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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Reformationsfest; Reformator; Reformatorisches Urteil; Reformbill; Reformers; Reformieren; Reformierte Kirche

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Reformationsfest - Reformierte Kirche.

hobenen Protestes zuerkannt, aber der geistliche Vorbehalt (reservatum ecclesiasticum) aufgenommen, wonach jeder zur lutherischen Kirche übertretende Prälat eo ipso geistliche Würde und weltliche Stellung verlieren sollte. Den andersgläubigen Unterthanen wurde das Recht des freien Abzugs zugestanden. Über die Aufrechthaltung dieses Friedens wachten das Corpus Catholicorum und das Corpus Evangelicorum (s. d.). Noch einmal machte das Wormser Religionsgespräch den Versuch (1557), eine Einigung der Katholiken und Protestanten in der Lehre herbeizuführen. Er war ebenso vergeblich wie der zweite Reformationsversuch des Erzbischofs Gebhard (s. d. 3) von Köln 1582. Die Gegenreformation (s. d.) erstickte hier sowie in Mainz, Trier, Steiermark und Kärnten bereits mit Hilfe der Jesuiten (s. d.) jede protestantische Regung. Der Westfälische Friede stellte endlich nicht bloß den Status quo des Passauer Vertrags und Augsburger Religionsfriedens 1648 wieder her, sondern dehnte auch die in beiden den Lutheranern gemachten Zugeständnisse auf die Reformierten aus. Aber die Sache der R., wie sie endlich durch den Westfälischen Frieden zur rechtlichen Existenz gelangte, war nicht mehr die ursprüngliche. Fraglos hat schon den Reformatoren selbst zu einer folgerichtigen Durchführung der Grundsätze der R. vieles gefehlt. Ihre wiederholten Schwankungen und Unsicherheiten, ihre Zugeständnisse an das katholische System, ihre offenen Rückfälle und Selbstwidersprüche können und sollen nicht mehr verhehlt werden. Ihre Schuld ist aber verschwindend gering gegenüber denjenigen, welche im weitern Verlauf der Geschichte jene Fehler, Mißgriffe, Inkonsequenzen und katholisierenden Verirrungen nicht bloß nicht als solche begriffen, sondern sie vielmehr erst recht in ein System brachten. In der ersten Hälfte des 16. Jahrh. machte die R. die Runde durch die damalige zivilisierte Welt. Rom zitterte; sogar die romanische Welt schien ihr wie eine reife Frucht in den Schoß zu fallen. Aber schon im Verlauf der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. war der Protestantismus von sich selbst abgefallen und hatte die "reine Lehre" zu einem neuen Gesetzeskodex erhoben, den Theologendruck an die Stelle des Priesterjochs gesetzt. Anstatt die volle Kraft der religiösen Begeisterung und der sittlichen Erhebung nach außen zu wenden, verzehrten die Protestanten sich in Lehrgezänk nach innen und verfielen dem Irrtum, göttliche Wahrheit in ihren dogmatischen Formeln festgebannt zu haben. Jetzt folgte Niederlage auf Niederlage; die Jesuiten sogar trieben vielfach eine freiere Theologie als die orthodoxe Epigonenschaft der R., und mit dem Sieg der Konkordienformel (1580) ward die anfängliche Siegesgeschichte der R., wenigstens auf deutschem Gebiet, zur erschütternden Leidensgeschichte, ja zuweilen fast zur Tragikomödie.

