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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Römisches Reich

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Römisches Reich (Staatsverfassung zur Zeit der Könige und der Republik).

einigte. War derselbe gestorben, so wurde die Regierung zunächst von Zwischenkönigen (interreges) geführt, die von 5 zu 5 Tagen wechselten; zu ihren Obliegenheiten gehörte es namentlich, eine Neuwahl für die oberste Würde zu stande zu bringen. Das äußere Kennzeichen der königlichen Würde bestand in der purpurverbrämten Toga (toga praetexta) und in den 12 Liktoren (s. d.), welche dem König als Symbole seiner Strafgewalt die Rutenbündel (fasces) mit den Beilen (secures) vorantrugen; zu seinem Unterhalt war ihm ein Anteil an den Staatsländereien, dem Ager publicus, zugewiesen, für dessen Bebauung von Staats wegen gesorgt wurde. Ein besonders wichtiges Verfassungsorgan neben dem König war der Senat, welcher, nachdem die Vereinigung der drei Stämme erfolgt war, aus 300 dem Patrizierstand angehörigen Mitgliedern bestand und vom König nach seinem Belieben zur Beratung über Gesetze, über Krieg und Frieden und über Verträge und Bündnisse berufen zu werden pflegte. Aber auch das Volk hatte seine politische Vertretung. Es versammelte sich auf Berufung des Königs und stimmte nach Kurien (weshalb die Versammlungen comitia curiata genannt wurden) über die vom König meist nach Vorberatung des Senats gestellten Anträge mit Ja oder Nein ab. Dies waren die Hauptorgane des Staats bis auf den König Servius Tullius (578-534 v. Chr.). Durch diesen wurde eine zweite Art von Volksversammlungen ins Leben gerufen, die Comitia centuriata, durch welche auch die Plebejer einigen Anteil an der Regierung erlangten. Er teilte nämlich das ganze Volk nach dem Vermögen, ohne Rücksicht auf patrizische oder plebejische Abstammung in 5 Klassen und diese wieder in 193 Centurien (s. Centurie) und zwar in der Weise, daß die Geltung der Stimmen je nach dem Maßstab des Vermögens eine größere oder geringere war. In beiden Arten der Komitien wurde innerhalb der Kurien oder Centurien abgestimmt und das Ergebnis durch die Majorität der Kurien oder Centurien entschieden.

