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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Reflexibilität - Reformation.

Es gibt positive R., wie die bisher erwähnten, und wenn man so will, negative, solche, welche eine bisher vorhandene Thätigkeit unterbrechen, Reflexhemmungen; auf gewisse sensible Reize wird z. B. die thätige Herz- und Atembewegung reflektorisch ganz zum Stillstand gebracht. Die Intensität der R. ist abhängig einerseits von der Intensität der ausgeübten Reize, anderseits von dem Grade der Reizungsfähigkeit der betreffenden Reflexzentren, d. h. der Reflexerregbarkeit. Letztere wird von verschiedenen Umständen beeinflußt. Die Thätigkeit des Großhirns, das thätige Bewußtsein, setzt die Reflexerregbarkeit herab: deshalb treten R. leichter ein im Schlaf, bei gewissen Hirnkrankheiten; enthauptete Menschen und Tiere zeigen viel leichter und lebhaftere R. als normale. Der Wille hat bis zu einem bestimmten Grad einen Einfluß auf gewisse R.; er kann das reflektorische Zucken des Beins, wenn die Sohle desselben gekitzelt wird, er kann den Hustenstoß bei Reizung der Luftröhre ganz oder teilweise unterdrücken; andre R., z. B. die Verengerung der Pupille bei Lichteintritt, die Thränenabsonderung bei mechanischen Reizungen des Augapfels, zu verhindern, ist er nicht im stande. Die Reflexerregbarkeit variiert nach Alter, Spezies und individuellen Verschiedenheiten. Von differenten Stoffen wird sie am meisten herabgesetzt durch Äther und Chloroform, am energischten gesteigert durch Strychnin. Die meisten starken organischen Gifte, namentlich die Alkaloide, Atropin, Brucin, Kaffein, Morphin etc., haben zunächst eine steigernde, in großen Dosen eine herabsetzende Wirkung. Manche R. sind von einer sehr komplizierten Beschaffenheit. Dabei tragen die meisten R. den ausgeprägte Charakter der Zweckmäßigkeit an sich (geordnete Reflexe), wie die oben angeführten Beispiele vom Augenlidschluß und vom Hustenstoß beweisen.

Reflexibilität (lat.), die Fähigkeit der Strahlen, zurückzuprallen.

Reflexion (lat.), die "Zurückwerfung" des Lichts, der strahlenden Wärme, des Schalles, der Wellenbewegung des Wassers von einer dazu geeigneten Fläche, geschieht stets nach dem Gesetz, daß der Reflexionswinkel gleich ist dem Einfallswinkel, und daß die Einfallsebene mit der Reflexionsebene zusammenfällt. Dann heißt R. eine Form des Denkens, bei der unsre Vorstellungen selbst wieder Gegenstand eines (höhern) Vorstellens werden. Eine besondere Funktion der R. ist die Abstraktion (s. Abstrakt), d. h. die Isolierung des Gedachten, vermöge deren es die Gestalt eines Begriffs annimmt.

Reflexionskreis, s. Spiegelsextant.

Reflexionsprisma, s. Brechung, S. 375.

Reflexionswinkel, s. Reflexion u. Spiegelung.

Reflexiv (lat.), rückwirkend, rückbezüglich; Reflexiva, Wörter, welche eine Rückbezüglichkeit ausdrücken (s. Pronomen und Verbum).

Reflexkrämpfe, krampfartige unwillkürliche Bewegungen (Zuckungen oder Starrkrämpfe), welche auf Reizung sensibler Nerven eintreten; näheres s. Reflexerscheinungen.

Reform (lat.), planmäßige Umgestaltung, Veränderung, namentlich auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Staatsverfassung, während für eine Umgestaltung in kirchlicher Beziehung der Ausdruck Reformation (s. d.) gebräuchlich ist; Reformer (engl. Reformers), Anhänger der Reformpartei, welche bestimmte Gebiete der Gesetzgebung reformiert haben wollen, wie z. B. die sogen. Steuer- oder Wirtschaftsreformer (Agrarier) die Agrargesetzgebung. Im Gegensatz zur Revolution (s. d.) versteht man unter R. die planmäßige Veränderung der Staatsverfassung auf gesetzlichem Weg.

