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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Realschule

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Realschule.

je ein Jahr einschränken. Höhere Bürgerschulen endlich hießen diejenigen Realschulen, welche nach obenhin nicht abgeschlossen waren, sondern der ersten Klasse ermangelten. Insofern sie bis zur zweiten Klasse einschließlich entwickelt und nach dem Lehrplan der Realschulen erster Ordnung angelegt waren, konnten sie das Recht der Abgangsprüfungen erhalten. Innerhalb dieses Rahmens haben sich die Realschulen von 1859 bis 1882 zahlreich und mannigfaltig entwickelt. Die kleinern deutschen Länder folgten mit geringen Modifikationen Preußen nach, zumal seit 1866 wegen der Rücksicht auf den einjährig-freiwilligen Militärdienst. Indessen wachte die schon 1848 und 1849 vielfach erhobene Forderung wieder auf, den Realschulen in Bezug auf den Universitätsbesuch gleiche Rechte mit den Gymnasien einzuräumen, während anderseits völliger Verzicht auf den lateinischen Unterricht von allen Realschulen verlangt wurde. Der Minister v. Mühler forderte daher über die Zulässigkeit einer erweiterten Kompetenz der Realschulen an den Universitäten 9. Nov. 1869 Gutachten von sämtlichen Fakultäten der Landesuniversitäten ein, welche überwiegend ablehnend ausfielen. Doch ward 7. Dez. 1870 verfügt, daß die Reifezeugnisse der Realschulen erster Ordnung in Bezug auf die Immatrikulation bei der Universität und die Inskription bei der philosophischen Fakultät dieselbe Gültigkeit haben sollten wie die der Gymnasien, und daß künftig Schulamtskandidaten, die eine R. erster Ordnung besucht und nach Erlangung eines von derselben erteilten Zeugnisses der Reife ein akademisches Triennium absolviert hätten, zum Examen pro facultate docendi in den Fächern der Mathematik, der Naturwissenschaften u. der neuern Sprachen, jedoch mit Beschränkung der Anstellungsfähigkeit auf Real- u. höhere Bürgerschulen, zugelassen würden. Im Oktober 1873 berief der Minister Falk eine Versammlung sachverständige Männer nach Berlin, um über Fragen des höhern Schulwesens, besonders die Realschulfrage, ihren Rat zu hören. Obwohl die Versammlung im allgemeinen sich zu den Forderungen der Realschulmänner günstig stellte, blieb zunächst alles beim alten. Dagegen hat seitdem die Kreise der Reallehrer eine lebhafte Bewegung ergriffen, die, teilweise anknüpfend an die patriotische Erhebung seit 1870, der R., als der eigentlich "deutschen Schule", völlige Gleichberechtigung mit dem Gymnasium, ja hier und da allgemeine Verbreitung an Stelle desselben zu erstreiten suchte. Versammlungen zu Eisenach, Gera, Braunschweig u. a. O. haben in dieser Richtung mehr oder minder weit greifende Beschlüsse gefaßt und Forderungen aufgestellt. Eine festere Gestalt erhielt diese Bewegung in dem am 12. Dez. 1875 begründeten Verein der deutschen Realschulmänner, der seitdem seine Forderung nach unbedingter Gleichberechtigung der voll organisierten Realschulen mit den Gymnasien rührig vertreten und durch gründliche statistische Nachweise manches unbegründete Vorurteil gegen die Realschulbildung, das ungeprüft der eine dem andern nachspricht, siegreich bekämpft hat. Verwickelter noch wurde die Realschulfrage, als 1879 das technische Schulwesen an das Kultusministerium überging und gleichzeitig die frühern Gewerbeschulen nach dem Muster einer vom Direktor Gallenkamp in Berlin geleiteten lateinlosen R. erster Ordnung zu Anstalten dieser Art umgewandelt wurden. Im Kultusministerium war man nicht abgeneigt, diese neue Form der R. im Sinn Spillekes als deren reinste Ausgestaltung anzuerkennen und gegenüber den bisherigen Realschulen erster Ordnung, deren Leistungen im Lateinischen durchschnittlich gering waren, zu begünstigen, was freilich an dem Vorurteil, das in allen andern Ministerien, bei der Post etc., gegen diese lateinlosen Schulen herrschte, völlig gescheitert ist. Die neuen Lehrpläne, welche der Minister v. Goßler 27. Mai 1882 für alle höhern Schulen in Preußen erließ, haben die sonach vorhandene Mannigfaltigkeit auf dem Gebiet des Realschulwesens nicht vereinfachen können. Die Anstalten haben fast nur die Namen gewechselt, indem die Realschulen erster Ordnung nach dem Lehrplan von 1859 nun Realgymnasien, die höhern Bürgerschulen Realprogymnasien, die lateinlosen Realschulen erster Ordnung (Gewerbeschulen) Oberrealschulen und, wenn ihnen die oberste Klasse mit zwei Jahrgängen

