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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Römisches Reich

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Römisches Reich (Staatsverfassung unter den Kaisern).

verän; die Kuriatkomitien blieben zwar bestehen, aber als bloße Form, so daß sie in der Regel nur durch 30 Liktoren als Vertreter der 30 Kurien abgehalten wurden. Die Centuriatkomitien unterschieden sich von den Tributkomitien dadurch, daß in ihnen die wohlhabendern und angesehenern Bürger das Übergewicht hatten, und daß die Konsuln den Vorsitz führten, woraus von selbst folgte, daß in ihnen nur Anträge gestellt wurden, über die vorher vom Senat Vorbeschluß gefaßt worden war, während dagegen die Tributkomitien in der Regel von den Volkstribunen berufen und abgehalten wurden, ohne an einen Vorbeschluß des Senats gebunden zu sein, und in ihnen die Kopfzahl die Entscheidung gab. Die Grenzen zwischen beiden Arten von Komitien waren keineswegs genau bestimmt; nur so viel stand fest, daß die Wahl der höchsten Beamten, insbesondere der Konsuln und Prätoren, nur in den Centuriatkomitien stattfinden durfte, während Volkstribunen, Ädilen und Quästoren durch die Tributkomitien gewählt wurden; im übrigen konnten von beiderlei Komitien Beschlüsse gefaßt werden, welche das ganze Volk banden. Es war hierin der Keim eines verhängnisvollen Zwiespalts zwischen Senat und Centuriatkomitien auf der einen und Volkstribunen und Tributkomitien auf der andern Seite enthalten, der während der Punischen Kriege durch den Gemeinsinn und Patriotismus aller Bürger unwirksam gemacht wurde, nach denselben aber infolge der Selbstsucht der Nobilität und des Ehrgeizes bedeutender Staatsmänner und Feldherren zum Ausbruch kam und zu heftigen Parteikämpfen, schließlich zu blutigen Bürgerkriegen führte, in welchen die Republik ihren Untergang fand (s. unten, Geschichte).

