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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Rettungswesen zur See

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Rettungswesen zur See.

ren stets abfließen kann. Die stark konkave Krümmung der obern Fläche, Luftkasten an den Endpunkten und ein schwerer eiserner Kiel bewirken, daß es nach dem Umschlagen alsbald wieder in seine natürliche Stellung zurückfällt. Dieses ausgezeichnete Boot, welches in England allgemein gebräuchlich ist, eignet sich nicht für unsre flachen Küsten mit dem unwegsamen Dünensand und der spärlichen Bevölkerung. Man benutzt deshalb das leichtere, 8 m lange, aus kanneliertem Eisenblech gebaute Francisboot, welches ebenfalls Luftkasten besitzt und verschiedene Einrichtung zeigt, je nachdem es, entsprechend den geographischen Verhältnissen der betreffenden Station, der Entfernung der gefährlichen Punkte von der Küste etc., zum Segeln oder zum Rudern oder zum Segeln und Rudern eingerichtet ist. Die leichtesten Boote dieser Art wiegen nur 900 kg. Die Segelboote besitzen einen Behälter für Wasserballast, der sich durch Öffnen eines Ventils im Boot von selbst füllt und auch in wenigen Minuten wieder entleert werden kann. Die Seitenschwerter, mit denen diese Boote ausgestattet sind, ersetzen den Kiel und vermindern die Abtrift des Boots beim Segeln. Die Boote sind vorn und hinten gleich gebaut; außer mit dem langen Steuerriemen sind sie noch mit einem Steuerruder versehen, über welches ein genau anschließender Mantel aus Eisenblech herabgelassen werden kann, so daß das Boot auch noch zu steuern ist, wenn es seinen Hintersteven aus dem Wasser stampft. Füllt sich das Boot mit Wasser, so verhindern zwei schnell in der Mitte des Boots zu beiden Seiten mit dem Blatte dem Wasser zugekehrte, gelaschte Riemen das Rollen, und das Boot kann leicht ausgeschöpft und ausgepumpt werden. Das Boot steht gewöhnlich vollständig ausgerüstet auf einem Wagen und gleitet von diesem leicht herab, wenn man den Vorderwagen löst und die Helling, auf der das Boot auf Rollen ruht, vorn etwas hebt. Einzelne Stationen haben große Rettungsboote mit Kuttertakelage. Die Bemannung der Boote trägt Korkjacken (Wardsche Jacken) aus feinstem Kork, der in schmalen Stücken auf Segeltuch genäht ist. Eine solche Jacke hält den schwersten Mann, bekleidet mit dickem Wollzeug und Seestiefeln, 24 Stunden und länger mit den Schultern über Wasser. Wird ein Schiffbruch gemeldet, so eilen auf das Signal die Mannschaften herbei, Pferde oder Menschen bespannen den Bootswagen etc., und man sucht alsdann eine günstige Stelle an der Küste in der Nähe des Wracks, möglichst luvwärts (windwärts), um das Rettungsboot ins Wasser zu lassen. Das Boot, mit dem Bug nach See zu, alle Mann in demselben und festgebunden, um nicht herausgespült zu werden, die Ruder zur Hand, wird in einem günstigen Moment, wo die Brandung einer Welle fast zu Ende ist, mit dem Wagen ins Wasser geschoben, bis es schwimmt und fortgerudert werden kann. Ein besonders schwieriger Moment ist die Annäherung an das Wrack, an dem zerschmettert zu werden das Boot Gefahr läuft, wenn nicht mit äußerster Vorsicht verfahren wird.