Reformaten (lat., ital. Riformati), in Italien s. v. w. Rekollekten (s. d.).

Reformation (lat., "Umgestaltung, Verbesserung"), die Bewegung des 16. Jahrh., welche die Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchen, überhaupt des Protestantismus (s. d.), zur Folge hatte. Dieselbe ist eins von denjenigen weltgeschichtlichen Ereignissen, welche in alle Gebiete des Kulturlebens der sich daran beteiligenden Völker mächtig eingegriffen und eine lange Reihe neuer Gestaltungen auf dem politischen und kirchlichen Leben angebahnt, ja die ganze moderne Entwickelung Europas bedingt haben. Viele Anzeichen kündigten schon seit langem das Herannahen einer neuen Epoche des Menschenlebens an, und es ist die R. nicht als das Werk Eines Mannes, sondern als das Resultat vieler und bedeutsamer vermittelnder Vorgänge anzusehen. Wir erinnern hier nur an die Erfindung der Buchdruckerkunst, an die Erweiterung der Weltanschauung durch die überseeischen Entdeckungen, vornehmlich aber an das Wiederaufleben der Künste und Wissenschaften im 15. Jahrh., an alles, was man in der Regel unter dem Kunstausdruck Renaissance (s. d.) zusammenfaßt. Speziell die Notwendigkeit einer "R. der Kirche an Haupt und Gliedern" war durch die großen Kirchenversammlungen des 15. Jahrh. wiederholt anerkannt worden, und die reformatorischen Ideen, vor allen eines Wiclef und Huß, hatten dazu beigetragen, einen Umschwung der religiösen Grundideen anzubahnen.

Geringfügig im Vergleich mit den Folgen erscheint die unmittelbare Veranlassung der Kirchenreformation Martin Luthers (s. Luther), Professors und Predigers in Wittenberg, die Bekämpfung des Ablaßhandels (s. Ablaß), wie solcher damals namentlich durch Tezel in Thüringen aufs schamloseste betrieben ward, durch den Anschlag von 95 Thesen an die Thür der Schloßkirche zu Wittenberg 31. Okt. 1517. In kürzester Frist durchzogen diese Thesen ganz Deutschland. Doch erst auf der Disputation, welche vom 27. Juni bis 16. Juli 1519 zu Leipzig statthatte, vollzog Luther innerlich den Bruch mit der katholischen Religiosität, indem er sich zu der Behauptung drängen ließ, der Papst sei nicht nach göttlichem, sondern nur nach menschlichem Recht Oberhaupt der Kirche. Von Melanchthon (s. d.) mit seiner Beredsamkeit und dialektischen Gewandtheit unterstützt, von seinem Kurfürsten Friedrich dem Weisen beschützt (vgl. Kolde, Friedrich der Weise und die Anfänge der R., Erlang. 1881) und von dem Enthusiasmus fast des ganzen deutschen Volkes getragen, gewann Luther immer neue und einflußreiche Anhänger, namentlich einen großen Teil des deutschen Adels, voran die tapfern Ritter von Schaumburg, von Sickingen und von Hutten (s. d.), für seine Sache. An diesen deutschen Adel, als an echte Repräsentanten seines Volkes, richtete er seine Schrift "Von des christlichen Standes Besserung" (Juni 1520), worin die Artikel der R. als große Volkssache dargelegt und Fürsten und Reichsstände aufgefordert wurden, selbst Hand anzulegen, um das römische Unwesen in Deutschland abzuschaffen. Im Buch "Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche" (Oktober 1520) führte er durch, wie der ganze Ablaß eine römische Schalkheit und das Papsttum nur menschlichen Ursprungs sei, wie der Kelch auch den Laien gebühre, die Messe nicht Opfer, noch gutes Werk und die neuerfundene Wand-^[folgende Seite]