Gajus Octavianus ging aus diesen Bürgerkriegen als der letzte und entscheidende Sieger hervor; ihm fiel daher die Alleinherrschaft zu (31 v. Chr. bis 14 n. Chr.), nicht mit dem Königstitel, den er vielmehr ausdrücklich zurückwies, sondern mit dem Namen Princeps, d. h. eigentlich nur erster des Senats; außerdem wird die Stellung der Kaiser auch häufig durch Imperator bezeichnet, obgleich damit eigentlich nur der Oberbefehl über das Heer ausgedrückt wird; ein besonderer Ehrenname Oktavians, der dann auch auf seine Nachfolger übergegangen ist, war Augustus, d. h. der Verehrungswürdige; endlich führte er durch Adoption von seinem Großoheim Julius Cäsar auch noch den Namen Cäsar, der dann ebenfalls zur Bezeichnung der Kaiserwürde gebraucht wurde und unserm Kaisernamen selbst den Ursprung gegeben hat. Das Hauptbestreben des Augustus war, nachdem er sich in den Besitz der Herrschaft gesetzt hatte, dieselbe dadurch zu begründen und gewissermaßen legitim zu machen, daß er sich die wichtigsten republikanischen Ämter und Vollmachten vom Senat übertragen ließ. Er übernahm daher auf Beschluß des Senats 27 v. Chr. die Statthalterschaft in allen Provinzen, in welchen eine irgend erhebliche Militärmacht stationiert war, ferner 23 die tribunizische und prokonsularische Gewalt; sodann wurde ihm 19 die Aufsicht über die Sitten (praefectura morum), vermöge deren er alle Befugnisse der Zensoren ausübte, sowie die gesetzgebende Gewalt verliehen; außerdem ließ er sich besonders in der ersten Periode seiner Regierung, im ganzen 13mal, zum Konsul und 12 v. Chr. auch zum Pontifex Maximus ernennen. Die republikanischen Ämter und Institutionen ließ er mit geringen Ausnahmen fortbestehen und zwar mit denselben Ehren und anscheinend auch mit denselben Befugnissen, indem er sie jedoch zugleich in ihrer wirklichen Bedeutung zu schwächen und herabzusetzen wußte. Die Komitien wurden nach wie vor, wenngleich viel seltener, gehalten; indessen hatten sie hinsichtlich der Wahlen nur das Geschäft, die von Augustus empfohlenen Kandidaten zu ernennen, und durch Tiberius wurden die Wahlen ganz auf den Senat übertragen, so daß für die Wahlkomitien nur die feierliche Verkündigung der Gewählten übrigblieb; für die Gesetzgebung aber wurden sie nur ausnahmsweise berufen. Der Senat erlangte zwar unter den Kaisern sogar einen weitern Wirkungskreis, indem ihm die Jurisdiktion in den wichtigsten Kriminalfällen und seit Tiberius die Wahl der Magistrate übertragen wurde. Allein er ward lediglich durch die Kaiser zusammengesetzt; schon 29 v. Chr. hatte Augustus eine Sichtung desselben, die sogen. Lectio senatus, vorgenommen, um die mißliebigen Mitglieder zu beseitigen, und hiermit wurde von ihm selbst wie von seinen Nachfolgern fortgefahren; er war daher von den Kaisern, die allein im Besitz der realen Macht waren, völlig abhängig und wurde namentlich von schlechten Kaisern immer mehr als willenloses Werkzeug ihres Beliebens gemißbraucht; auch wurden schon von Augustus die wichtigern Angelegenheiten nicht mit dem Senat, sondern mit einem engern Rat, einem Consilium, beraten. Ähnlich verhielt es sich mit den republikanischen Ämtern, deren Inhaber sich ebenfalls unter den Einfluß des Machthabers beugen mußten. Auch wurden von Augustus und seinen Nachfolgern einige besondere Maßregeln getroffen, um ihre Bedeutung herabzusetzen. Es wurde z. B. üblich, daß das Konsulat nicht auf das ganze Jahr, sondern nur auf wenige Monate, und daß statt des Konsulats nur die Ehrenzeichen desselben (die ornamenta oder insignia consularia) verliehen wurden, welch letzteres auch mit den meisten übrigen Ämtern geschah. Außerdem wurden mehrere neue Ämter geschaffen, welche lediglich vom Kaiser besetzt, und auf welche die wesentlichen Befugnisse der republikanischen Ämter übertragen wurden, so namentlich die Ämter des Stadtpräfekten (praefectus urbi) und des Befehlshaber der Prätorianer (praefectus praetorio), denen von den Kaisern die bedeutendsten Teile nicht nur der Jurisdiktion, sondern auch der Verwaltung in immer größerer Ausdehnung zugewiesen wurden. Dies waren die Formen des Kaisertums; der Kern und die Stütze desselben war aber das Heer, welches Augustus an die Spitze der römischen Welt erhoben hatte, und das ihn und seine Nachfolger in den Stand setzte, das gesamte Staatswesen mit seinen republikanischen Ämtern und Institutionen in Unterwürfigkeit zu erhalten, welches also die Kaiser stützte, sie aber auch nicht selten selbst bedrohte und der Herrschaft entsetzte. In dieser Weise aber bestand das Kaisertum drei Jahrhunderte lang, nur mit dem Unterschied, daß die Kaiser immer mehr von dem Heer abhängig wurden, und daß das Reich besonders im 3. Jahrh. immer mehr durch Bürgerkriege zerrüttet wurde. Eine wesentliche Veränderung aber wurde vom Kaiser Diokletian (284-305) begonnen und von Konstantin (324-337) zur vollständigen Ausführung gebracht. Durch diese wurde mit den republikanischen Formen und Erinnerungen völlig gebrochen; Rom hörte auf, der Mittelpunkt des Reichs zu sein, indem die Residenz des Kaisers erst nach Nikomedeia in Bithynien und dann nach Konstantinopel verlegt wurde; es wurde ein ganz neues, fest gegliedertes und ungemein zahlreiches Beamtentum geschaffen, an dessen Spitze sieben oberste Reichsbeamte standen, welche, wie schon ihre Titel (praepositus