Die Rettungsgeschosse bezwecken die Herstellung einer Verbindung zwischen Land oder Rettungsboot und Schiff mittels geworfener Leinen. Die Raketenapparate werfen eine Leine von 200-500 m. Bei den Mörsern ist die Leine an dem Geschoß befestigt, und dieses wird durch Pulver fortgeschleudert. Der Mörser schießt mindestens ebenso weit und ist billiger als die Rakete, aber namentlich bei Regen und Dunkelheit schwerer zu bedienen, auch führt die große Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses leicht zu Verwickelungen und Abreißen der Leine. Auf Entfernungen von 70 m stellt man eine Verbindung zwischen Rettungsboot und Schiff mittels eines Handgewehrs her, welches auch benutzt wird, um Leuchtkugeln zu schießen. Ankerraketen werfen eine Leine, an deren vorderm Ende ein Anker befestigt ist. Man benutzt sie unter besonders schwierigen Verhältnissen, um das Abkommen des Boots vom flachen Strand zu ermöglichen. Hat der Anker gefaßt, so ziehen die vordersten vier Mann an der Leine, während die übrigen rudern. Ist mittels Rakete oder Mörser den Schiffbrüchigen eine Leine vom Land glücklich zugeworfen, so holen jene sich mit derselben einen Block (Kloben) an Bord, in den eine andre stärkere Leine eingeschoren ist, deren beide Enden an Land bleiben und zusammengesplißt werden. Den Block befestigen die Leute auf dem Schiff, und somit ist eine Kommunikation mit dem Land fertig. Zunächst wird jetzt das eine Ende einer schweren Troß (starkes Tau) nach dem Wrack geschafft und dort so hoch wie möglich an einem Mast od. dgl. befestigt, während man das andre Ende der Troß am Land an einem Anker befestigt. Die ausgespannte Troß dient gleichsam als Brücke, indem an ihr hängend eine Art Korb mit der andern dünnen Leine hin- und hergezogen werden kann, welcher, zur Aufnahme einer Person geeignet, allmählich die ganze gefährdete Mannschaft an das Land transportiert. In neuester Zeit hat man auch Öl im Rettungsdienst angewandt. Die Resultate sind aber an den deutschen Küsten gering, da das Öl zwar in tiefem Wasser nachgewiesenermaßen eine überraschend beruhigende Wirkung auf den Seegang ausübt, der an den flachen Küsten besonders heftig auftretenden Brandung gegenüber aber machtlos bleibt.

Die Geschichte des Rettungswesens zur See ist mit der der Gesellschaften zur Rettung Schiffbrüchiger eng verbunden. Eine solche entstand zuerst 1789 zu Shields in England. Äußere Veranlassung war der vor den Augen der Bewohner stattfindende Untergang des Schiffs Adventure. Das erste "unversinkbare" Rettungsboot baute 1790 ein Londoner Wagenbauer, Lionel Lukin; Henry Greathead, ein gewiegter Bootbauer, verbesserte es bald darauf erheblich, und langsamere Fortschritte folgten diesen ersten Versuchen. Das Interesse für das R. in England war aber bis 1823 ein sehr geringes geblieben; es neu zu beleben, machte sich 1824 Sir William Hallary zur Aufgabe. Auf seine Anregung vereinigten sich 1850 alle bis dahin bestandenen Vereine zur Royal National Lifeboat Institution, welche heute über mehr als 300 Rettungsstationen an den englischen Küsten verfügt. Auf etwa 5000 Rettungsfahrten (seit 1855) wurden gegen 12,000 Menschen gerettet. Die Gesamtzahl der Geretteten beziffert sich auf 30,000 Mann. Auf dem europäischen Festland folgten zuerst die Holländer dem von England gegebenen Beispiel. In Frankreich wurde die Société centrale de sauvetage des naufragés 1866 gegründet, nachdem aber schon Boote seit 1825, Mörser seit 1846 im Gebrauch gewesen waren. Statt der letztern ist jetzt eine Kanone, welche einen Pfeil mit Leine nach der Angabe von Delvigne schießt, allgemein gebräuchlich. Preußen errichtete seit 1850 für seine Küsten einige Rettungsstationen. In den Jahren 1861-64 aus der Initiative einzelner Küstenstädte hervorgegangene Vereine bildeten 1865 die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, in deren Händen gegenwärtig der gesamte Rettungsdienst an den deutschen Küsten vereinigt ist. Die