisorischen Regierung und dann Vizepräsident der Konsulta von Toscana. Als Toscana annektiert worden war, wurde er 1860 Vertreter von Florenz in dem italienischen Parlament. 1861 berief ihn Cavour als Leiter des Departements für öffentliche Arbeiten in das Kabinett, und diesen Ministerposten behielt P. auch unter Ricasoli bis Anfang März 1862. Ende d. J. übernahm er das Ministerium des Innern. Die Septemberkonvention 1864, welche den Sturz des Ministeriums zur Folge hatte, erregte besonders gegen P. Entrüstung in Turin, weil man ihm vor allen die Verlegung des Sitzes der Regierung nach Florenz zuschrieb. Seitdem war er in der Kammer Führer der "Toscaner" oder "Liberisten", deren Abfall von der ministeriellen Majorität 1876 der Consorteria die Herrschaft entriß. Das Amt eines Bürgermeisters von Florenz, zu welchem er wieder gewählt worden war, legte er 1878, als Florenz seine Zahlungen einstellen mußte, nieder.

Pervérs (lat.), verkehrt, verderbten Herzens, stöckisch; Perversion, Verdrehung, Verschlimmerung; Perversität, Verkehrtheit, Verderbtheit.

Pervestigation (lat.), Durchsuchung, Aufspürung.

Pervigilium (lat.), bei den Alten die gottesdienstliche Nachtfeier zu Ehren einiger Gottheiten, namentlich der Bona Dea, an der ursprünglich nur Frauen sich beteiligen durften. In späterer Kaiserzeit, wo auch Männern der Zutritt verstattet war, kam noch eine Nachtfeier der Venus auf. Auf ein solches dreinächtiges Frühlingsfest bezieht sich ein "P. Veneris" betitelter lateinischer Hymnus an die Venus aus dem 2. oder 3. Jahrh. n. Chr. (zuletzt hrsg. von Bücheler, Leipz. 1859, von Riese in "Anthologia latina", das. 1869, und Bährens in "Poetae latini minores", Bd. 4, das. 1882), welchen Bürger in seiner "Nachtfeier der Venus" nachgebildet hat.

Per vota majora (lat.), durch Stimmenmehrheit.

Per vulgata (lat.), nach Anleitung des gemeinen Rechts.

Perzent, s. v. w. Prozent.

Perzeptibilität (lat.), die Fähigkeit, Vorstellungen mit Bewußtsein in sich zu erzeugen.

Perzeption (lat.), Wahrnehmung, die als solche auch unbewußt, im Gegensatz zur Apperzeption (s. d.), welche als Wahrnehmung der Wahrnehmung nur bewußt sein kann. Dann ist P. auch s. v. w. Einnahme, Einerntung. Perzeptionsquantum, eine einzunehmende Summe.

Perzipieren (lat.), einnehmen, einernten, in geistiger Beziehung s. v. w. fassen, begreifen; im juristischen Sinn, die Früchte einer Sache ziehen. Für die juristische Lehre vom Fruchterwerb ist der Unterschied zwischen perzipierten und zu perzipierenden Früchten (fructus percepti und percipiendi) von Bedeutung (s. Früchte).

Pes (lat.), Fuß; P. varus, Klumpfuß; P. valgus, Plattfuß.

Pesa, rechter, fischreicher Nebenfluß des Mesen im russ. Gouvernement Archangel, entsteht aus dem Zusammenfluß der Rotschuja und Samossara, ist 425 km lang, aber nur für kleine Fahrzeuge schiffbar.

Pesach, jüd. Fest, s. Passah.

Pesade (franz.), in der Reitkunst die schulgerechte Bäumung eines Pferdes; das Vorderteil erhebt sich, während die in den Hanken gebogenen Hinterfüße unbeweglich bleiben.

Pesánte (ital.), musikal. Vortragsbezeichnung: schwerfällig, wuchtig, bezieht sich meist nur auf eine kleine Reihe von Tönen.

Pesarese (il P.), Maler, s. Cantarini.

Pesaro, Hauptstadt der italien. Provinz Pesaro-Urbino, an der Mündung der Foglia ins Adriatische Meer und an der Eisenbahn Bologna-Ancona, ist mit Mauern und Bastionen umgeben, welche teilweise in Anlagen umgewandelt sind, hat fünf Thore, einen schönen Hauptplatz, regelmäßige Straßen mit hübschen Palästen und mehrere Kirchen, darunter der alte und der neue Dom, die große Renaissancekirche San Giovanni Battista und die Kirche Sant' Agostino mit schönem gotischen Portal. Unter den übrigen Gebäuden zeichnen sich aus: der Präfekturpalast, einst Palast der Herzöge von Urbino, mit imposanter Fassade, das Stadthaus (mit bedeutender Majolikensammlung), das Seminar, die Paläste Baldassini, Bonamini-Pepoli, Machirelli (mit Bibliothek, archäologischem und naturhistorischem Museum). Über die Foglia führt eine antike Brücke aus der Zeit Trajans. Die Stadt zählt (1881) 12,547 Einw. Die Industrie derselben umfaßt hauptsächlich Seidenfilanden, eine Band- und eine Majolikafabrik, Färberei, Gerberei, Eisengießerei, Schwefelraffinerie etc.; der Handel ist ziemlich lebhaft und vertreibt vorzugsweise Wein, Öl, Feigen, Trüffeln, Seide, Leder, Häute, Seife, Käse, Eisen und Blei. Der durch Erweiterung und Ausmauerung der Fogliamündung hergestellte Hafen ist nur für kleinere Fahrzeuge zugänglich, hat einen schönen Leuchtturm und wird durch ein zur Zeit der Besitznahme von den Franzosen erbautes Fort verteidigt. In demselben sind 1885: 329 Schiffe mit 7672 Ton. eingelaufen. An Unterrichtsanstalten besitzt P. ein technisches Institut, ein Gymnasium, eine technische Schule, eine Lehrerinnenbildungsanstalt, ein Musiklyceum, ein bischöfliches Seminar und eine Ackerbauschule. Außerdem gibt es hier eine öffentliche Bibliothek (mit Handschriften Tassos), ein Museum für Antiquitäten, ein Theater (Teatro Rossini), eine Filiale der Nationalbank, ein Waisen- und ein Findelhaus, eine Irrenanstalt und verschiedene andre (zusammen 28) wohlthätige Anstalten und Stiftungen. An der Meeresküste befindet sich eine Seebadeanstalt. Die Stadt ist Sitz des Präfekten, eines Bischofs, eines