Zur vollen Entwickelung gelangte aber die Verfassung erst, als 510 das Königtum abgeschafft und die Republik eingeführt worden war. An die Stelle der Könige traten zwei jährlich wechselnde Konsuln (anfänglich praetores oder judices genannt) mit denselben Obliegenheiten und denselben Ehrenzeichen wie die Könige, deren Macht aber im Vergleich zu der der Könige dadurch, daß der eine durch den andern beschränkt wurde, und daß beide nach Ablauf ihres Jahrs das Amt niederlegen mußten und dann rechenschaftspflichtig waren, erheblich vermindert war. Senat und Volksversammlungen blieben nicht nur bestehen, sondern erlangten auch eine weit größere Bedeutung, da jährlich wechselnde, aus Wahl hervorgehende Beamte selbstverständlich in größerer Abhängigkeit von ihnen standen, als dies unter den Königen der Fall gewesen war. Um für die Fälle dringender äußerer oder innerer Gefahren den Arm der Obrigkeit zu stärken, wurde 498 zum erstenmal und später, so oft äußere Feinde oder innere Unruhen den Staat bedrohten, ein Diktator ernannt. Der Diktator, der auf Beschluß des Senats von einem der Konsuln eingesetzt wurde, vereinigte in seiner Hand die volle königliche Gewalt, die nur dadurch beschränkt war, daß er sein Amt spätestens nach sechs Monaten niederlegen mußte; ihm zur Seite stand der Magister equitum, der im Krieg den Befehl über die Reiterei führte, ihm aber auch sonst seine Dienste zu leisten hatte. Zwei andre wichtige Ämter entstanden dadurch, daß man einige bisher mit dem Konsulat vereinigte Geschäftszweige von demselben abtrennte, nämlich die Zensur und die Prätur. Die erstere wurde 444 eingesetzt und von zwei Zensoren verwaltet, die von 5 zu 5 Jahren (dies war wenigstens die Regel) wechselten, ihr Amt aber seit 434 immer nur 18 Monate führten. Sie hatten die Aufsicht über die Sitten zu führen und insbesondere die Einteilung des Volkes in Klassen und Centurien und die Liste des Senats festzustellen. Die Prätur wurde 366 geschaffen, um ihr die bisher von den Konsuln verwaltete Rechtspflege zu übertragen. Anfangs gab es nur einen Prätor, 343 wurde ein zweiter, 227 wurden noch 2 hinzugefügt, und hierauf wurde ihre Zahl auf 6, durch Sulla auf 8 und unter den Kaisern sogar bis auf 18 erhöht; seit dieser Vermehrung wurden sie auch zu andern Obliegenheiten verwendet und insbesondere auch zur Verwaltung der Provinzen herangezogen. Außerdem gab es noch folgende höhere Beamte: die Volkstribunen (s. unten), die Ädilen, denen besonders die Stadtpolizei und die Veranstaltung der öffentlichen Spiele oblag (erst 2, dann 4, nämlich 2 plebejische und 2 kurulische, welch letztere anfangs patrizischer Abkunft sein mußten), und die Quästoren, erst 2, dann 4, endlich bis zu 40, welche den Staatsschatz, das Aerarium, verwalteten und die Statthalter als Finanzbeamte in die Provinzen begleiteten; eine Zeitlang (444-366) gab es in mehreren Jahren auch noch Konsulartribunen (tribuni militum consulari potestate), nachdem 445 durch ein Gesetz bestimmt worden war, daß es gestattet sein sollte, statt der Konsuln Konsulartribunen zu wählen, und daß zu diesem Amt auch Plebejer wählbar sein sollten.

Diese Verfassung war in den ersten Jahren der Republik mit der geringen in den Centuriatkomitien enthaltenen Beschränkung durchaus patrizisch; eine wesentliche Veränderung wurde nun aber dadurch herbeigeführt, daß die Plebejer sich im Lauf zweier Jahrhunderte allmählich zur vollkommenen Gleichstellung mit den Patriziern emporarbeiteten. Der erste Schritt hierzu geschah 494 durch die Einsetzung der Volkstribunen (erst 2 oder 5, später 10). Diese wurden den Plebejern zu dem Zweck zugestanden, um sie vor Bedrückung und Vergewaltigung durch die Patrizier zu schützen; durch die ihnen hierzu versehene Unverletzlichkeit wurden sie aber in den Stand gesetzt, als Vorkämpfer der Plebejer den Patriziern ein Vorrecht nach dem andern zu entreißen. Das Organ, dessen sie sich bedienten, war eine neue Art von Volksversammlungen, welche erst durch sie zur politischen Bedeutung erhoben wurde, die Comitia tributa, so genannt, weil in ihnen nach den Gauen, in welche das römische Gebiet geteilt war, und welche ebenso wie die drei Stämme der Patrizier Tribus hießen, abgestimmt wurde. Diese Komitien, welche einen völlig demokratischen Charakter hatten, waren bisher auf die besondern Interessen der Plebejer beschränkt gewesen; durch die Volkstribunen aber wurde es durchgesetzt, erst, daß in ihnen auch Angelegenheiten des ganzen Staats zur Verhandlung gebracht werden durften, und endlich 286, daß die bis dahin notwendige Bestätigung ihrer Beschlüsse durch die Kuriatkomitien beseitigt wurde. Nicht minder wurde durch sie Schritt für Schritt auch die Zulassung der Plebejer zu allen öffentlichen Ämtern, mit Ausnahme einiger politisch unbedeutender priesterlicher Ämter, erkämpft, ein Ziel, zu dem man bereits 300 gelangt war (s. unten, Geschichte). Nunmehr waren die Tributkomitien wie die Centuriatkomitien völlig sou-^[folgende Seite]