Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Sardinische Monarchie

326

Sardinische Monarchie (Geschichte 1823-1849).

reaktionäre, streng absolutistische System seines Vorgängers beibehielt. Der unterdrückte Volksgeist machte sich in Verschwörungen und stets erfolglosen Putschen Luft, die nur schärfere Repressivmaßregeln zur Folge hatten. 1840 wurde mit dem Papst ein Konkordat abgeschlossen und die Herrschaft der Klerikalen, wie es schien, für immer befestigt. Indes Karl Albert erkannte, daß, wenn er sich nicht zu einem gehorsamen Vasallen Österreichs erniedrigen wollte, er sich der nationalen Strömung anschließen müßte, und eine national-italienische Politik bedingte auch eine liberale Regierung im Innern, also konstitutionelle Zugeständnisse. Am 11. Okt. 1847 wurde ein volkstümliches Ministerium berufen und 8. Febr. 1848 durch das Fundamentalstatut die neue Verfassung verkündigt, worauf ganz Oberitalien mit Enthusiasmus für das "Schwert Italiens" (la spada d'Italia) schwärmte. Karl Albert stellte sich nun offen an die Spitze der nationalen Bewegung, ernannte 8. März den berühmten Patrioten Balbo zu seinem Ministerpräsidenten, erließ 24. März eine Proklamation, in welcher er den lombardischen Brüdern, die sich 18. März in Mailand empört hatten, Hilfe verhieß, und rückte darauf mit 60,000 Mann ohne Kriegserklärung in die Lombardei ein; 26. März hielten die sardinischen Truppen ihren Einzug in Mailand. Am 8. April griff Karl Albert die Österreicher bei Goito an, zwang sie zum Rückzug, schloß Peschiera ein und machte 6. Mai einen Angriff auf die Höhen von Santa Lucia und Croce Bianca bei Verona, der aber zurückgeschlagen wurde. Er beschränkte sich nun darauf, Peschiera einzuschließen; währenddessen ging der österreichische Befehlshaber Radetzky, um Peschiera zu entsetzen, 27. Mai von Verona nach Mantua, nahm die Schanzen von Curtatone, zersprengte die dortigen toscanischen und neapolitanischen Korps, rückte am 30. nach Goito vor und kam so dem König in die rechte Flanke; aber der Angriff auf die sardinische Stellung bei Goito mißlang, worauf Peschiera fiel und Radetzky über Mantua zurückging. Während die Lombarden 29. Mai durch allgemeine Abstimmung den Anschluß an Sardinien beschlossen, 3. Juli auch die konstitutionelle Versammlung von Venetien für die Verschmelzung mit Sardinien sich entschied, blieb die Armee in ihrer weit gedehnten Stellung zwischen Gardasee und Po unthätig. Karl Albert hatte die Zuversicht zu dem Erfolg seiner Waffen verloren und setzte seine ganze Hoffnung auf die diplomatische Vermittelung Englands. Währenddessen hatte sich Radetzky verstärkt, und nach zweitägigen Gefechten wurden die Sardinier 25. Juli nach tapferm Kampf in der Entscheidungsschlacht von Custozza völlig geschlagen. Das sardinische Heer zog sich nach Mailand zurück, wo das erbitterte Volk den König in seinem Hauptquartier bedrohte; 9. Aug. wurde zwischen Österreich und Sardinien ein Waffenstillstand abgeschlossen und Lombardo-Venetien, Parma und Modena von den sardinischen Truppen geräumt.

