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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Pflanzenbewegungen

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Pflanzenbewegungen.

sie die merkwürdige Fähigkeit, sich vertikal aufwärts zu bewegen und z. B. eine senkrecht gestellte Glasplatte von untenher mit einem zierlichen Netz von Schleimsträngen zu überziehen (negativer Geotropismus).

Auch das im Innern von Zellhäuten eingeschlossene Plasma führt Bewegungen aus, die als Zirkulation, z. B. in jungen, lebhaft wachsenden Haaren vieler Pflanzen (Tradescantia, Kürbis, Althaea rosea u. a.), als Rotation in den Zellen des Charen und einiger andrer Wassergewächse wie in den Wurzelhaaren von Hydrocharis auftreten. Diese Bewegungen sind von der Temperatur abhängig und hören schon bei etwa 45° auf; ebenso wirken elektrische Reizung, Druck u. dgl. Mit der Plasmabewegung im Innern der Zellen hängen endlich auch Ortsveränderungen der Chlorophyllkörper (s. Chlorophyll) zusammen, welche in Beziehung zu der größern oder geringern Intensität des Lichts stehen.

Unter den Reizbewegungen höherer Pflanzen sind seit langer Zeit die sogen. Schlafbewegungen gewisser Laubblätter, wie der Bohne, der Robinie und andrer Leguminosen, der Blätter von Oxalis u. a., bekannt. Bei der Feuerbohne sind die dreizähligen, an der Einlenkungsstelle der Fiedern und des Hauptblattstiels mit einem krümmungsfähigen Gelenkpolster ausgestatteten Blätter am Tag flach ausgebreitet, während sich die Gelenkpolster der Einzelblättchen am Abend nach abwärts krümmen und dadurch die Blattflächen nach unten geschlagen erscheinen (Nachtstellung); gleichzeitig krümmt sich das Gelenk des Hauptblattstiels etwas nach aufwärts. Dieser eigentümlichen, periodischen Bewegung liegt als nächste Ursache eine Änderung in der Gewebespannung an der Ober- und Unterseite des krümmungsfähigen Gelenkpolsters zu Grunde. Diese Spannungsänderung wird dadurch veranlaßt, daß bei eintretender Verdunkelung die konvex werdende Oberseite des Organs wasserreicher wird und dabei die Turgeszenz sowie das Volumen des hier befindlichen Zellparenchyms schneller zunehmen als die der konkav werdenden Unterseite, wodurch das Organ passiv auf die Seite der schwächern Turgeszenz hinübergedrückt wird. Inzwischen tritt langsam dieselbe Veränderung auf der nunmehr konkav gewordenen Seite ein, und das Bewegungsorgan nimmt allmählich wieder die entgegengesetzte Krümmung an. Dasselbe Spiel wiederholt sich mit immer schwächer werdenden Schwingungen, bis es zuletzt völlig aufhört. Diese der ursprünglichen Reizung folgende, in pendelartigen Bewegungen sich zeigende Nachwirkung tritt jedoch nur dann deutlich hervor, wenn die in Tagesstellung befindlichen Blätter einer konstanten tagelangen Beleuchtung ausgesetzt werden; Verdunkelung führt dann sofort Nachtstellung herbei. Das periodische Schlafen und Wachen der Blätter entsteht durch Kombination der täglich wiederkehrenden Lichteinwirkung mit der sich in Pendelschwingungen äußernden Nachwirkung. Verschieden von diesen Schlafbewegungen ist das Öffnen und Schließen von Blüten (Blumenschlaf) insofern, als diese Bewegungen durch ein periodisch verändertes Längenwachstum der Zellen an der Außen- und Innenseite der Blumenblätter veranlaßt werden. Besonders empfindlich für Temperaturschwankungen sind die Blüten des Krokus und der Tulpe, welche, in geschlossenem Zustand bei kühlem Wetter in ein geheiztes Zimmer gebracht, sich schon nach wenigen Minuten öffnen; ähnlich wirkt Beleuchtungswechsel, jedoch wechselt die Art der Empfindlichkeit je nach der Pflanzenspezies, woraus erklärbar erscheint, daß manche Blumen (z. B. die von Oxalis, Nymphaea, Taraxacum) im Freien eine Tagesperiode verschiedener Dauer ungefähr einhalten, während andre (z. B. von Adonis vernalis) durch plötzlichen Witterungswechsel zu beliebiger Tageszeit sich schließen und öffnen.

