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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Richelieu

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Richelieu.

schutz und Freiheit der Bewegung gewannen. Obwohl Kardinal, wußte R. auch der Kurie gegenüber die Rechte des Königtums mit Erfolg zu wahren; der katholischen Kirche in Frankreich hauchte er neues Leben ein und gab ihr auch das geistige Übergewicht über die Hugenotten. Seine Thätigkeit war rastlos, ungemessen aber auch seine Prachtliebe und zahlreich seine Sonderbarkeiten. Übrigens beförderte R. Wissenschaften und Künste, gab der Sorbonne ihre spätere Gestalt, gründete 1635 die französische Akademie, baute das Palais-Cardinal, welches er dem König vermachte, und das seitdem Palais-Royal hieß, und veranstaltete schöne Ausgaben römischer und griechischer Klassiker durch die Hofbuchdruckerei. Außer seinen theologischen Schriften sind von ihm bekannt: "Histoire de la mère et du fils" (Amsterd. 1730, 2 Bde.), deren Echtheit ohne Grund bestritten wird; die aus dem Staatsarchiv von Petitot herausgegebenen "Mémoires", die von 1624 bis 1638 reichen und sich in den "Mémoires relatifs à l'histoire de la France" (Par. 1823, Bd. 7 u. 8) abgedruckt finden; das "Testament politique du cardinal de R." (das. 1764, 2 Bde.), dessen Echtheit bestritten wird; "Journal du cardinal de R." (Amsterd. 1664, 2 Bde.), das ohne Zweifel unecht ist. Seine Korrespondenz ("Lettres, instructions diplomatiques, etc.", 1853-77, 8 Bde.) ist in den "Documents inédits de l'histoire de France" von Avenel publiziert. Vgl. Leclerc, Vie du cardinal de R. (1694 u. öfter); Capefigue, R., Mazarin, la Fronde et le règne de Louis XIV (2. Aufl., Par. 1844, 2 Bde.); Derselbe, Le cardinal de R. (das. 1865); Caillet, L'administration en France sous R. (2. Aufl., das. 1860, 2 Bde.); Topin, Louis XIII et R. (3. Aufl., das. 1877); d'Avenel, R. et la monarchie absolue (das. 1884-1887, 3 Bde.); Dussieux, Le cardinal R. (das. 1885).

2) Louis François Armand Duplessis, Herzog von, Marschall von Frankreich, Sohn Armand Wignerods und Großneffe des vorigen, geb. 13. März 1696, wurde schon in einem Alter von 14 Jahren mit dem Fräulein v. Noailles verheiratet, kam früh an den Hof Ludwigs XIV. und machte hier bei den Damen solches Glück, daß sein Stiefvater 1711 einen Verhaftsbefehl für ihn auswirkte. Nach 14 Monaten aus der Bastille entlassen, nahm er an dem Feldzug von 1712 als Adjutant des Marschalls Villars teil. Ein Zweikampf, in welchem er im März 1716 den Grafen Gacé erstach, brachte ihn wieder auf einige Monate in die Bastille und seine Beteiligung an der Verschwörung Cellamares gegen den Regenten, dessen Genosse bei seinen Ausschweifungen er war, 28. Mai 1719 zum drittenmal bis Ende August, worauf er nach Conflans verbannt wurde. Nach Paris zurückgerufen, wurde er 1721 Pair, 1722 Gouverneur von Cognac, 1725-29 Gesandter in Wien, 1734 Mitglied der Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften, nahm am Kriege gegen das Deutsche Reich teil und avancierte 1. Mai 1738 zum Feldmarschall, 1744 zum Generalleutnant und Gouverneur von Languedoc. Als erster Kammerherr des Königs unterstützte er denselben bei seinen Liebesabenteuern und begleitete ihn ins Feld, wo er durch seine Entschlossenheit 1745 den Sieg bei Fontenoy entschied. 1746 warb er als Gesandter zu Dresden für den Dauphin um die Hand der sächsischen Prinzessin Maria Josepha. 1748 übernahm er an der Stelle des verstorbenen Marschalls Boufflers das Kommando zu Genua und bewies hier solche Tapferkeit, daß die Genuesen bei dem König seine Erhebung zum Marschall von Frankreich für ihn auswirkten. 1756 eroberte er das für uneinnehmbar gehaltene Fort San Felipe auf Menorca, wodurch er den Engländern diese Insel entriß; 1757 zum Oberbefehlshaber der französischen Armee in Hannover ernannt, zwang er zwar den Herzog von Cumberland zur Konvention von Kloster-Zeven, verhielt sich aber dann ganz unthätig, wurde 1758 aus Hannover vertrieben und vom Heer abberufen. Von nun an trat er fast ganz vom öffentlichen Leben zurück. Unter Ludwig XVI. war sein Ansehen am Hof schon völlig geschwunden; nur sein Witz und sein Verhältnis zu Maurepas hielten ihn noch etwas aufrecht. In einem Alter von 84 Jahren vermählte er sich 1780 zum drittenmal mit Frau de Rooth, der Witwe eines Irländers. Seit 1781 Präsident beim Ehrengericht, starb er 8. Aug. 1788. Sein Leichnam wurde in der Sorbonne beigesetzt. Er hatte alle Tugenden und Laster eines Hofmanns seiner Zeit; bei großer Gewandtheit und Liebenswürdigkeit ging ihm jede tiefere Bildung ab. Seine zweite Gemahlin, eine Tochter des Prinzen von Guise (1734-40), hatte ihm den Herzog von Fronsac und eine Tochter geboren, die sich mit dem Grafen Egmont vermählte. Die nach seinen Papieren bearbeiteten Memoiren (hrsg. von Soulavie, Par. 1793, 9 Bde.; deutsch von Heß, Jena 1790-1800, 9 Bde.; "Nouveaux mémoires du maréchal duc de R.", hrsg. von Lescure, 1869, 4 Bde.) haben zwar geschichtlichen Wert, sind aber zum Teil untergeschoben. Vgl. Faur, Vie privée du maréchal de R. (Par. 1792, 3 Bde.).

