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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Römisches Reich

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Römisches Reich (Geschichte bis 470 v. Chr.).

morden und führte dann die Regierung in der Weise, wie er sie gewonnen hatte (534-510). Er brachte die Latiner durch List und Gewalt völlig unter seine Botmäßigkeit, tötete oder verbannte alle, die ihm im Weg waren, drückte das niedrige Volk durch Fronarbeiten und erregte dadurch die allgemeine Unzufriedenheit, die endlich durch den Frevel seines Sohns Sextus Tarquinius an der Lucretia zum Ausbruch kam, so daß das Volk sich unter Führung des L. Junius Brutus erhob und nicht nur Tarquinius Superbus mit seinem ganzen Geschlecht vertrieb, sondern auch das Königtum für alle Zeiten abschaffte. So endete die Zeit der Könige, deren Geschichte aber durchaus sagenhaft und wenig glaubwürdig ist, wie schon die chronologischen Verhältnisse und der fremde Ursprung der meisten Könige beweisen.

Der Ständekampf und die Eroberung Italiens (510-264).

Auch in Bezug auf diesen Zeitabschnitt beruht unsre Kenntnis auf einer Überlieferung, die zwar hinsichtlich der Hauptthatsachen und der Namen der Magistrate im ganzen glaubhaft, aber im übrigen durch National- und Familieneitelkeit und durch die Willkür der Geschichtschreiber vielfach entstellt und ausgeschmückt ist und daher noch immer einen sagenhaften Charakter hat. Zunächst hatte die junge Republik die auf Wiedergewinnung der Herrschaft gerichteten Versuche des Tarquinius Superbus abzuwehren. Derselbe gewann zu diesem Zweck zuerst die Unterstützung der Vejenter und Tarquinienser; allein deren Unternehmen wurde noch im ersten Jahr der Republik durch die Schlacht am Wald Arsia vereitelt. Als dann Porsena von Clusium 507 Rom angriff, um es Tarquinius zu unterwerfen, wurde er nach der Sage durch den Heldenmut des Horatius Cocles und des Mucius Scävola abgewehrt, während sich nach andrer Nachricht Rom ihm unterworfen habe. Endlich machte Tarquinius noch einen Versuch, seine Rückkehr mit Hilfe der Latiner zu erzwingen, die sich nach der Vertreibung der Könige von der Verbindung mit Rom losgesagt hatten. Allein auch diese Hoffnung wurde 496 durch den Sieg der Römer am See Regillus getäuscht, worauf Tarquinius sich nach Cumä zurückzog, wo er bald danach starb. Dieser Sieg hatte zugleich die Wirkung, daß 493 zwischen den Römern und Latinern ein Bündnis zu gegenseitigem Schutz und zu gemeinsamer Kriegführung abgeschlossen wurde, in welches 486 auch die Herniker nach einem über sie gewonnenen Sieg aufgenommen wurden. Während dieser Zeit hatten die Römer auch noch fortwährend schwere Kämpfe mit den Sabinern, Äquern, Volskern und Vejentern zu bestehen, und diese wurden auch weiterhin mit wechselndem Glück, jedoch so fortgeführt, daß die Überlegenheit Roms immer sichtlicher hervortrat. Über die Sabiner und Äquer wurden 448 durch die beiden Konsuln des Jahrs glänzende Siege gewonnen, so daß nach dieser Seite hin die Kriege auf längere Zeit zur Ruhe kamen. Von den Vejentern erlitten die Römer 477 einen bedeutenden Verlust durch den Untergang der Fabier, welche den Kampf gegen Veji allein auf sich genommen hatten. Hierauf wurden mit den Vejentern noch mehrere Kriege geführt, aber ohne Entscheidung, bis diese endlich durch einen zehnjährigen Krieg (405-396) herbeigeführt wurde, der auch dadurch merkwürdig ist, daß er im Winter durch die Belagerung der Stadt Veji fortgesetzt, und daß, um dies möglich zu machen, den Truppen zuerst Sold gewährt ward. Die Stadt Veji ward nach mancherlei Wechselfällen 396 durch M. Furius Camillus erobert und zerstört. Nachdem Veji gefallen, wurden auch die Städte Capena, Falerii, Sutrium, Nepete unterworfen und damit die Herrschaft Roms über den südlichen Teil Etruriens bis zum Ciminischen Wald (dem Gebirge von Viterbo) ausgebreitet.