Noch verwickeltere Erscheinungen als die Schlafbewegungen der Laub- und Blumenblätter bieten die Reizbewegungen der Sinnpflanzen (Mimosa pudica, sensitiva und ähnlicher Arten) dar. Dieselben besitzen doppelt zusammengesetzte Laubblätter, deren Hauptstiel 2-4 sekundäre Stiele mit 15-25 Paaren kleiner Fiederblättchen trägt; an der Einfügungsstelle der Fiedern sowie der Sekundärstiele und des Hauptstiels befinden sich auch hier besondere, krümmungsfähige Gewebepartien. Bei Erschwerung krümmen sich nun die Bewegungsorgane der Hauptblattstiele nach abwärts, die der sekundären Stiele nach vorn, die der Blattfiedern nach vorn und aufwärts, so daß letztere mit ihren Flächen nach oben klappen; eine ähnliche Bewegung erfolgt auch infolge von Verdunkelung; jedoch ist die auf solche Weise herbeigeführte Nachtstellung keineswegs mit der durch Erschütterung hervorgebrachten identisch, da die in Nachtstellung befindlichen Mimosenblätter immer noch für Erschütterung reizbar bleiben und infolge einer solchen schlaff herunterhängen, während mit der Verdunkelung eine gesteigerte Steifung des Hauptbewegungsorgans verbunden ist. Durch vielfache Versuche von Dutrochet, Meyen, Brücke, Sachs und Pfeffer wurde festgestellt, daß in diesem Fall die Bewegung durch Wasseraustritt aus der untern Hälfte des Bewegungsorgans und durch die damit verbundene Volumverminderung der hier befindlichen Zellen bewirkt wird; in letzter Stelle wirkt auch hier das Protoplasma als Auslöser des Bewegungsvorgangs. Auf ähnlichen Vorgängen beruhen mehrere andre Reizbewegungen, wie z. B. die Klappbewegung der Blätter bei der insektenfressenden Dionaea (s. Insektenfressende Pflanzen), die Gleitbewegung am Staubfadencylinder der Kompositen, dessen Filamente bei Berührung mit einer Nadel sich verkürzen, endlich auch das Einwärtsschnellen der Staubgefäße von Berberis infolge von Berührung an ihrer Innenseite. Schließlich gibt es auch von äußern Ursachen scheinbar unabhängige P.; das bekannteste Beispiel hierfür bietet der ostindische Schwingklee (Hedysarum gyrans), dessen Blätter sich aus zwei kleinen Seitenblättchen und großer Endfieder zusammensetzen; die beiden Seitenblättchen führen bei genügend hoher Temperatur (etwa von 22°) im Lauf einiger Minuten eine periodische Kreisschwingung aus.

Eine eigenartige Gruppe der P. bilden die Bewegungen der Schlingpflanzen und Ranken. Die erstern, z. B. die Windenarten (Convolvulus, Ipomoea), Hopfen, Gartenbohne, Geißblatt u. a., haben dünne Sproßachsen, deren erste Stengelglieder noch nicht die Fähigkeit des Windens besitzen, sondern ohne Stütze aufrecht wachsen; die folgenden, sehr lang auswachsenden Internodien des Sproßgipfels neigen sich zunächst seitlich und beginnen sodann eine eigentümliche Bewegung, bei welcher der Gipfel in einem Kreis oder einer Ellipse herumgeführt wird (rotierende Nutation oder revolutive Bewegung). Die nächste Ursache hierfür liegt darin, daß an den wachsenden Internodien das stärkste Längenwachstum längs einer Linie stattfindet, welche beständig in einer bestimmten Richtung den Stengel umkreist, während die jedesmal entgegengesetzt Seite am schwächsten wächst. Durch die Kreisbewegung, welche bei kräftig wachsenden Schlingpflanzen in