3) Armand Emmanuel Duplessis, Herzog von, franz. Staatsminister und Pair, Enkel des vorigen und Sohn des Herzogs von Fronsac, geb. 25. Sept. 1766 zu Paris, führte anfangs den Namen Graf von Chinon, begab sich beim Ausbruch der Revolution nach Rußland, nahm 1790 unter Suworow mit Auszeichnung am türkischen Feldzug teil und avancierte zum Generalleutnant. Als Agent der Bourbonen war er 1792 in Wien und Berlin thätig, wohnte 1793 der Belagerung von Valenciennes bei und ging alsdann wieder nach Rußland. 1802 kehrte er auf kurze Zeit nach Frankreich zurück, um den Gläubigern seines Vaters und Großvaters die bedeutende Erbschaft seiner Familie zu überlassen. Vom Kaiser Alexander I. 1803 zum Gouverneur von Odessa ernannt, erwarb er sich große Verdienste um das Aufblühen dieser Stadt. Nach der Thronbesteigung Ludwigs XVIII. kehrte er im Oktober 1814 nach Frankreich zurück, wurde zum Pair und ersten Kammerherrn des Königs erhoben und ging mit ihm während der Hundert Tage nach Gent. Am 26. Sept. 1815 wurde er Minister und unterhandelte den zweiten Pariser Frieden. 1818 wohnte er als Gesandter Frankreichs dem Aachener Kongreß bei, erwirkte hier eine fernere Herabsetzung der Kriegskosten, eine Verlängerung des Zahlungstermins und den Abmarsch der fremden Truppen aus Frankreich; auch unterzeichnet er die Akte, wodurch Frankreich 15. Nov. in die Heilige Allianz aufgenommen wurde. Da er aber, dem Wunsch der Mächte folgend, das Wahlgesetz in reaktionärem Sinn zu ändern bereit war, brach im Ministerium ein Zwiespalt aus, der R. bewog, im Dezember 1818 seine Entlassung zu nehmen. Er schied gänzlich mittellos aus dem Staatsdienst, und deshalb votierten ihm die Kammern eine Nationalbelohnung von 50,000 Frank jährlicher Einkünfte, welche R. aber milden Stiftungen der Stadt Bordeaux vermachte. Im Februar 1820, nach der Ermordung des Herzogs von Berri, von neuem ins Ministerium berufen, suchte er durch einige reaktionäre Gesetze die Autorität des Königtums zu kräftigen, genügte aber den Ultraroyalisten