Die Macht lag nach Vertreibung der Könige, an deren Stelle Konsuln, als erste L. Junius Brutus und L. Tarquinius Collatinus, getreten waren, fast ausschließlich in den Händen der patrizischen Aristokratie; das Konsulat und der Senat waren nur Patriziern zugänglich; die Kuriatkomitien, in welchen nur die Patrizier stimmten, bildeten die mächtigste Vertretung des Volkes; dazu kam, daß 498 eine neue obrigkeitliche Gewalt geschaffen worden war, die ebenfalls nur von Patriziern geübt werden konnte, nämlich die Diktatur, welche die ganze königliche Gewalt in sich schloß, nur mit der Beschränkung, daß sie höchstens sechs Monate dauern durfte. Man hatte diese eingeführt, um in Fällen außerordentlicher Kriegsgefahr die Kraft der Regierung zu stärken, aber auch die Plebejer wirksam im Zaum zu halten, da das dem Volk vom Konsul P. Valerius eingeräumte Recht der Provokation (Berufung an das Volk) gegen den Diktator nicht galt. Zumal als jede Gefahr der Rückkehr der Tarquinier beseitigt war, brachen der Standeshochmut und die Härte der Patrizier ungescheut hervor. Die Plebejer waren durch die ununterbrochenen Kriege im Anfang der Republik mehrfach verhindert worden, ihre Ländereien zu bebauen; sie hatten ferner durch die plündernden Einfälle von Feinden öfters Schaden erlitten; sie waren daher genötigt gewesen, bei den reichen Patriziern zu borgen, und diese benutzten nun die bestehenden harten Schuldgesetze, um ihre Schuldner, wenn sie nicht bezahlen konnten, ins Gefängnis zu werfen und sonst auf alle Art zu mißhandeln und zu drücken. Dies gab die Veranlassung, daß die Plebejer mit der Drohung, sich ganz von den Patriziern zu trennen, auf den benachbarten Heiligen Berg auszogen (secessio in montem sacrum), von wo sie erst zurückkehren, nachdem Menenius Agrippa (s. d.) sie durch die bekannte Fabel beruhigt hatte, und nachdem ihnen ein eigner Magistrat mit der Macht und der Pflicht, sie ferner vor Unbilden zu schützen, zugestanden worden war. So entstand 494 das Volkstribunat, eins der wichtigsten Institute der römischen Republik, welches vorzugsweise den weitern Gang der innern Geschichte bestimmte. Die 5, später (seit 457) 10 Tribunen (tribuni plebis) waren für unverletzlich (sacrosancti) erklärt und konnten durch ihr Dazwischentreten (intercessio) jeden Bürger der Gewalt der Obrigkeit entreißen; sie erwarben sich ferner das Recht, den Versammlungen des Senats beizuwohnen und die Beschlüsse desselben durch ihr verbietendes Wort (veto) ungültig zu machen; insbesondere aber bildeten sie eine dritte Art der Volksversammlungen, die Tributkomitien, in welchen die Plebejer das Übergewicht hatten, zu ihrem Werkzeug aus, indem sie Beschlüsse darin fassen ließen und diese immer mehr zur allgemeinen Geltung zu bringen suchten; sie wurden seit dem Publilischen Gesetz des Volero (471) in diesen Komitien gewählt, berieten sie und hatten, mit Ausnahme bestimmter, erst später eintretender Fälle, auch den Vorsitz in ihnen.

Der Kampf gegen die Vorrechte der Patrizier, den die Plebejer nunmehr unter Führung der Volkstribunen begannen, richtete sich zunächst auf das Staatsland (ager publicus), d. h. auf die durch Krieg gewonnenen Ländereien, deren Benutzung die Patrizier für sich allein in Anspruch nahmen, woran aber die Plebejer mit gutem Recht einen Anteil verlangten.