Lehrplan der Oberrealschule (1882) <sup>1</sup>

VI V IV III II I

b a b a b a Zusammen Realgymnasium

Christliche Religion 3 2 2 2 2 2 2 2 2 19 19

Deutsch 4 4 4 3 3 3 3 3 3 30 27

Französisch 8 8 8 6 6 5 5 5 5 56 34

Englisch - - - 5 5 4 4 4 4 26 20

Geschichte und Geographie 3 3 4 4 4 3 3 3 3 30 30

Rechnen und Mathematik 5 6 6 6 6 5 5 5 5 49 44

Naturbeschreibung 2 2 2 2 2 3 - - - 13 12

Physik - - - - - 4 4 3 3 14 12

Chemie - - - - - - 3 3 3 9 6

Schreiben 2 2 2 - - - - - - 6 4

Zeichnen 2 2 2 2 2 3 3 4 4 24 18

+54 Lat.

Zusammen : 29 29 30 30 30 32 32 32 32 276 280

<sup>1</sup> Gesang und Turnen mit durchweg 2 Stunden wöchentlich sind in diesem Lehrplan nicht besonders angesetzt

fehlt, Realschulen heißen. Der Name der höhern Bürgerschulen ist, im Anschluß an ein Vorbild lateinloser höherer Bürgerschule in Kassel, auf diejenigen lateinlosen Realanstalten übergegangen, deren Lehrplan sechs Jahrgänge umfaßt, und die bis auf geringfügige Abweichungen einer unvollständigen Oberrealschule gleicht, welcher die obersten drei Jahrgänge (Prima, Obersekunda) fehlen. Während die höhere Bürgerschule mit der Erlangung des Rechts auf den einjährig-freiwilligen Heerdienst abschließt, führen Realschulen und Realprogymnasien um ein Jahr, Realgymnasien und Oberrealschulen um drei Jahre darüber hinaus. Die einzigen erwähnenswerten Abweichungen gegen den frühern Bestand beruhen darin, daß Gymnasien und Realgymnasien in den drei untern Klassen, namentlich durch den spätern Beginn des Griechischen im Gymnasium (früher in Quarta, jetzt in Tertia) und Vermehrung der Stunden für das Französische, einander fast völlig gleichen, und daß das Lateinische im Realgymnasium nicht unerheblich verstärkt ist. Zur Veranschaulichung ist oben der Lehrplan der Oberrealschule (Realschule) dem des Realgymnasiums, welches den des Realprogymnasiums mit umfaßt, gegenübergestellt.

Als gelöst kann durch den gegenwärtigen Zustand die Realschulfrage noch nicht angesehen werden. Solange die Hauptform der R. dem Gymnasium so nahe steht wie jetzt, werden die Vertreter der R. stets versucht sein, wenn nicht völlige Gleichberechtigung mit jenem, doch