Richtig gewürdigt wird die Sache der R. nur da, wo man sich entschließen kann, von den Mängeln ihrer Ausführung abzusehen und die leitende Idee ins Auge zu fassen, welche nur einen durchaus neuen Ansatz zur Verwirklichung des christlichen Prinzips selbst bedeuten kann. Hatte sich dieses im Katholizismus eine einseitig religiöse und kirchliche Ausprägung gegeben, so läuft die Tendenz der R. durchaus auf ein im guten Sinn des Wortes weltliches Christentum, auf eine Verwirklichung des christlichen Prinzips vor allem im sittlichen Leben hinaus, daher es sich lediglich von selbst versteht, wenn die R. auf dem Gebiet der Kirchenbildung mit dem Katholizismus nicht wetteifern kann; sie bedeutet vielmehr im Prinzip nichts andres als die Zerstörung des "gesellschaftlichen Wunders", welches als Kirche über den natürlichen Organismen der sittlichen Welt stehen will. Von Haus aus suchte und fand daher die R. Fühlung mit dem Staat; sowohl in Deutschland als in der Schweiz sehen wir eigentümliche Formen des Staatskirchentums entstehen, das sich, wo die reformatorischen Prinzipien zu ungehemmter Entfaltung kommen, überall in ein eigentliches Volkskirchentum umzusetzen bestrebt ist. Anstatt einer von einer wunderbaren Legende als ihrer theoretischen Voraussetzung getragenen Kirche über den Völkern zu dienen, will die R. das religiöse Leben der Völker ihrer gesamten sonstigen Seinsweise eingliedern, so daß es zu einer gesunden Funktion eines einheitlichen, aus sich selbst heraus lebenden gesellschaftlichen Organismus wird. Darin liegt die politische und soziale Mission der R. beschlossen. S. Protestantismus. Vgl. Marheineke, Geschichte der deutschen R. (2. Aufl., Berl. 1831-34, 4 Bde.); Hagenbach, Geschichte der R. (5. Aufl., Leipz. 1887); Döllinger, Die R., ihre innere Entwickelung und ihre Wirkungen (2. Aufl., Regensb. 1851, 3 Bde.); Kahnis, Die deutsche R. (Leipz. 1872, Bd. 1); Hagen, Deutschlands litterarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter (Erlang. 1841-44, 3 Bde.); Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der R. (6. Aufl., Leipz. 1880, 6 Bde.); Egelhaaf, Deutsche Geschichte im Zeitalter der R. (2. Aufl., Berl. 1885); Keller, Die R. und die ältern Reformparteien (Leipz. 1885); v. Bezold, Geschichte der deutschen R. (Berl. 1886 ff.); Hoop-Scheffer, Geschichte der R. in den Niederlanden (deutsch, Leipz. 1886). Das Hauptwerk von ultramontaner Seite ist die "Geschichte des deutschen Volkes" von Joh. Janssen (s. d.).

Reformationsfest, Fest der evangel. Kirche zur Erinnerung an den 31. Okt. 1517, an welchem Tag Luther seine 95 Thesen an der Schloßkirche zu Wittenberg anschlug. Das R. wurde zum erstenmal 1667 in Sachsen auf Befehl der höchsten Kirchenbehörde als allgemeiner (halber) Feiertag begangen.

Reformator (lat.), der eine Reformation, besonders der Kirche, Bewirkende.

Reformatorisches Urteil, abändernde Entscheidung einer Rechtssache in höherer Instanz mit gänzlicher oder teilweiser Aufhebung der Vorentscheidung.

Reformbill, in England jede Bill, welche eine Reform bezweckt, besonders aber die 1830, 1867 und 1885 über die Parlamentsreform eingebrachten Bills (s. Großbritannien, S. 810, 825, 836).

Reformers, s. Reform.

Reformieren (lat.), umgestalten (s. Reform); eine Entscheidung in höherer Instanz ganz oder teilweise abändern.

Reformierte Kirche, im Gegensatz zur lutherischen Kirche diejenige Kirchengemeinschaft, welche sich ebenfalls im 16. Jahrh. von dem Papsttum lossagte, sich von jener durch einen radikalen Charakter unterscheidet u. besonders in Süddeutschland, der Schweiz, in Frankreich, den Niederlanden und in Schottland vorherrschend ist. Die Reformation (s. d.) begann in Zürich ziemlich gleichzeitig wie in Wittenberg und war 1525 in allem Wesentlichen zum Abschluß gekommen. Gleichzeitig erschien auch der erste Teil der 1531 vollendeten Bibelübersetzung. Vgl. hierüber Mezger, Geschichte der deutschen Bibelübersetzung in der schweizerisch-reformierten Kirche (Basel 1876). Den Glaubensbegriff der neuen Kirche bestimmte Ulrich Zwingli (s. d.), namentlich in seinem "Kommentar von der wahren u. falschen Religion" (Zürich 1525) sowie in seiner "Fidei ratio ad Carolum Im-^[folgende Seite]