Dieser unglückliche Ausgang des mit so viel Zuversicht unternommenen Kriegs übte auch auf die innern Verhältnisse Sardiniens notwendig einen Rückschlag. Balbo war schon 26. Juli aus dem Ministerium getreten, das Fusionsministerium Casati nahm bereits 7. Aug. seine Entlassung. Die radikalen und republikanischen Elemente, welche Karl Albert als Verräter hinstellten, regten sich und wuchsen an Macht. Das ungestüme Verlangen der Deputiertenkammer und des Volkes nach Fortsetzung des Unabhängigkeitskampfs, das sich besonders 12. und 13. Okt. auf Volksversammlungen in Turin aussprach, bewog endlich den König, ein neues Ministerium aus der radikalen Partei zu berufen, dessen Vorsitz Gioberti übernahm, und das 16. Dez. in seinem Programm zwar die Notwendigkeit der Monarchie betonte, aber die nationale Einheit und Unabhängigkeit sowie die Entwickelung der Verfassungsinstitutionen im Sinn der Demokratie als seine Ziele bezeichnete. Die Regierung wünschte eigentlich nur im Bund mit den andern Fürsten Italiens einen neuen Krieg gegen Österreich zu führen, wurde aber, als die Fürsten alle ablehnten, von der Kammer so zum Kriege gedrängt, daß es ihn 12. März 1849 an Österreich erklärte. An die Spitze des 120,000 Mann starken Heers trat ein polnischer General, Chrzanowski. Am 20. überschritt der Herzog von Genua mit 12,000 Mann bei Magenta den Ticino und fand den Weg nach Mailand frei; die Sardinier glaubten, die Österreicher wollten, wie 1848, die Lombardei freiwillig räumen. Radetzky hatte aber unbemerkt seine 70,000 Mann bei Pavia konzentriert, überschritt 20. März den Ticino und stieß am 21., abends 5 Uhr, auf die Sardinier bei Mortara; das Gefecht endete mit der Niederlage der letztern. Am 23. mittags wurde das sardinische Hauptheer, 51,000 Mann, welches Chrzanowski bei Novara vereinigt hatte, hier von Radetzky angegriffen und völlig geschlagen. Karl Albert verzichtete noch in derselben Nacht, vom 23. zum 24. März 1849, auf die Krone zu gunsten seines ältesten Sohns, Viktor Emanuel II., und ging unter einem angenommenen Namen durch die österreichischen Vorposten, um sich nach Porto in Portugal zu begeben, wo er 26. Juli starb. Der junge König schloß sofort 26. März mit Radetzky einen Waffenstillstand, in welchem er sich verpflichtete, die Freikorps aufzulösen, während des Waffenstillstands das Gebiet zwischen dem Po, der Sesia und dem Ticino und die Hälfte der Festung Alessandria durch 20,000 Mann kaiserlicher Truppen auf Kosten Sardiniens besetzen zu lassen, die sardinische Flotte aus dem Adriatischen Meer zurückzuziehen und seine Armee binnen kürzester Frist auf den Friedensfuß zu setzen.

Die Nachricht von der Niederlage und Abdankung Karl Alberts und dem Waffenstillstand rief in Turin unbeschreibliche Entrüstung hervor. Die Kammer beschloß in der ersten Aufwallung der Leidenschaft die Fortsetzung des Kampfes, erkannte aber bald die Unmöglichkeit derselben. Ein kurzes Nachspiel zum Krieg bildete der Aufstand zu Genua 1. April, welcher die Lostrennung der ehemaligen Republik Genua von Sardinien zum Zweck hatte und erst 10. April durch eine große Truppenmacht unter Lamarmora unterdrückt werden konnte. Über vier Monate dauerten die Friedensverhandlungen mit Österreich. Wenn sich Sardinien auch bereit zeigte, materielle Vorteile zu opfern, so hielt es doch mit Festigkeit an der Unverletzlichkeit der Nationalehre fest. Einen ihm nahegelegten Anschluß an das österreichische System lehnte Viktor Emanuel entschieden ab; er behauptete für Sardinien seine innere Unabhängigkeit und erlangte auch die Amnestie der Lombarden und Venezianer, welche auf Seiten der Piemontesen gekämpft hatten. Die Österreicher steigerten dagegen ihre Kriegsentschädigungsforderung auf 230 Mill. Frank. Auf diese Forderung stellte Piemont die Unterhandlungen ein, bis Österreich unter dem Druck französischer und englischer Intervention auf 75 Mill. herabging, gleichzeitig seine Truppen aus Alessandria zurückzuziehen sich bereit erklärte und Sardinien den Besitzstand vor dem Krieg zugestand. Am 6. Aug. 1849 wurden diese Bedingungen zu Mailand unterzeichnet.